Von geschlossenen Gruppen und Zellen
In unserer oberbayrischen Umgebung geht es auch in der Justiz schon mal deftig zu: Ein 48-Jähriger (also beginnendes Tangoalter) aus dem Landkreis Pfaffenhofen musste sich jüngst vor dem Landgericht Ingolstadt verantworten.
Der Grund: Vor drei Jahren hatte er auf Facebook (also in der „freien Diskussionswelt“, wie es kürzlich ein Kommentator auf meinem Blog nannte) das unternommen, was jener eventuell als „Meinungsaustausch“ versteht: Er nannte einen Ingolstädter Oberstaatsanwalt einen „oreidigen Hosenscheißer“ (bayrisch „oreidig“: „widerlich“, „ekelhaft“).
Sein Pech war, dass eine Mitarbeiterin der Polizei im benachbarten Geisenfeld mitlas und das Ganze behördlich weiterleitete. Obwohl der Beleidigte keinen Strafantrag stellte, sah die Justiz wohl das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung als gegeben an. Die Rechtspflege kann in eigener Sache ziemlich empfindlich werden.
Persönlich kenne er den Oberstaatsanwalt zwar nicht, so der Angeklagte, der sei aber als Behördenchef verantwortlich dafür, dass Verfahren gegen ihn liefen, während man Vergleichbares gegen andere eingestellt habe. Eine krasse Ungerechtigkeit also…
Wie es zu dem beleidigenden Facebook-Post gekommen sei, so der Beschuldigte, wisse er nicht. Schließlich habe er ihn gegen vier Uhr früh eingestellt. Daher vermute er, damals betrunken gewesen zu sein.
Interessant! Mir fällt sei langer Zeit auf, dass die übelsten Kommentare mein Blog erst nach Mitternacht erreichen. Ob die Urheber ebenfalls besoffen waren? Oder reichten die Medikamente nicht? Auffallend sind solche Parallelen jedenfalls.
Im Übrigen meinte der Angeklagte, es habe es sich um eine geschlossene FB-Gruppe gehandelt, mithin also eine private Äußerung. Das ließ die Vorsitzende Richterin allerdings nicht gelten – und da lacht das Blogger-Herz: In einer Facebook-Gruppe mit 769 Mitgliedern sei das als öffentlich zu betrachten.
Seit Jahren wird mir vorgehalten, ich dürfe aus „privaten Gruppen“ nicht zitieren. Immer wieder habe ich meine gegenteilige Auffassung dargelegt und begründet – mit mäßigem Erfolg. Zwei Beispiele:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/02/von-der-vorgeblichen-vertraulichkeit.html
https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/01/an-die-konstruktiv-kollegialen-im-tango.html
Nun gut, am Landgericht Ingolstadt ist man wohl meiner Ansicht!
Der dortige Angeklagte gehört anscheinend zu einer in den sozialen Medien nicht seltenen Spezies, die sich permanent ungerecht behandelt fühlt und entsprechend austeilt. Als ihm Ingolstädter Polizisten einmal die Benutzung der Toilette im Dienstgebäude verwehrten, habe er an die Hauswand gepinkelt und die Beamten beleidigt. So schafft man sich Freunde…
Der Mann wurde bereits sechs Mal verurteilt, dreimal zu Haftstrafen. Seit einem Monat logiert er nun in der JVA Augsburg-Gablingen (!) in Untersuchungshaft. Der Grund: Er war wegen der Sache mit dem Staatanwalt vom Amtsgericht Pfaffenhofen zu vier Monaten auf Bewährung verdonnert worden, wogegen er natürlich Berufung einlegte. Bei der Verhandlung fehlte er jedoch und war auch in seiner Wohnung nicht anzutreffen. Daraufhin setzte es einen Haftbefehl.
Um weitere Ausfälle des Beschuldigten zu verhindern, waren vier Justizbeamte anwesend. Sie konnten jedoch nicht verhindern, dass er seinen Pflichtverteidiger als „Drecksau“ titulierte und drohte, ihm „oane zu zentrieren“ (Wirtshaus-Bayrisch für „eine aufs Maul hauen“). Auf Ordnungsstrafen verzichtete die Richterin. Der Herr sitzt ja sowieso.
Weitere Ermittlungsverfahren gegen ihn laufen derzeit. Die Justiz dürfte also weiterhin Spaß mit dem ungerecht Behandelten haben. Auf Facebook posten kann er jedoch momentan nicht – im Netz zu surfen ist im Knast verboten.
Was will uns dieser Fall sagen?
Es mag ja sein, dass sich auch im Tango manche Zeitgenossen permanent angegriffen und beleidigt fühlen. Das gehört zur Folklore unseres Tanzes.
In der Regel agieren dabei Männer gesetzten Alters mit einem Hang zur verbalen Attacke.
Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde jüngst gefragt, was sie zu den Auseinandersetzungen zwischen Olaf Scholz und Christian Lindner sage. Ihre spontane Antwort: „Männer!“ Was daran typisch männlich sei? „Zum Beispiel, Dinge persönlich zu nehmen. Das sollte man in der Politik tunlichst vermeiden."
https://www.tagesschau.de/inland/merkel-interview-122.html
Im Tango auch.
Man lasse sich daher bei seinen öffentlichen Äußerungen von einem Rest Vernunft leiten, denn auch die sozialen Medien sind kein rechtsfreier Raum. Falsche Tatsachenbehauptungen oder persönliche Herabsetzungen können durchaus mal vor dem Richter enden.
Natürlich wäre das schreiend ungerecht.
Das ist der Justiz allerdings egal.
Quelle: Pfaffenhofener Kurier vom 21.11.24, S. 20
P.S. Manche missverstehen vor Gericht den Begriff „Verteidigung“:
Gerhard, dein Text liest sich wie das Tagebuch eines selbsternannten Hüters von Anstand und Moral. Da steht einer vor Gericht, weil er einen Oberstaatsanwalt beleidigt hat, und du kannst es nicht lassen, diesen völlig unbedeutenden Vorfall zu einem Leuchtturm für deine Lieblingsagenda aufzublasen: die ach so verkommene Welt der sozialen Medien und – natürlich – des Tangos. Hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, wie oft du dich selbst in der Rolle des beleidigten Moralapostels wiederfindest? Wahrscheinlich nicht, sonst würdest du diesen Artikel vielleicht mit etwas mehr Selbstironie würzen und weniger Selbstgefälligkeit.
AntwortenLöschenDas Beste ist ja, wie du dich hämisch über die Entscheidung des Gerichts freust, weil sie zufällig deiner Ansicht zu ‚privaten Gruppen‘ entspricht. Glückwunsch, Gerhard, du hast recht behalten! Jetzt kannst du dir endlich dein eigenes Richtergewand überwerfen und deine Leser weiterhin belehren, als wärst du der letzte verbliebene Vernunftbegabte im Chaos der digitalen und tänzerischen Welt. Dabei merkt man bei jedem Satz: Es geht dir gar nicht um die Sache, sondern nur darum, dich selbst als den überlegenen Denker und Tugendwächter zu inszenieren.
Die Krönung ist deine absurde Parallele zwischen einem betrunkenen Rüpel und den angeblich typischen Tangomännern, die ‚alles persönlich nehmen‘. Mal ehrlich, Gerhard: Glaubst du wirklich, dass du nicht längst Teil dieser Kategorie bist? Dein verbales Gekeile gegen jeden, der dir nicht in den Kram passt, deine endlosen Selbstvergleiche mit Höchstgerichten und deine ständige Überheblichkeit gegenüber allem und jedem, was nicht deinem moralischen Ideal entspricht – klingt ziemlich ‚gesetztes Männerverhalten mit Hang zur Attacke‘, findest du nicht?
Vielleicht solltest du mal weniger nach den Fehlern anderer suchen und ein bisschen an deiner eigenen Selbstwahrnehmung arbeiten. Die Justiz, der Tango und Facebook kommen nämlich hervorragend ohne deinen missionarischen Eifer aus – und deine Leser vermutlich auch.
Na, da hat sich ja jemand große Mühe gegeben. Kompliment! Daher nehme ich die moralische Wertung demütig entgegen. Ich hoffe aber, Sie zerkratzen mit Ihrem erhobenen Zeigefinger nicht die Decke. Wäre doch schade!
LöschenMissionar bin ich allerdings keiner. Die kommen öfters in die Suppe, was ich nicht haben muss.
Auch mit der Moral habe ich es nicht so. Das Wort riecht für mich zu sehr nach Spießer-Wohnzimmer in Eiche rustikal, Ronda und Cabeceo.
.... und Sie kapieren wieder einmal nicht, das Zitieren und Beleidigen zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Außerdem 'zitieren' Sie nicht nur, sondern kopieren ganze Kommentare in Ihren Blog ohne die betreffenden Personen darüber zu informieren. Aber spielen Sie sich ruhig weiter als Richter und Juristen auf ....
AntwortenLöschenIch hatte schon befürchtet, dass ich bei diesem Thema ohne Ihre geschätzte Ansicht auskommen müsste.
LöschenDaher an meine Leserinnen und Leser (nicht an Sie, da ist Überzeugungsarbeit zwecklos): Natürlich muss man zum Zitieren auch kopieren (eigentlich logisch). Darüber hinaus verlangt ein Zitat aber stets die inhaltliche Auseinandersetzung mit dessen Inhalt. Ich meine, diese regelmäßig zu liefern.
Haben Sie eine rechtliche Quelle zur Informationspflicht an Zitierte? Würde mich interessieren.
Ich habe nie behauptet, ein Jurist oder Richter zu sein. Es wäre also leicht durchschaubar, wenn ich mich als solche aufspielte. Aber auch ein juristischer Laie darf sich freuen, wenn seine Rechtsauffassung durch Profis bestätigt wird. Soll es häufig geben...