The show must go on?
Melina Sedó, nach eigenen
Angaben “tango teacher, organiser, book
author, dj, coach and ex psychologist“ ist sicherlich die Ikone des
deutschen „Bierernst-Tango“. Wer ihr
englischsprachiges deutsches Blog „Melinas
two cents“ (eine verblüffend realistische Preisangabe) aufmerksam studiert,
erhält einen ganz guten Überblick dazu, was sie im Tango alles nervt – „Stimmungsaufheller“ sucht man
weitgehend vergebens. Humorfreies Sendungsbewusstsein und Verbotslisten sind
für mich der Inbegriff des „veganen
Tangos“.
Gleichwohl
finde ich ihren neuesten Artikel sehr interessant und habe ihn daher übersetzt:
„Je déteste les démos - and why I still do them!”
Es geht um die Showtanzvorführung
der Tangolehrer, welche regelmäßig auf einem Festival oder Workshop-Wochenende
zu erwarten sei. Was man da tue? Einen guten Platz besetzen, Kamera bzw.
Smartphone aktivieren oder die Flucht ergreifen – ob aufs Klo oder gleich nach
Hause?
In Buenos Aires jedenfalls, so werden wir schon mal
belehrt, seien dergleichen Einlagen völlig üblich – nicht so in Europa und schon gar nicht bei Encuentros und Marathons.
Da beginnt bei mir schon das Schmunzeln: Schön, dass
die Autorin und ihr Partner Detlef Engel
sich ausgerechnet dieses Zielpublikum
herausgesucht haben und nun darüber jammern…
Woher diese Aversion
nur komme? Solche Auftritte hätten heute lediglich die Länge einer Tanda – man würde ja auch sonst mal
eine Runde aussetzen und anderen beim Tanzen zusehen. Sei eine Show zu
verurteilen, weil sie mit Werbung
und Einkünften zu tun habe?
Verschmutze sie die „Reinheit des sozialen Tango“? Sedó weiß es auch nicht.
Was mich verwundert – schließlich ist sie eine anerkannte Expertin in Sachen
Besudelung des „reinen Tango“…
Sie schildert ein traumatisches
Erlebnis anno 2007, als sie in Lyon engagiert waren:
Ein Tänzer, mit dem sie vorher noch zu Abend gegessen
hatten, saß nun, kurz vor Beginn ihres Auftritts, draußen vor der Tür und
verzog das Gesicht. Auf ihre Frage nach dem Grund meinte er (auf Französisch): „Ich
hasse Demos“.
Verständlicherweise war dies nicht gerade eine Motivation für die unmittelbar folgende
Performance. Schlimmer noch:
Nachfragen hätten ergeben, dass gerade bei Encuentro-Besuchern diese Abneigung durchaus verbreitet sei. Das belaste sie bis heute. Sie versuche,
sich während des Auftritts auf Zuschauer zu konzentrieren, denen es sichtlich
gefalle. Das gelinge manchmal, öfters jedoch auch nicht. Dabei gehöre solches
doch einfach zum Lehrer-Job.
Melina Sedó gibt einen erstaunlichen Einblick in ihre Arbeit:
„Wir (…) sind keine Künstler. Wir
sind soziale Tänzer, Lehrer, Organisatoren, Buchautoren, DJs und so weiter. Wir
machen keine Choreografien. Wir üben keine Figuren oder Posen. Mein absoluter
Fokus liegt auf der Bewahrung einer hohen Qualität von Unterricht und
Veranstaltungen. Daher finden 80 bis 90% meiner Arbeit am Schreibtisch statt.
Ich bereite den Unterricht und die Schulungen für Lehrer vor, organisiere
Events und Tango-Ferien, kommuniziere mit Kunden, mache Werbung, verwalte
schriftliche Unterlagen und vieles mehr.“
Wegen
drohender Auseinandersetzungen wählt sie allein die Musik aus und überrascht beim Auftritt ihren Partner damit. Aber
wie könne man das vorrangige innere
Gefühl nach außen hin darstellen
– zumal, wenn andere Showpaare die großen Effekte zeigten? Auf Grund dieser
ganzen Hemmnisse würden sie bei ihren Demos „normalerweise
weniger musikalisch, weniger verbunden, weniger abwechslungsreich und nicht
halb so elegant wie in der Ronda“ tanzen.
Tschuldigung,
aber dieser Satz erinnert mich an einen älteren
Lehrerkollegen, bei dem die Mutter einer Schülerin eine schlechte Note wie folgt zu entschuldigen versuchte: Zu Hause habe es
die Tochter gekonnt. Seine Replik: „Dann
lassen Sie sie doch zu Hause!“
Man müsse
sich jedoch weiter mit den Sedó &
Engel-Demos abfinden. Dafür gebe es mindestens drei gute Gründe:
Gewinnung von Schülern
Gerade über
die so entstehenden YouTube-Videos
habe man eine Menge neuer Kunden akquiriert. So gesehen sei die Zielgruppe
weniger das Publikum im Saal als das im Internet. Andere Lehrer seien da
anfangs zögerlich gewesen in der Furcht, man könne so Schrittfolgen kopieren
und den Unterricht obsolet machen. (Na, Gott sei Dank müssen euch diese Sorgen
nicht belasten…)
Die richtigen Schüler anziehen
Man wolle
keine Kursteilnehmer, welche mit falschen Erwartungen kämen: Große Bewegungen,
Sprünge und Posen lieferten sie halt nicht.
