Kassiels koschere Kostbarkeiten
Lächelnde Weiber!
Plappern immer,
Wie Mühlenräder stets bewegt!
Da lob ich Deuschlands Frauenzimmer,
Das schweigend sich zu Bette legt.
Wie Mühlenräder stets bewegt!
Da lob ich Deuschlands Frauenzimmer,
Das schweigend sich zu Bette legt.
Und alles dreht sich hier im Kreise,
Mit Ungestüm, wie 'n toller Traum!
Bei uns bleibt alles hübsch im Gleise,
Wie angenagelt, rührt
sich kaum.
(Heinrich Heine: „Anno
1839“)
Den folgenden Gastbeitrag erhielt ich von meinem
Tangofreund Peter Ripota.
Mein Artikel „Erotik homöopathisch geschüttelt“,
so befand er, sei sehr lustig, was aber den Zitaten und ausnahmsweise nicht
meiner eigenen Leistung geschuldet sei. Er habe sich erlaubt, daraus eine seiner
„üblichen Satiren“ zu machen.
Vielleicht freue sich ja auch „Herr
Cassiel über die Bedeutsamkeit, die seinen Erfahrungen von Seiten eines
bescheidenen Tangotänzers beigemessen wird.“
Na
ja, darauf würde ich zwar nicht wetten – selber habe ich mir allerdings gestattet, mich über den Text schlapp zu lachen. Daher nun Bühne frei für Peter Ripota und
***
Kassiels koschere Kostbarkeiten
Wieder ist es passiert: Mitten im Tanz ließ mich eine
Dame stehen, es wäre zu anstrengend mit mir. Dabei hatte ich gar nichts getan,
sondern alles ihr überlassen. Aber irgendwas muss ich tun, so geht das nicht
weiter. Wer steht mir rät- und tätlich zur Seite?
Da entdeckte ich zufällig Gerhards neuen Tango-Blogtext,
„Erotik homöopathisch geschüttelt", und was da drin stand, traf mich wie
ein Mondstrahl aus Mekka, pardon: wie ein Benimmkurs aus Buenos Aires. Zwar
stammten die Benimmregeln nicht vom Eigner des Blogs, sondern von einem mir bis
dato unbekannten Tangoblogger und -tänzer, der sich „Cassiel" nennt und
anonym bleiben möchte, vermutlich, weil ihm sonst die Damen die Kleider vom
Leibe reißen würden, so beliebt ist er, nach eigenen Angaben, und die werden sicher
stimmen. Jedenfalls sagen das die Damen, deren erotische Seufzer auch in seinem
Blog stehen, z.B.
„Cassiel! Wann tanzen wir endlich miteinander?
Deine Sophia"
„Cassiel! Man ist ja schon bei der Lektüre
atemlos (wie muss es erst sein, mit Dir zu tanzen?)!
„Cassiel! Ich möchte ein Kind von -" Nein,
das war Michael Jackson. Sorry.
Und so geht besagter Meister an die Sache, vielmehr an
die Damen ran:
„Wenn ich eine mir unbekannte Tanguera mittels Cabeceo [=
Blickkontakt] aufgefordert habe und wir schließlich uns auf der Tanzfläche
gegenüber stehen, dann nehme ich mir die Zeit und schlage in aller Ruhe meine
Hemdsärmel jeweils zweimal um. Das ist eine Marotte von mir, und ich
signalisiere damit, es gibt überhaupt keinen Grund zur Hektik. Anschließend
schaue ich der Dame direkt in die Augen, da findet schon Kommunikation statt,
ohne dass wir unsere Namen kennen. Anschließend gibt es eine Einladung mit
meiner linken Hand. Schon da arbeitet mein Scanner, ich konzentriere mich
darauf, wie sie meine linke Hand nimmt, wie warm ihre Hand ist, wie entspannt
sie ihre Hand in meine legt usw. Zwischendurch bemerkt: Wir haben noch keinen
Schritt getanzt."
Genau! Ich bin immer wieder viel zu hektisch, will gleich
tanzen und später reden. So geht das nicht, wo bleiben Höflichkeit, Rituale und
mein Eintrittsgeld? Ich meine, ich bin doch nicht nur zum Tanzen beim Tanzen,
ich will, dass was geschieht. Und Cassiel weiß, was man machen muss, damit sich
etwas tut: nämlich nichts tun. So sagt er noch:
„Nun warte ich auf die Dame, wie sie ihre linke Hand auf oder um meine
Schulter legt. Auch da versuche ich, achtsam zu sein. Hier greift das
‚Schaulaufen-Phänomen‘ - so nenne ich es jedenfalls. Deswegen habe ich auch kein
Problem damit, dass eine mir unbekannte Tanguera nicht weiß, auf was sie sich
mit mir einlässt. Und noch immer haben wir keinen Schritt getanzt."
