Theresas Tanzbarkeit
Wie schon
länger von ihr angekündigt, hat sich nun die DJane und Tangoveranstalterin Theresa Faus zu einem Lieblingsthema
der konservativen Tangoszene geäußert:
„Tanzbare
Musik" – „Auf die Musik tanzen"
Musik, die
zum Tanzen inspiriert
Wie zu
erwarten, hat der Text bei Theresas
Anhängern zu fast ungebremstem Jubel
geführt – eine Reaktion, die man sonst eher aus der Schlagermusik bei den
Fanclubs von Helene Fischer oder Florian Silbereisen gewohnt ist (die
übrigens gerade ein typisches Tangolehrer-Schicksal erleiden).
Dabei fällt
schon einmal auf, dass die Autorin
nicht viel von dem Begriff hält, um
den sich ihr Artikel (und noch mehr die Kommentare dazu) drehen:
„Der Begriff ‚tanzbar‘ ist
eigentlich unsinnig. Lebensmittel können ‚essbar‘ sein, das ist aber kein
Grund, sie essen zu wollen. So ist es mit Musik auch.“
Das hindert
sie jedoch nicht, ihn – wenn auch in Anführungszeichen – zu verwenden.
Ich empfehle
meinen Lesern, einmal das Wort „Tanzbarkeit“
(oder „tanzbar“) in eine Suchmaschine
einzugeben: Außer einigen „Tanz-Bars“
findet sich da kaum etwas. Deutlich mehr wird es allerdings, wenn man nach „Tanzbarkeit Tango argentino“ googelt.
Man stößt auf viele Ankündigungen von Tangoveranstaltern,
welche ihre gebotene Musik als „(gut)
tanzbar“ anpreisen – und auf die Artikel einiger Tangoblogger.
Mit anderen
Worten: Dem normalen Paartänzer ist
diese Charakteristik wurstegal. Lediglich im Tango ist dieses ominöse Wort vor etwas mehr als 10 Jahren
aufgetaucht. Sucht man den Begriff im „Tangoplauderei“-Blog
von Cassiel, werden einem gleich 25 Fundstellen angeboten. Allerdings
wird der Begriff auch dort nirgends erklärt.
Meines Wissens
war ich der Erste, der sich (in
deutscher Sprache) inhaltlich mit dieser Charakteristik auseinandergesetzt hat.
Schon in der 1. Ausgabe des „Milonga-Führers“
widme ich ihr ein ganzes Kapitel: „Fazit:
‚Tanzbare Musik‘?“ (S. 294-300, in der aktuellen Auflage S. 299-304). Viel
später befasste sich Thomas Kröter (am
Beispiel Piazzolla) damit, in den letzten Wochen nun auch Jochen Lüders und Theresa
Faus.
Ich schrieb
bereits 2010 zum Begriff „tanzbare Musik“:
„Eine nähere Erläuterung zur
Bedeutung dieses Adjektivs unterbleibt fast immer – und ich ahne auch wieso: Es
ergibt zusammen mit diesem Substantiv keinen Sinn! Ich habe (…) noch keinen
Titel gehört, welcher nicht nach einem bestimmten Taktschema komponiert worden
wäre – wenn Musik auf diese Weise spielbar ist, wird sie ebenso auch tanzbar.
Höchstens Partituren können nicht spielbar sein – und Choreografien nicht
tanzbar!“
Nun stellt
die Autorin (in einem Kommentar zu
ihrem Text) fest:
„Natürlich ist es
rein bewegungstechnisch möglich, mit diesem gewaltigen Repertoire auf beliebige
Musik zu tanzen.“
Wie schön, dass sie es nun auch kapiert hat!
Man muss nämlich wissen: Bislang wurde das Urteil „nicht tanzbar“ in der konservativen Tangoszene geradezu als Kampfbegriff eingesetzt. Zu bestimmten Stücken (ob nun
Piazzolla oder Non Tangos) könne man eben nicht tanzen – also niemand, basta!
Und speziell Piazzolla
habe gar keine richtigen Tangos
geschrieben. Auch da erkennt die Autorin nun in einem Kommentar:
„Danach ist das
meiste von Piazzolla Tango, gerade auch dann, wenn ‚Knarzen, Kratzen und
Quietschen‘ drin ist.“
Na prima, dann wollen wir auch das mal zu Protokoll
nehmen…
Ebenfalls schon 2010
schrieb ich in meinem ersten Tangobuch:
„Jede Musik ist
tanzbar, die Frage ist nur, wie sehr sie zum Tanzen animiert. Dazu tragen
verschiedene Faktoren bei (…) Wieso nicht die unterschiedlichsten Kompositionen
und Einspielungen, denen man die erworbenen Choreografien laufend neu anpassen
muss – also lieber mehr Musik zu weniger Schritten als umgekehrt?“
Tränenden
Auges lese ich nun die Faussche
Erkenntnis aus dem Jahr 2019:
„Was man ‚tanzbar‘ findet – bzw. was
einen zum Tanzen inspiriert – ist hochgradig subjektiv. (…) Unmusikalisches
Tanzen hat für mich in der Regel zu viele Schritte, nicht zu wenige.“
Mir kommt es
so vor, als würde man in diesen Kreisen derzeit eine donnernde Entdeckung machen: Den Einzelmenschen mit seinen individuellen Vorlieben!
