Von Zeitlupen-Look, Motten und innerer Schönheit
„Wundeware Tänzer!“ (Video-Ankündigung einer Tangolehrerin)
Bei der kommerziellen Tangowerbung staune ich immer wieder über die Mixtur aus plumper Reklame und pseudophilosophischem Blödsinn. Eine ergiebige Quelle ist die ungarische Facebook-Seite „Tango2Vacation“.
Neulich glaubte man, sich näher mit dem Begriff „Schönheit“ befassen zu sollen:
„Schönheit ist das, was mit der Zeit zu dir kommt. Je länger Frauen und Männer im Tango sind, desto mehr Schönheit nehmen sie auf... Vielleicht geht es um Akzeptanz. ... wenn man sich gemeinsam bewegt und das genießt, die Freude des Partners wahrnimmt, wenn man sich umarmt und umarmt wird ... Im Tango kannst du dich selbst akzeptieren, weil die anderen dich akzeptieren. Dann ist jede harmonische Bewegung mit dem Partner und mit der Musik, jede denkwürdige Umarmung ein Gewinn für das Sparschwein der persönlichen Schönheit.“
Na, ob beim Tango jeder (und jede) akzeptiert wird? Aber vielleicht gilt das ja für Budapest.
Schön sind einige Antworten zur obigen Schwärmerei:
„Ich schaue in den Spiegel - es funktioniert nicht. Irgendetwas muss damit falsch sein...“
„Du hast es absorbiert, also ist es eine innere Schönheit. Alles ist gut.“
„Aber wer kümmert sich um innere Schönheit, wenn man sie nur per Endoskop sehen kann?“
Nun, auch die Schönheit der Darmschleimhaut sollten wir nicht ignorieren…
Auch die Pflichten der Frauen werden angesprochen.
„Tango ist wie das Leben, man muss seine Stärken darin finden, und wenn man das getan hat, kann man sie überall einsetzen. Wenn man zum Beispiel eine Folgende ist, muss man auf die Linien seines Körpers achten, um elegant zu sein, aber damit ein Paar seine Sinnlichkeit wirklich zum Ausdruck bringen kann, muss man sich mit der Art und Weise verbinden, wie man versucht, sich gegenseitig zu verführen...
Wir müssen unsere Bewegungen kontrollieren, aktiv und präsent sein, um das auszudrücken, was die Führenden uns vorschlagen, aber auch in der Lage sein, es mit all unserer Kraft und unseren Gefühlen zu tun. Wenn wir so tanzen, können die Führenden besser tanzen und sich auf mehr Arten ausdrücken. (Ein Ausschnitt aus dem Buch Tango Tips by the Maestros von Dimitris Bronowski)“
Zweifellos sollten Folgende auf ihre Linie achten. Daher überzeugen mich Milongas mit Fingerfood-Mitbringzwang nicht so ganz. Ganz klar ist aber: Die Damen haben die Grundlage dafür zu schaffen, dass die Herren sich ausdrücken können.
Hier geht es nun um den Geisteszustand der Frauen und ihre Bewegungsweise bei paarweisen Betätigungen verschiedener Art:
„Die Entspannung im Tango ist kein gewöhnlicher Zustand der Entspannung. Es geht darum, ein sehr feines Gleichgewicht zwischen intensiver Konzentration und Loslassen zu erreichen. Nur in diesem besonderen Geisteszustand kann eine Frau jede Bewegung des Mannes spüren und ihr sofort folgen, in Harmonie und ohne nachzudenken. Es ist nicht anders als beim Liebesspiel, nur konstanter. Der Körper muss nicht angespannt sein, aber er braucht einen starken Tonus und eine ‚Dichte' der Bewegung, um diese aufregende ‚kontrollierte Kraft' zu erzeugen, eine Art Zeitlupen-Look des Tangos, wie zurückgehaltene Geschwindigkeit. (Astrid)“
Zeitlupentango? Kennen wir doch alle… Dann doch lieber etwas Handfestes – beispielsweise, indem man Silberschmuck verkloppt:
„Schauen Sie sich unsere Tango-Schmuckkollektion an https://bit.ly/TangoJewellery Limitierte Serie, handgefertigter Schmuck aus Sterling Silber. ✨ Wir bieten 5% Rabatt auf jedes unserer Schmuckstücke, wenn Sie Ihre Bestellung bis zum 24. Dezember aufgeben.“
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Oder möchten Sie endlich mal musikalisch tanzen können? Dann verpassen Sie nicht das Last Minute-Angebot auf einer anderen Facebook-Seite:
„Haben Sie sich jemals gefragt: „Wie kann ich mich selbstbewusst fühlen, auch wenn ich den Song nicht kenne?“
Es geht nicht darum, Schritte auswendig zu lernen... es geht darum, die Musikalität zu meistern.
