Nix los?

 

Gestern fand ich in einer Tango-Facebookgruppe die interessante Anfrage einer Tänzerin:

„Guten Morgen! Kann jemand etwas zu den Milongas Sabado Ingles und Morena Milonga sagen? Ist dort viel los? Wie sind die Tänzer? Lieben Dank!“

Ich finde, diese Erkundigung beschreibt treffend das Elend im heutigen Tango. Welche Eigenschaften einer Milonga bestimmen darüber, ob man einen Besuch für aussichtsreich hält?

Nehmen wir zur Kenntnis: Es muss also „viel los“ sein. Die Quantität entscheidet folglich über die Qualität. Zahlreiche Gäste garantieren, dass die soziale Komponente nicht zu kurz kommt: Man wird viel sehen, was zum Trugschluss führt, auch viel gesehen zu werden.

Leider habe ich bei großen Events oft genug erlebt, dass unbekannte Tänzerinnen ignoriert werden. Die Männer haben ja die Auswahl unter einer Menge Frauen, die ihnen gut bekannt sind. Wieso dann etwas Neues wagen?

Na ja, aber vielleicht ist wenigstens sonst „etwas los“: Als Trostpreis für Sitzengebliebene gibt es ja eventuell einen Kleider- und Schuhverkauf – oder es bleiben wenigstens etliche Kolleginnen ähnlichen Schicksals, mit denen man ellenlange Gespräche führen kann. Nicht, dass einen die Peinlichkeit ereilte, mal der Musik zuhören oder das Parkett beobachten zu müssen!

Der andere scheinbare Erfolgsgarant ist die Qualität der Tänzer. Selbstverständlich geht man ohne jeden Beweis davon aus, dass diese dann einem selber zur Verfügung stehen – was in der Praxis allerdings höchst unwahrscheinlich ist. Stattdessen dürften sich die lieber mit ihrem „Stammpersonal“ vergnügen.

Zudem schimmert für mich bei solchen Anfragen die Illusion durch, die Herren bewirkten, dass ihre Partnerinnen auf dem Parkett gut aussähen. Sorry, Ladies, tatsächlich wäre die Gefahr groß, dass die Unterschiede im Können für alle sichtbar würden. Aber keine Angst: Sehr gute Tänzer (tatsächlich oder gefühlt) werden sich meist einen Dreck um neue Gäste kümmern! Oder sind Sie unter Dreißig und arbeiten als Model? Na eben!

Werde ich es im Tango noch erleben, dass viele Frauen eine Milonga im Bewusstsein besuchen, dass sie ja selber tanzen können und es daher mit fast jedem Tanguero irgendwie hinkriegen? Ich fürchte: nein.

Was mich inzwischen nicht mehr überrascht: Die gebotene Musik ist keiner Erkundigung wert. Wieso auch? Es dudeln doch auf den meisten Milongas die vertrauten, gleichen Aufnahmen! Dass Tanzen mal eine Beschäftigung war, bei der es in erster Linie um die konkrete Gestaltung der gespielten Klänge ging, ist längst vergessen.

Daher verwundert es mich nicht, dass ein bekannter DJ die obige Anfrage wie folgt beantwortete:

„Sabodo ingles ist klein, persönlich, sehr freundlich, im Hinterraum eines Wirtshauses, und im inneren Westen der Stadt

Morena ist in einem Gemeindesaal im Osten, wohl etwas größer.

Niveau der Tänzer ist Geschmackssache ....“

Merke: Auch für jemanden, der sich hauptsächlich mit dem Auflegen beschäftigt, ist die Musik kein Thema. Vor Jahren hätte mich eine solche Auskunft noch überrascht.

Auch hier geht es wieder vorrangig um die Quantität. Wobei der Schreiber wohl von einer der beiden Veranstaltungen kaum etwas weiß. Aber auch das ist im Tango kein Ausschlusskriterium.

Quelle: https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen/posts/guten-morgen-kann-jemand-etwas-zu-den-milongas-sabado-ingles-und-morena-milonga-/10160438307966186

Was bleibt für einen Tango-Rentner da noch zu sagen?

Dass ich meine schönsten tänzerischen Erlebnisse oft in ganz kleiner Runde mit einem halben Dutzend Leute hatte? Und zu einer Musik, die man auf kaum einer der üblichen Veranstaltungen hört?

Und wenn: In welcher Sprache würde mir eine Verständigung gelingen?

Halten wir lieber fest: Milongas sind Treffen mit hoffentlich zahlreichen Sozialkontakten und der Option auf Partnerfindung in beliebiger Hinsicht. Die Musik bietet den formalen Anlass zur Bewegung auf dem Parkett in möglichst inniger Umarmung. Natürlich nur mit guten Tanzpartnern.

Und es muss „viel los“ sein.

Was auch immer…

Illustration: www.tangofish.de

Kommentare

  1. Lieber Herr Riedl,
    eines verstehe bei diesem Artikel nicht: Warum kritisieren Sie die Auswahlkriterien dieser Tänzerin? Ihre Kriterien, die Musik, kritisiert ja auch keiner. Ihnen ist moderne Musik sehr wichtig, anderen eben eine Mindestanzahl an geeigneten Tanzpartnern.
    Sie unterstellen, dass es ihr nur um Quantität geht, aber vielleicht geht es ihr ja einzig um die Qualität potenzieller Tanzpartner, die sind oft nur in gefüllten Milongas zu finden. Vielleicht glaubt sie auch am höheren Zulaufdie Qualität a) der Musik b) der Tanzfläche und c) das Tanzniveau der Besucher beurteilen zu können. Denn wenn die Qualität der Milonga stimmt, kommen oft auch viele Gäste. Und jede/r hat das Recht, eine Milonga nach seinen eigenen Kriterien zu beurteilen, ohne, dass man ihm/ihr unterstellt, oberflächlich zu sein. Diese Unterstellungen entstammen nur Ihren eigenen Vorurteilen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Stefan Seipel

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    1. Lieber Stefan Seipel,
      ich gehe stets von den Texten aus, wie ich sie lese, und äußere keine Vermutungen, was sonst noch gemeint sein könnte.
      Die Fragerin hat ihre Auswahlkriterien dargelegt, was ihr selbstverständlich unbenommen bleibt. Ich stelle lediglich fest, was das aus meiner Sicht für die Entwicklung des Tango bedeutet.
      Wer Texte veröffentlicht, muss Gegenpositionen ertragen. Sie haben ja auch nicht um Erlaubnis gefragt, mich kritisieren zu dürfen. Ich habe der Fragerin nicht unterstellt, „oberflächlich“ zu sein. Ihre Kriterien sind halt nicht meine.
      Meine musikalischen Präferenzen (siehe Tango nuevo) wurden öffentlich schon viele Male schärfstens kritisiert. Nicht immer in einer halbwegs manierlichen Weise. Für Empfindsamkeiten sehe ich daher keinen Anlass.
      Ansonsten kann man bei verschiedenen Themen unterschiedlicher Auffassung sein. So glaube ich beispielsweise nicht, dass auf großen Veranstaltungen der Prozentsatz routinierter Tanzender höher ist. Und „geeignete Tanzpartner“ müssen nicht unbedingt gut tanzen. Der Zulauf bei Milongas hat nicht zwingend mit ihrer Qualität zu tun. Da gibt es eine Fülle von Motiven.
      Auf meinem Blog werden Meinungen geäußert, aber keine Urteile gefällt. Nicht mal Vorurteile.
      Danke und beste Grüße
      Gerhard Riedl

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