Was Theresa Faus in ihrem Artikel schreibt,
erscheint mir zwar teilweise etwas wolkig und unbestimmt, unterscheidet sich
jedoch wohltuend von den früheren ideologischen Hardlinern vom Schlage eines Cassiel oder Christian Tobler: Gewissermaßen „Glasnost und Perestroika“ statt Zentralkomitee. Da freut sich einer natürlich sehr, den Thomas Kröter neulich mit Leo Trotzki verglich:
Einen
grundlegenden Widerspruch muss ich
ihr allerdings attestieren. Einerseits schreibt sie:
„Damit es eine Korrespondenz
zwischen Musik und Tanz (…) geben kann, braucht die Musik – als
Mindestanforderung – eine zeitliche Struktur, also Takt und Rhythmus. Dahinwabern
von Melodien und Klängen ist wenig hilfreich; ebenso wenig chaotische oder
gänzlich unvorhersehbare Rhythmen und Rhythmuswechsel.“
Andererseits aber:
„Beim Tango gibt es den festen Rhythmus,
der durch das ganze Stück geht, nicht.
Umso mehr muss im Tango die Musik
einen erkennbaren (Takt und) Rhythmus haben.“
„Zur zeitlichen Struktur gehören auch die
Abwandlungen des Rhythmus, die man ‚Phrasierung‘ oder ‚Rubato‘ nennt: Minimale
Verzögerungen mit anschließender Beschleunigung oder umgekehrt. Auch die geben
Inspiration zu feinen Verzögerungen und Wechseln der Energie beim Tanzen.“
„Worst case: Ein Schritt pro
Taktschlag, unter Ignorierung der Melodie.“
Da versteh
ich wirklich nur noch (Giesinger) Bahnhof:
Tango
braucht also einen klaren Rhythmus
und kein „Dahinwabern von Melodien“. Allerdings hat er keinen festen Rhythmus.
Daher soll man diesen tänzerisch abwandeln und keinesfalls nur auf den Taktschlag tanzen, sondern lieber auf
die Melodie?
Tja, Theres,
das kannst bei Piazzolla alles haben…
Ihre
abschließende „Polemik“, welche nach
eigenem Bekunden auf mich gemünzt ist:
„Es gibt eine Art von Beschwerde,
die man öfter liest oder hört: Dass die Musik zu langweilig sei, um gut darauf
zu tanzen; dass man umgekehrt umso besser tanze, je ‚interessanter‘ die Musik
sei, womit meistens ‚moderner‘ gemeint ist (…).
Meine Gegenthese dazu ist: Fast
jedes Stück von den späten 20-ern bis zu den mittleren 40-er Jahren enthält so
viele Impulse fürs Tanzen in Sachen Rhythmus, Klangfarbe, Melodie, Phrasierung,
dass es auch für Tänzer mit einem großen Repertoire an Elementen und
Bewegungsqualitäten eine Herausforderung ist, darauf zu tanzen.
Wer Input zum Tanzen bei (halbwegs
gut ausgewählter) traditioneller Musik vermisst, ist entweder taub oder hört
nicht hin, oder er langweilt sich mit seinen eigenen Bewegungen.“
Na gut, ein
wenig schwerhörig bin ich ja – aber ich langweile
mich durchaus nicht auf jeder „traditionellen“ Milonga. Und wenn, dann
weniger wegen des Alters der Musik,
sondern aus zwei anderen Gründen:
Viele DJs
legen völlig schmerzbefreit ständig wieder dieselben
Einspielungen auf, und zudem häufig wirklich langweilige Aufnahmen, bei denen ich bereits nach zehn Sekunden
ahne, wie es nach dreieinhalb Minuten endet. Das mag ich weder bei Krimis noch beim Tango. Natürlich gibt es aus allen
Tangoepochen interessante Musik, aber viele DJs leitet wohl die panische Angst, in der Szene als jemand
zu gelten, der „Unbekanntes“, „Schwieriges“ oder gar „Untanzbares“ auflegt.
Und wenn ich
einen Wunsch frei hätte: Mir geht es
um Tango, nicht um irgendwelche Musik, zu der man
Tangoschritte machen kann. Insofern würde ich mich freuen, wenn man endlich die
dämlichen Themaverfehlungen ließe.
Vielleicht
trägt ja die vorstehende Enzyklika
von Theresa Faus nun dazu bei, die Scheiterhaufen
wieder eher zur Raumbeheizung zu nutzen. Der Vielfalt im Tango würde es guttun.
Edit (12.1.19, 17.00 Uhr):
Es ist erreicht - eine halbe Million Zugriffe auf mein Blog! Herzlichen Dank an alle Leser!
Edit (12.1.19, 17.00 Uhr):
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