Drei, vier, ein Lied!


Die Debatte mit dem Essener Tangolehrer Klaus Wendel geht fröhlich weiter:
Auf dem Blog von Thomas Kröter schreibt er nun unter anderem:

„Bei diesem sogenannten Fragenkatalog, in dem ich eine gewisse Qualifikation Herrn Riedls abklopfe, handelt es sich nicht um eine Nachfrage nach geleisteten Diensten – ‚hamse jedient?‘, sondern nur um eine Vergewisserung, ob man sich als Diskussionsteilnehmer und (sogar) Kritiker der Musik der Epoca de Oro eine gewisse Grundkenntnis erworben hat, um auf einem einigermaßen gleichen Wissenstand zu diskutieren. (…)
In diesem Beispiel konkret sollte man die Struktur eines Tangos der Epoca de Oro verstehen können, um zu erkennen, dass sie eigentlich gar nicht langweilig ist.“

Kurz gesagt: Er muss sich vergewissern, dass hier nicht Äpfel mit der Birne diskutieren – ob man also an sein Wissensniveau überhaupt so weit heranreiche, dass ein Meinungsaustausch sinnvoll erscheint.

Ich fürchte nur, Klaus Wendel hat Thomas Kröters Anspielung nicht wirklich verstanden: „Ham’se jedient?“ bezeichnet ja keine wirkliche Erkundigung, sondern illustriert das – einäugig durchs Monokel betrachtete – Weltbild einer überlebten Offizierskaste, welche meint, die ganze Welt hätte ihren Maßstäben zu genügen.

In meinen (nicht allzu wilden) „APO-Jahren“ habe ich solche Debatten zur Genüge erlebt: Stets hatten wir uns zu rechtfertigen und nicht diejenigen, welche man damals als „Establishment“ bezeichnete. Und dort war man der festen Überzeugung: Jeder, der verstanden habe, wie die seinerzeitige „formierte Gesellschaft“ funktioniere, müsse von deren hoher Qualität überzeugt sein. Vulgo: Links ist keine Einstellung, sondern ein Mangel an Wissen!

Schlimmer noch: Mit meinen lückenhaften Kenntnissen und Fähigkeiten verführte ich auch noch Dritte:

„Meine Kritik gegen Herrn Riedl richtet sich eigentlich gar nicht gegen ihn persönlich, sondern gegen seine Anhänger, die seine sicherlich satirische und manchmal realistische Sicht auf manche Unarten der Tangogemeinde mit Fachwissen auf allen Gebieten verwechseln oder sie ihm deshalb zumindest zutrauen. Denn schreibt ein Autor über ein Thema, setzt man doch zumindest eine gewisse Kenntnis voraus und stellt sie nicht so schnell in Frage.“

Auch da offenbart sich ein Weltbild, das ich nicht geschenkt haben möchte: Ich will gar keine „Anhänger“, sondern kritische Leser, welche sich ihr eigenes Urteil bilden – wie immer das dann ausfällt. Und im Zeichen von Blogs und Self Publishing glaube ich nicht, dass man als Autor per se eine Autorität ist – Gott sei Dank!

Da ich meinen Bildungsstand in Sachen Tango nicht verschleiere, hatte ich Klaus Wendel ja immerhin ein bestimmtes Erfahrungswissen in fast 20 Jahren Tango angedient, auf das er mit keinem Wort eingeht. Klar, wäre weltbild-gefährdend. Daher kann ich nur sagen: Wir waren erst gestern auf einer Milonga mit reiner EdO-Musik – und ich hatte schon den Eindruck, meine Tanzpartnerinnen waren mit unserer Interpretation dieser Stücke ganz zufrieden. Dies ist mein Kriterium und nicht der Blickwinkel externer Beurteiler, welche der Essener Tangolehrer gerne an den Rand des Parketts stellen würde.

Dennoch bin ich ja durchaus bereit, meine tangomäßige Bildung zu erweitern. Neulich stolperte ich auf YouTube über ein Video (mit über 400000 Aufrufen), das die Tangolehrer Oscar Mandagaran & Georgina Vargas bei der Arbeit zeigt. Nach meinen Internet-Recherchen darf man die beiden sicherlich als absolutes Profi-Paar bezeichnen:



Es geht dabei ausschließlich um eine Figurenfolge im Vals (Salida und eine Rechtsdrehung, die mit einem Ocho cortado gestoppt wird). Nachdem das Lehrerpaar sie ein paar Mal zu Musik vorgetanzt hat, wird sie den Schülern durch ständiges Mittanzen eingetrichtert.

Dabei erfüllt Oscar Mandagaran ein wichtiges Qualifikations-Merkmal seines Standes: Er redet fast die ganze Zeit (seine Partnerin viel weniger) – wobei sich sein Text weitgehend auf „Ready? One, two, three, go!“ beschränkt. Die Kommunikation erstreckt sich nahezu ausschließlich auf eine Richtung: Der Meister beschallt seine Schüler. Von denen kommt (außer der Bitte, es langsamer vorzutanzen) gar nix. Hätte wohl auch keinen Sinn… Die Musik spielt eine untergeordnete Rolle: Sie erklingt zirka 1,5 von fast 10 Minuten Gesamtdauer und wird als reiner Taktgeber eingesetzt.     