Und nach drei weiteren atemlosen Paragrafen steht das
herzergreifende Fazit: „Wir haben noch
immer keinen Schritt getanzt."
Ja, so macht man's. Also nix wie ran, Kassiels koschere
Kostbarkeiten in die Tat umsetzen! Schon bei der ersten Dame hatte ich vor
Aufregung vergessen, was ich tun muss bzw. auf keinen Fall tun darf. Nur so
viel wusste ich noch: Tu nix, warte ab. Ich tat nichts, sah ihr tief in die
Augen und wartete. Jetzt würde sie sicher gleich hinschmelzen! Aber irgendwas
lief schief. Sie kannte offenbar Cassiels wohltemperierte Regeln nicht. Statt
sich meiner unwiderstehlichen Männlichkeit hinzugeben, sah sie kurz auf und
sagte dann: „Na, wat is? Weeste nich,
wie's losgeht? Links vor rechts, dann Wechselschritt, und hopp." Ich
sah sie immer noch ruhig abwartend an, sie sah mich an, löste die Hände und
sagte: „Ich such mir wen, wo tanzen
kann." Und rauschte davon. Cassiel wäre das nicht passiert, aber ich,
typischerweise –
Zweiter Versuch. Jetzt wusste ich auch, was wichtig
war: schweigen. Also nahm ich Startposition und wollte die Dame gerade mit
meinem Schweigen beeindrucken, als sie ganz unaufgefordert zu reden anfing. Sie
heiße Francoise, tanze seit drei Monaten, ihr Verlobter wolle aber nicht, er
heiße übrigens Henri (ohne Akzent), er arbeite in einer Bankfiliale der
Targobank. Sie versuche ihn zwar ständig zu überreden, in eine echt
französische Bank einzutreten, und die Gelbwesten, man wisse ja... Nach einer
gefühlten halben Stunde marschierte ich los, was den Redefluss nur minimal
beeinträchtigte. Irgendwann kam mir ein Gedicht von Heinrich Heine in den Sinn,
wo dieser die erotischen Vorzüge der deutschen Frauen gegen diejenigen der
Französinnen abwägt. Am Ende kommt er zu dem Fazit: Die deutsche Frau geht
schweigend zu Bett. Mir würde ja genügend, wenn meine Tanzpartnerin schweigend
tanzte. Aber die Welt ist groß, ich muss nur noch üben.
Die dritte Dame kündigte gleich zu Beginn an: „Ich bin Anfängerin." Mein Schweigen
verunsicherte sie derart, dass sie fragte: „Was
muss ich jetzt tun?" Ich ließ mich doch zu einer verbalen Äußerung
hinreißen und beschied ihr: „Das gleiche
wie ich." „Und was tust du?" „Nichts."
„Und das ist Tango?" Es war eine kurze Tanda...
Also gut, das Warten funktioniert bei mir nicht.
Vielleicht ist Cassiel ja ein geduldiger Fisch. Ich aber als ungeduldiger
Widder brauche Äktschn. Und so fing ich bei der nächsten Partnerin gleich an
mit: „Ich Tarzan, du Jane?" Sie
sah mich verschleiert an und sagte: „No
german, russian." Na, das ist doch mal eine Ansage.
Und was mach ich jetzt? Nach kurzer Überlegung kam mir
ein Einfall, so genial, dass ich ihn hier unbedingt loswerden muss, obwohl er
alle Reglements des Tango verletzt: Wir tanzten!
***
Tja, lieber Peter, aus Dir spricht halt wieder diese
total unachtsame naturwissenschaftliche Nüchternheit: Einfach nur tanzen, das
wär ja noch schöner… Auf jeden Fall aber herzlichen Dank für diesen tollen
Gastbeitrag!
Das oben teilweise zitierte Gedicht des
Satire-Altmeisters Heinrich Heine
kannte ich tatsächlich noch nicht. Er war ja nicht ganz freiwillig nach
Frankreich ausgereist, da man hierzulande der Auffassung war, auf seine
unbotmäßigen Satiren (und ihn selber) verzichten zu sollen. So hatte er Gelegenheit, die
deutsche und französische Lebensart zu vergleichen. Auch die letzten beiden Strophen
seines Gedichts „Anno 1839“ gemahnen
mich durchaus an teutonische Tangoverhältnisse:
Mir ist, als hört' ich fern erklingen
Nachtwächterhörner, sanft und traut;
Nachtwächterlieder hör ich singen,
Dazwischen Nachtigallenlaut.
Nachtwächterhörner, sanft und traut;
Nachtwächterlieder hör ich singen,
Dazwischen Nachtigallenlaut.
Dem Dichter war so wohl daheime,
In Schildas teurem Eichenhain!
Dort wob ich meine zarten Reime
Aus Veilchenduft und Mondenschein.
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