Ausladung


Unter dieser Überschrift erhielt ich gerade eine E-Mail des Münchner Neo-DJ Jochen Lüders. Hier der volle Wortlaut:

„Mit großem Erstaunen lese ich:
‚In diesem Jahr haben wir uns fest vorgenommen, auch einmal der Neolonga von Jochen Lüders im 'El Rojo' einen Besuch abzustatten‘
Diese Fahrt können Sie sich sparen, Sie sind auf meiner Milonga NICHT willkommen. Meine Gäste und ich legen keinerlei Wert darauf, in einem Ihrer überheblichen und beleidigenden Texte portraitiert zu werden.
Hochachtungslos
J. Lüders“
 
Der Zorn des DJ entstand wohl durch einen meiner Artikel zur Tanzbarkeit" von Piazzolla-Stücken. Diese stritt man ab, obwohl es im Netz hunderte Videos gibt, in denen Paare zur Musik des berühmtesten Tangokomponisten tanzen. Diese Realitätsverweigerung verglich ich mit der Theorie von der  flachen Erde, welche sich bis heute ebenfalls vieler Anhänger erfreut.
 
Lüders schrieb dazu: Da werden dann schon mal alle diejenigen, die trotz aller Bekehrungsversuche einfach nicht zu Piazzollas Knarzen, Kratzen und Quietschen tanzen möchten, mit bescheuerten ‚Flacherdlern‘ verglichen bzw. gleichgesetzt."

Sorry, das habe ich nicht getan. Ich akzeptiere durchaus, dass manche nicht zu einer solchen Musik tanzen wollen. Nur sollen sie nicht behaupten, dass man es nicht könne.
Obwohl dem Kollegen dies nicht gefallen wird und wieder einmal Formalien-Debatten nach sich ziehen dürfte, muss ich nun schon auf den E-Mail-Verkehr mit ihm eingehen. Ich habe meinen Besuch in München öffentlich angekündigt und möchte nicht, dass es so aussieht, als hielte ich meine Zusagen nicht ein.

Aber nach dem Text seiner Nachricht hat der DJ ja wohl alle seine Gäste befragt, ob er mich ausladen soll – und uneingeschränkte Zustimmung erhalten…

Lüders bezieht sich bei seinem Verdikt auf eine Diskussion im Blog von Thomas Kröter, auf dem er an diesen geschrieben hatte:

„Und wenn du schon nach Pörnbach pilgerst, kannst du ja auch noch die paar Kilometer weiter zu meiner Milonga nach München fahren.“

Ich antwortete darauf am 2.1.19:

„In Pörnbach haben wir ausschließlich Gäste, keine Pilger. Wir betreiben dort nämlich keinerlei religiöses Zentrum.
Dennoch, lieber Jochen, empfehle ich ausdrücklich beide Veranstaltungen. Du wirst übrigens damit rechnen müssen, dass ich im neuen Jahr mal deine Münchner Milonga besuche – sorry, da musst du jetzt durch!“

Nochmal zum Mitschreiben: Ich habe auch seine Milonga ausdrücklich empfohlen. Und natürlich war das ernst gemeint. Auch wenn wir wohl in der Musikauswahl nicht völlig übereinstimmen, freue ich mich stets über Veranstaltungen, die über den „EdO-Kanon“ hinausgehen.

Übrigens war ich schon einmal auf einer Milonga, auf der er als Gast-DJ aufgelegt hat (vor längerer Zeit in Dachau). Ich war damals nett und freundlich, habe mich nicht beim DJ beschwert, Gäste beleidigt oder einen bösen Artikel geschrieben – im Gegenteil: In einem Blogbeitrag von mir gibt es einen positiven Hinweis (leider existiert aber die Veranstaltung inzwischen nicht mehr).

Hätte ich über meinen vorgesehenen Neolonga-Besuch im Blog berichtet? Wohl eher nicht, da Jochen Lüders mir wohl schon länger gram ist (obwohl ich ihn nie beleidigt habe) und ich mir einen neuen Krawall gut überlegt hätte. Das war nicht immer so:

Noch 2016 gratulierte er mir per E-Mail zum dreijährigen Bestehen meines Blogs. Äh… die Machart meiner Texte unterschied sich damals in keiner Weise von der heutigen (eher würde ich mir eine zunehmende Altersmilde attestieren).

Und was noch schöner ist: Er war seinerzeit sogar daran interessiert, einmal in Pörnbach auflegen zu dürfen! Ich antwortete ihm damals, er möge doch erst einmal als Gast kommen und sich die Milonga ansehen. Ich würde ihm gerne Einladungen zusenden, was ich auch tat. Einige Zeit später erreichte mich dann die Botschaft, dass er dies nicht mehr wünsche. Also hab ich’s gelassen.

Fazit

Löschungen, Sperrungen, Ausladungen… man muss es sich schon auf der Zunge zergehen lassen, mit welchen Methoden man noch im 21. Jahrhundert mit Satirikern umgeht – und das nicht in einer Bananenrepublik oder einer Präsidialdemokratur, sondern in einer der stabilsten Demokratien dieser Welt. Viele riskieren derzeit ihr Leben, um zu uns zu gelangen – und etliche verlieren es auch.