Hierzu passt ein Text, der aktuell auf der Seite „Berlin Tango Vibes“ steht: „Gedankenlesen“. Die Autorin beschreibt darin eine Situation, bei der sie im Tangounterricht verzweifelt:

„Verdammt, ich kriege es einfach nicht hin. Es kann doch nicht so schwer sein, diesen Fuß richtig zu setzen und mich dann kontrolliert und stabil im richtigen Maß zu drehen.
Ich bin im Tango-Technik-Kurs, und es ist zum Mäuse melken. Einfach nur eine Drehung – Einfach?! Pustekuchen.“

Und was macht die Tangolehrerin? „Streng“ ermahnt sie die Schülerin: „Schimpfe niemals über dich selbst, egal, wie unzufrieden du mit dir bist.“

Nun könnte man ja als „Profi“ auch einmal auf die verwegene Idee kommen: Es ist Blödsinn, zu glauben, allen Schülern müsse eine bestimmte Bewegungsidee nahe liegen. Vielleicht mal der Tipp an eine Verzweifelnde, es nach ihrem Körpergefühl, also anders zu versuchen? Nein, alle müssen ja dasselbe lernen, klar…

An Stelle der Autorin hätte ich nicht mit mir geschimpft, sondern mit der Lehrerin: „Darf ich statt dieser Kopfschuss-Nummer mal was Ähnliches versuchen – so würde es mir leichter fallen. Geht doch auch, oder?“

Aus meiner (natürlich „unfachmännischen“) Sicht ist in jedem Menschen ein anderer Tangostil angelegt. Den herauszufinden wäre die vornehmliche Aufgabe des Lehrpersonals – und nicht, jedem denselben Käse aufzudrücken.

Aber – so mein schlechtes Gewissen zu Herrn Wendels Fragenkatalog: Es gibt ja noch die illustren „Musikalitäts-Workshops“.
„Frage an Sie, Herr Riedl: Haben Sie als Freizeittänzer jemals an einem dieser Seminare teilgenommen?“

Oh Scheiße, nein! Aber wozu gibt es YouTube mit einem Beitrag des mir vom gestrengen Tango-Urgestein empfohlenen Murat Erdemsel:



Ohne Zweifel: Der türkische Star-Lehrer im Tango hat dem oben gezeigten Oscar Mandagaran eines voraus: Er zählt sogar bis vier. Ansonsten ist es ja stets aufschlussreicher, im Unterricht die Schüler und nicht den Lehrer zu beobachten: Der Grad der Verzückung insbesondere des weiblichen Publikums ist unübersehbar, alle machen begeistert mit.

But – I have a dream:

Wie wäre es, das Tango-Idol einmal durch einen fiktiven Trompeter der Stadtkapelle Pfaffenhofen zu ersetzen? Die paar rhythmischen Kapriolen, die hier erwartet werden, hätte ich ihm in zehn Minuten beigebracht – und er müsste nix von Tangomusik verstehen, da Erdemsel ja einen Poptitel einsetzt.

Aber, oh weh, der Herr wäre halt im Tango unbekannt, Mitte Sechzig, von geringerem Knusprigkeits-Faktor und (statt mit des Kaisers neuen Kleidern) mit Bauch, Lederhose sowie Haferlschuhen ausgestattet. Die Faszination würde ausbleiben und stattdessen die Frage aufkommen:

„Was soll'n der Schmarrn?“

Dieser Ansicht schließe ich mich – auch was Murat Erdemsel betrifft – gerne an!

Vielleicht könnten wir uns daher im Tango ein wenig vom „Experten-Gedudel“ entfernen – oder, wie es ein anderer Kommentator auf dem Blog von Thomas Kröter formuliert:

„Lasst endlich die tanzenden Menschen entscheiden und nicht einige überangepasste DJs, was gespielt wird. Letztere haben meist keine Ahnung von den Downloads, die sie abspielen. Sie machen gerne Kasse mit Musik, für deren Urheberrechte sie nicht mal mehr bezahlen müssen und gebärden sich als die Hohepriester der Tango-Kunst.
Lasst endlich die vielen musikalisch talentierten Menschen sprechen, lasst sie hören, was Buenos Aires auch erzählt.“

P.S. Und ich hätte ja auch gar keine Zeit für angesagte Musik-Workshops. Diesen Artikel beispielsweise konnte ich nur in Raten verfassen, da im Nebenzimmer die Damen des „Duo Tango Varieté“ gerade einen meiner Lieblingstangos einstudieren: „Nieblas del Riachuelo“. Und dazu benötigen sie meinen Rat… 

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