Wenn du schon seit Monaten – oder sogar Jahren – versuchst, eine Verbindung zur Musik herzustellen, bist du nicht allein.
Es kann sich so anfühlen, als sei die Musikalität einfach unerreichbar und als fehle etwas in deinem Tanz.
Wir verstehen das vollkommen! Wir haben das auch schon erlebt.
Wir wissen noch, wie sich jeder Schritt steif und mechanisch anfühlte.
Die Zweifel schlichen sich ein: Bin ich gut genug?
Oft waren wir in unseren Gedanken gefangen und konnten den Tanz nicht richtig genießen.
So sollte sich Tango nicht anfühlen!
Aber hier die gute Nachricht: Wir haben nicht aufgegeben.
Nach jahrelangem Üben haben wir endlich gelernt, uns mit der Musik zu verbinden, auch wenn wir mit neuen Partnern tanzen!
Jetzt wollen wir dir helfen, diese frustrierenden Jahre zu überspringen und direkt in die Freude am Tanzen einzusteigen!
Also, was ist deine Wahl? (…)
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In dieser Masterclass helfen wir dir, dich von übermäßigem Denken zu befreien, dich tief mit der Musik zu verbinden und mit der Kreativität und dem Selbstvertrauen zu tanzen, das du dir schon immer gewünscht hast.
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Aber warte nicht! Diese Gelegenheit wird es eine Weile nicht mehr geben, und die Plätze sind begrenzt!“
https://www.facebook.com/watch/?ref=saved&v=1586440008623162
Wahrlich, wenn man schon seit Jahren erfolglos
versucht, eine Verbindung zur Musik herzustellen, ist man im Tango nicht
allein. Und ich fürchte, das wird so bleiben. Auch bei begrenzten Plätzen.
Doch klappern wir abschließend noch philosophisch mit mit dem Sargdeckel:
„Aber die Traurigkeit ist auch schön, vielleicht weil sie so wahr klingt und so tief geht, weil es um die Entfernungen in unserem Leben geht, um die Dinge, die wir verlieren, um den Abgrund zwischen dem, was der Liebende und die Geliebte wollen und sich vorstellen und verstehen, was sich jeden Moment unüberbrückbar ausweiten kann, um die Entfernung zwischen der Hoffnung am Anfang und dem letztendlichen Ergebnis, um die Reisen, die wir machen müssen, einschließlich der letzten aus dem Sein und über das Werden hinaus ins Unvorstellbare: die Motte flog ins reine Dunkel. Oder die Flamme.“
Das erinnert mich an einen meiner gefürchteten Lieblingswitze:
Gegen Mitternacht klingelt eine Motte an der Tür eines Arztes. Sie habe so fürchterliche Zahnschmerzen, klagt sie. Darauf der Doktor: „Wissen Sie, wie spät es ist? Außerdem bin ich Internist und kein Zahnarzt.“ Darauf die Motte: „Ja, aber bei Ihnen war noch Licht!“
Es lebe die Wunderware Tango!
Im folgenden Video erklingt zunnächst keine Musik, und später merkt man, dass dies die bessere Idee war:
https://www.youtube.com/watch?v=TR1eDRbgkcA
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