Inspiration
Dieser sei
der Siegeszug des Salontango nicht
zuletzt zu verdanken: zu sehen, wie elegant, schön und musikalisch sozialer
Tango sein könne. Ohne das gäbe es heute vielleicht keine Encuentros und Marathons
(wo die Gäste Showtänze verachten – ein bemerkenswerter Zirkelschluss…).
Abschließend
bittet die Autorin gerade die fortgeschrittenen
Tänzer, bei Demos nicht offen zu
kritisieren, zu gähnen oder das Gesicht zu verziehen. Ohne solche Vorführungen
hätten sie nicht die guten Tanzpartner,
welche dadurch zum Tango gelockt worden seien. Demos gehörten zum Gesamtpaket – ohne sie gehe es nicht.
Hier der Originaltext:
Eine
bemerkenswerte Parallele zu Veronica
Toumanovas Aussagen in meinem vorigen Blogtext: Die Geister, die man rief,
wird man nun nicht mehr los!
Manche der
genannten Aspekte kann ich jedoch durchaus nachvollziehen. Für meine über
tausend Zauberauftritte wurde ich
meist von Veranstaltern privater oder betrieblicher
Feste engagiert. Anders gesagt: Ob deren Gäste nun ebenfalls eine
Zaubervorstellung sehen wollten, konnte ich nur vermuten. Im Zweifel habe ich
dieses Problem natürlich angesprochen, aber letztlich trage ich dafür nicht die
Verantwortung. Aber ich kann versuchen, Zuschauer
zu überzeugen, die eigentlich mit dieser Kunst nicht viel anfangen können. Ansonsten
gilt der alte Satz: Jedes Publikum
bekommt bestenfalls die Vorstellung, die es verdient (im Tango doch mehr
als tröstlich…).
Umgekehrt
liefert man sich allerdings bei jeder öffentlichen Vorführung der Tatsache aus,
be- oder sogar verurteilt zu werden. Dazu muss man seine Zuschauer ernst nehmen: Sie vorwiegend als Staffage für ein
YouTube-Video zu verwenden, reicht nicht – und vor allem hat man sich gewissenhaft vorzubereiten. Man sollte
das Gebotene zu 120 Prozent beherrschen, dann bringt man im Stress des
Auftritts hoffentlich 90 Prozent rüber. Eine Show dagegen lediglich als „lästiges Übel“ zu betrachten, da man
ja weitgehend an den Schreibtisch gefesselt sei und eigentlich keine Zeit habe,
halte ich für unterirdisch.
Und wenn man
nach eigener Einschätzung in der Ronda
besser tanzt als bei einer Demo,
sollte man es lieber in der Ronda tun. Auch dort wird man sicherlich von
prospektiven Kunden beobachtet – und solche Videos könnte man ebenfalls ins
Internet stellen.
Zudem gilt
natürlich: Wie ein Lehrerpaar selber
tanzt, sagt darüber, was es seinen
Schülern vermitteln kann, rein gar nichts aus. Daher rege ich zum
wiederholten Mal an, doch lieber die Kursteilnehmer
vortanzen zu lassen. Auch ein solches Video könnte man zu Werbezwecken verwenden. Aber mir ist klar: Man wird es nicht tun. Und warum? Weil der übliche Tangounterricht grandios uneffektiv ist!
Ich möchte
auf den beiden, welche ja nun immerhin Ansätze
von Selbstkritik üben, nicht zu sehr herumhacken. Und ich muss mir den Kram
ja auch nicht anschauen. Dass ich deren Tanzstil für ultimativ langweilig
halte, habe ich ja wiederholt bekannt. Kunden
bringt er ihnen offenbar dennoch genug. Vielleicht wegen eines meiner Lieblings-Bonmots: Wenn man Arthur Rubinstein spielen hört, sagen
man: „Das könnte ich nie.“ Bei Richard Clayderman hingegen kommt man
zum Entschluss: „Morgen kauf ich mir auch
ein Klavier!“
Bekanntlich
stehe ich im Tango Showauftritten
auch eher skeptisch gegenüber. Ich
lasse mich jedoch gerne eines Besseren überzeugen, wie ich es neulich in einem
Beitrag geschildert habe. Die Bühne verlangt allerdings Kunst – und die ist stets stilistisch höchst individuell und keine
bis zum Überdruss kopierte Kunstfertigkeit.
Und, wie mein ehemaliger Deutschlehrer uns eintrichterte: „Kunst ist, was man nicht kann.“
Wie sagt Melina Sedó in ihrem Artikel so schön:
„Um ehrlich zu sein: Für mich ist
das Vortanzen oft langweiliger als das Verwalten der ‚Pizza-oder-Essensliste‘
für unsere Gäste und nur ein bisschen weniger störend als die
Steuererklärungen.“
Liebe Melina, da kann ich nur sagen: Für mich auch!
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