Was auch Susana ärgert
Die bekannte Tangolehrerin Susana Miller hat auf ihrer Facebook-Seite einen Text veröffentlicht, den ich für bemerkenswert halte. Nicht, weil eine solche Sichtweise neu wäre – aber immerhin legt hier jemand aus der „VIP-Szene“ des Tango die Karten auf den Tisch, was ich mutig finde. Meine Übersetzung des vollständigen Beitrags:
„Wenn ein Milonguero oder eine Milonguera eine fremde Szene besucht, ist der Empfang fast immer kalt und exklusiv. Man lässt den Gast hängen wie ein Bild an der Wand, und er geht sogar, ohne getanzt zu haben.
Die Einheimischen verhalten sich wie eine obere Kaste, die sich nicht herablässt, mit einem Fremden zu tanzen, als ob der Arme Czardas und nicht Tango tanzen würde.
Tango braucht Zeit, um ihn zu lernen und in die Spur zu kommen. Es fiel uns allen schwer, das zu schaffen. Ihm auch. Warum muss der Besucher Maut zahlen, nur um sich hinzusetzen und festzuhängen?
Apartheid ist eine Form von Narzissmus und mangelnder Tango-Empathie.
Der Besucher betreibt Tangotourismus in der Erwartung, seine Leidenschaft zu teilen und mit anderen in Kontakt zu kommen. Ich bezahle für eine Eintrittskarte und ein Getränk, und er ist allein wie in einer U-Bahn inmitten einer Menschenmenge, die ihn ignoriert. Der Tango ist ein universelles Erbe und kennt keine Grenzen.
Aber stattdessen machen sie einen abgeschotteten Klub daraus, obwohl die Besucher meist gute Tänzer sind.
Tango ist eine Verbindung im Paar, mit der Musik, mit der Piste und mit allen, die diese Leidenschaft teilen. Es ist unethisch, ihn zu erniedrigen.“
In den über 60 Kommentaren finden sich nur wenige, die dem generell widersprechen. Das Phänomen scheint also weltweit bekannt zu sein. Viele schildern ihre persönlichen Erfahrungen, die fallweise durchaus verschieden sind. Es überwiegt aber die Bestätigung von Susana Millers Sichtweise.
Eine kleine Auswahl:
„Ein fremdes Land? Das ist mir in Houston ständig passiert (wegen meines Alters, wurde mir gesagt). Nachdem ich jahrelang für Unterrichtsstunden bezahlt hatte, um zu lernen und wie ein Mauerblümchen dazusitzen, habe ich es endlich begriffen.“
„Es ist traurig, aber sehr wahr. Die Tango-Szene ist nicht wie die von anderen Gesellschaftstänzen, wo die Gemeinschaft eher Tanzende aus anderen Gegenden aufnimmt, im Gegensatz zu der ‚cliquenhaften‘ Art vieler Tango-Enthusiasten, besonders, wenn man kein Spanisch spricht.“
„Alle Tanzgemeinschaften werden letztendlich die Tanzszene kultivieren, welche sie verdienen. ... Im Guten wie im Schlechten.“
„In den Tango-Communities gibt es definitiv Cliquen, und je nachdem, wo man sich befindet, kann das Alter ein enormer Faktor sein (d.h. man ist drin oder draußen).“
„Wenn der Veranstalter die Initiative ergreift, lässt sich dies abmildern. Die einzige andere Möglichkeit ist, wenn ein Tango-Star entweder mit dir tanzt oder eine sehr sichtbare Geste macht, dass er/sie dich kennt.“
„Ich habe Szenen von Montreal bis Los Angeles besucht, einige sind wunderbar auf Besucher eingestellt, andere nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es am besten ist, wenn ich vor meiner Ankunft mit jemandem Kontakt aufnehme, sei es durch gemeinsame Freunde oder Empfehlungen. Auf diese Weise erwartet mich jemand. Das ist aber nicht immer möglich. Manchmal bin ich einfach aufgetaucht und wurde mit wunderschönen Tandas gesegnet... Manchmal bin ich mit einem anderen Besucher gekommen, und wir wurden ‚Kumpel‘, die sich die Nacht über aufeinander verlassen konnten. Ich hatte nur eine einzige schreckliche Nacht, die mich in Tränen ausbrechen ließ. Ich muss nicht in Gemeinschaften zurückkehren, die keine Besucher wollen.“
„Ich stimme nicht zu, Susana, ich glaube, die Argentinier sind großzügiger gegenüber Ausländern als gegenüber einheimischen Milongueros. Die meisten Milongas sind exklusiv. Sie tanzen unter Bekannten. Wenn eine neue Person kommt, braucht sie eine lange Zeit, um sich einzugewöhnen. Doch der Ausländer verführt den Einheimischen. Zum Glück gibt es inzwischen einige Milongas, die alle einschließen, wo jeder tanzen kann, wo Menschen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts miteinander tanzen können. Wo die Menschen authentischer sind, weniger Vorurteile haben und mehr Unterstützung bieten.“