Glücklicherweise kann Jochen Lüders noch keine Internet-Sperre beantragen wie in arabischen Ländern oder China. Nein, er arbeitet ja als Beamter und hat einen Eid auf eine Verfassung geschworen, welche im Artikel 5 die Pressefreiheit garantiert. Missliebige Berichterstatter von ihren Veranstaltungen auszuschließen war bislang das Privileg der AfD und ihres Umfelds.

Natürlich habe ich schon lange damit gerechnet, einmal ein „Hausverbot“ abzubekommen – und Betonköpfe wie Cassiel und die Familie Tobler haben es ja längst versucht. Wer sich ebenfalls in diese Nachbarschaft begeben möchte, dem wünsche ich das vermutliche Vergnügen.

Witzig finde ich es schon, dass ein solches Verdikt nun ausgerechnet von der Avantgarde-Seite kommt. Seit fast einem Jahrzehnt kämpfe ich darum, der modernen Tangomusik den ihr verdienten Platz zukommen zu lassen – und solche Veranstalter verdanken den einen oder anderen Besucher eventuell meinem Wirken (und vielleicht Neo-DJs den einen oder anderen Gig).

Ich werde dennoch (oder besser: gerade deshalb) den Stil meiner Veröffentlichungen nicht ändern. Zu diesem gehört, keine realen Personen zu beleidigen, üble Nachreden oder Verleumdungen zu verbreiten. Wer etwas anderes behauptet, möge dies dartun und mich nach Belieben juristisch belangen. Und ich werde mich weiterhin keiner Fraktion im Tango anschließen, sondern meine unabhängige Meinung sagen vielleicht ist dies authentischer als manches in unserem Tanz Behauptete.

Dass nun augerechnet aus dem fortschrittlichen" Lager auf mich Druck ausgeübt wird, zeigt nur eine politische Gesetzmäßigkeit: Die Radikalen unterschiedlicher Extreme gleichen sich in ihren Methoden.    
 
Aber das Leben ist halt dialektisch – und das ist gut so. Daher bleibt mir nur festzustellen: Selbstverständlich zahle ich nicht mit gleicher Münze zurück. Auch Jochen Lüders würde als Gast der Pörnbacher „Wohnzimmer-Milonga“ weiterhin akzeptiert, so er sich rechtzeitig anmeldet. Wir betreiben nämlich keine Gesinnungs-Kontrolle. Bei uns darf jeder mitmachen, solange er sich nach mitteleuropäischen Maßstäben halbwegs manierlich aufführt – egal, ob er an die Allmacht der EdO, die unbefleckte Empfängnis Mariens oder die Erde als Scheibe glaubt.

Feel the difference!

Edit 24.11.22: Trotz seiner Ankündigung war Thomas Kröter nie bei uns in Pörnbach zu Gast und wohl auch nicht bei Jochen Lüders. Stattdessen besuchte er in der Bayerischen Metropole lieber traditionelle Milongas.

Lüders schrieb in der Folge Artikel, in denen er über meine Ideen zum Erlernen des Tango herzog.

Grafik: www.tangofish.de

Kommentare

  1. Es liegt im Leben wirklich manches sehr dicht beisammen:

    Einen Tag nach dieser "Ausladung" erhielt ich die Mail eines anderen Tangoveranstalters. Ich hatte ein bestimmtes Format seiner Milongas in der Vergangenheit im Blog ziemlich scharf kritisiert.

    Er hat dies nun in meinem Sinne geändert und uns zum nächsten Termin eingeladen. Als wir zusagten, schrieb er uns, wir seien an diesem Abend "Ehrengäste" - natürlich bei freiem Eintritt.

    Ich finde das ausgesprochen nobel - es zeigt beispielhaft den Unterschied zwischen großem Format und sehr kleinen Karos...

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  2. Die Ausladung seitens Herrn Lüders von seinen Neolongas im "El Rojo" hat sich nun erledigt: Wie ich diese Woche bei einem Besuch dort erfuhr, legt er bei dieser Milonga ab sofort nicht mehr auf.

    Grund - so hörte ich gerüchteweise - sei, dass er sich mit einem Teil seiner Gäste angelegt habe. Da ich nicht dabei war, verschweige ich die angeblichen Einzelheiten.

    Grundsätzlich kann ich Jochen Lüders durchaus verstehen. Wie das Münchner Publikum mit seinen DJs umgeht, habe ich selber schon erlebt.

    Ich finde es nur schade, dass er sich durch sein schroffes und undiplomatisches Verhalten, das ich ja mehrfach erlebt habe, immer wieder Chancen verbaut. Er hat als DJ inzwischen viel Erfahrung sowie große Fachkenntnisse und betreibt diese Tätigkeit wahrlich mit Herzblut.

    Nur sieht er wohl einen Unterschied nicht: Man kann als Autor durchaus scharfzüngige und provokante Texte veröffentlichen - im realen Tangoleben jedoch sollte man seine Emotionen herunterfahren und den Ball flach halten.



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