„Ich fand die Tango-Community kalt, cliquenhaft und narzisstisch. Obwohl ich ein paar liebe Seelen gefunden habe... Ich konnte nicht bleiben. Ich vermisse den Tanz.“
„Danke Susana Miller, du hast völlig recht. So oft dachte ich, es sei mein persönliches Problem, dass ich stundenlang in einer Milonga sitze, obwohl ich eine sehr erfahrene Tänzerin bin. Und wenn ich meine High Heels ausziehe, meine flachen Schuhe nehme und anfange zu führen, dann sind viele, die in der gleichen Situation waren, ganz glücklich. Für mich ist Tango ein sozialer Tanz, und ich hoffe sehr, dass sich diese Ansicht immer mehr durchsetzt…“
„Ich gebe vor allem den Lehrern die Schuld. Ich denke, einige vernachlässigen die Vermittlung der Tangokultur völlig. Oder manchmal sind sie selbst ein Beispiel für Arroganz und Exklusivität, die ihr Ego verwöhnen und sie meinen, dass dies ihrem Geschäft zugutekommt, dabei aber die Tangogemeinschaft in geschlossene Gruppen aufteilen. Ihre Schüler fühlen sich nur innerhalb der Gruppe wohl und haben Angst oder sind zu hochmütig, mit einem Fremden zu tanzen.“
Quelle:
Ich meine, man kann nicht alle Milongas über einen Leisten schlagen. Ich kenne Veranstaltungen, wo es sehr sozial abläuft und in der Regel alle genügend zum Tanzen kommen. Bezeichnenderweise sind es meist die Veranstalter, die mit gutem Beispiel vorangehen und für die passende Atmosphäre sorgen.
Und klar, auch ein Gast hat die Wahl, ob er auf andere zugeht oder sich beleidigt in eine Ecke verkrümelt. Ich habe allerdings zahlreiche Milongas kennengelernt, wo auch sozial Hochbegabte scheitern.
Nach meiner Ansicht sind es zu viele, um das Phänomen als „Betriebsunfälle“
abzutun. Natürlich muss man solche Veranstaltungen kein zweites Mal
besuchen. Mache ich seit Jahren so und kann daher eher von Milongas berichten,
in denen es aufgeschlossen und freundlich zugeht. Insofern sehe ich die Zustände eher positiver als sie wirklich sind.
Man sollte aber nicht ignorieren, dass abgehobene Cliquenwirtschaft und abweisendes Getue für den Ruf unseres Tanzes Gift sind. Viele meiden den Tango oder haben ihn aufgegeben, weil sie ihren Feierabend oder das Wochenende nicht in arroganten Zirkeln verbringen wollen. Und das oft noch bei langweiliger Musik. Möchten wir tatsächlich mit diesem Image leben?
Als wir vor langer Zeit mit eigenen Milongas anfingen, war uns klar, dass wir eine Kultur der Freundlichkeit und Rücksichtnahme etablieren wollten. Und alle, die tanzen wollten, sollten das auch tun können.
Wir haben uns damals nicht explizit überlegt, wie wir reagieren würden, wenn wir arrogantes und „exklusives“ Verhalten erleben würden. Interessanterweise konnten wir es fast nie beobachten. Warum?
Wahrscheinlich, weil wir es selber anders vorlebten. Sicherlich heißt das dann auch, dass man Tanzrunden akzeptieren muss, die kein reines Vergnügen sind. Wir haben diesen Preis aber gerne bezahlt.
Es gab einen einzigen Besucher, der uns öfters mitteilte, er habe eben seine Lieblingspartnerinnen, während er mit anderen bestimmt nicht tanzen werde. Ich bedauere heute noch, dass wir ihm nicht gleich mitgeteilt haben, mit dieser Einstellung sei er bei uns falsch und möge daher nicht mehr kommen. „Zum Glück“ benahm er sich dann noch in anderer Weise daneben, was zum sofortigen Rausschmiss führe. Muss ich hinzufügen, dass er selber ein lausiger Tänzer war?
Ich glaube, es liegt auch an der Musik, die wir bieten: Sie ist nicht nur abwechslungsreich, sondern fallweise auch recht kompliziert. Das lockt eher Menschen an, denen es wirklich ums Tanzen geht – und nicht diese Tätigkeit als Vorwand für ihre Ego-Shows nutzen. Leider geht die Gesamtentwicklung im Tango in eine andere Richtung.
Aber gut, man kann immer nur spekulieren, wieso sich Menschen so oder anders verhalten. Aber wenn ich lesen muss, es sei schließlich sein „gutes Recht“, nur mit speziellen Leuten zu tanzen oder Körbe zu verteilen, kann ich nur sagen: juristisch sicherlich.
Ebenso, wie man jemanden bitten könnte, nicht mehr zu kommen. Weil er den Ruf des Tango schädigt. Aber dem steht ein gewichtiges Argument entgegen: das Eintrittsgeld…
Money makes the world go around!
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