Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 33

 

Neulich hatte ich auf einer Milonga ein tänzerisches Erlebnis, über das ich länger nachdachte:

Wie es zur Aufforderung meiner Partnerin kam, möchte ich nicht näher erklären, da mir daran liegt, nichts Persönliches zu offenbaren. Jedenfalls war die Dame eher gesetzten Alters und vom Äußeren her nicht gerade tangomäßig übertrieben aufgerüscht. Gut möglich, dass ich sie an diesem Tag übersehen hätte.

Die Musik ging in Richtung Elektrotango-Balladen, und bei denen finde ich es spannend, nicht dem (leider oft monotonen) Rhythmus hinterher zu tanzen, sondern sich auf musikalische Höhepunkte, dynamische Veränderungen sowie plötzliche Stopps und Pausen zu konzentrieren, Legato-Passagen auszutanzen.

Jedenfalls war ich sehr angetan davon, dass meine Tänzerin die Musik erstaunlich gut auffasste, eigene Aktionen einstreute und sehr viel zu einer wirklich schönen Verständigung beitrug. Und obwohl sich drei Neotangos ziemlich lang hinziehen können, bereute ich keine Sekunde unseres gemeinsamen Tuns – was auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien.

Irgendwie dämmerte mir hinterher, dass wir wohl schon einmal miteinander getanzt hatten. Meine Erinnerungen waren aber ziemlich vage, und das war der Grund, mir meine Partnerin später noch „von außen“ auf der Piste zu betrachten: Na ja, auf der technischen Seite gab es da schon einiges zu verbessern – Achse, Dissoziation, Beinarbeit, Körperspannung. Irgendwie hing sie ziemlich an ihrem Tänzer. Gut, seinen Beitrag zum Ganzen konnte ich nur vermuten.

Auf der Heimfahrt kam mir der unangenehme Gedanke: Hätte ich sie aufgefordert, wenn ich diese Beobachtungen schon vorher gemacht hätte? Und falls doch: Mit welchen Erwartungen wäre ich in diesen Tanz gegangen? Hätten die das Ergebnis beeinflusst?

Ich fürchte, wir gehen viel zu sehr davon aus, wie wir einen Menschen auf dem Parkett agieren sehen. Das kann sich mit einem anderen Partner, einer unterschiedlichen Musik erstaunlich verändern – und zwar in beide Richtungen. Es hilft also nichts: Wir müssen es stets selber probieren!

Noch wichtiger aber erscheint mir: Eine gute Technik ist natürlich eine prima Voraussetzung, und sicherlich kann man mit „coolen“ Schrittkombinationen mächtig Eindruck schinden. Eines aber steht haushoch über allem anderen: die Musikalität des Tanzens!

Auch ich habe lange nicht kapiert, mit wie wenig choreografischem Material man die Musik wunderbar interpretieren kann, dass dies auch nicht zwingend eine saubere Tanztechnik erfordert. Wenn man aber an den Rhythmen und Klängen vorbeitanzt, kann man alles andere vergessen!

Die Tragik des Tangounterrichts ist es, all das anzubieten, was für einen guten Tanz zweitrangig ist: Immer noch beziehen sich mindestens zwei Drittel der Kurs- und Workshop-Angebote auf die Choreografie. Und was an „Technik“ gelehrt wird, beschränkt sich oft auf die „allein selig machende“ Umarmung, sprich: das Aneinanderkleben der Partner, welches selbstständige Bewegungen stark einschränkt.   

Als Hintergrund der Misere sehe ich, dass der Kunde natürlich eher das Gefühl hat, etwas „gelernt“ zu haben, wenn man ihm 45 Minuten lang eine Schrittkombination beibiegt oder ihm hilft, seine Krakenarme beim Abrazo zu sortieren. Aber musikalisches Tanzen? Natürlich kann man das nicht per Workshop erlernen – auch wenn es kabarettreife Angebote wie „Ultimate Musicality in 60 Minuten“ gibt. Das dauert in Wahrheit Jahre – und eignet sich daher wenig zum Verkloppen via Unterricht.

Schlimmer noch: Wer unmusikalisch ist, bleibt es auch – selbst wenn bei ihm die weltweite Tangolehrer-Elite in Untermiete logierte. Wobei wir dezent die Frage übergehen, ob es die alle wirklich können…

Wie kann man zum musikalischen Tanzen finden? Einige Anregungen – auch wenn ich weiß, dass die nichts Neues sind:

·       Viel Tangomusik hören – ob im Auto, beim Kochen oder notfalls auf dem Klo! Die üblichen Strickmuster gerade der historischen Aufnahmen sind wirklich ohne Musikstudium erkennbar, wenn man sie oft genug hört – und das dürfte im heutigen Tango doch kein Problem sein!

·       Sich mal allein auf dem Wohnzimmer-Parkett dazu bewegen! Ich weiß, das macht weniger Spaß als der Besuch eines Festivals, ist aber preislich wesentlich günstiger!

·       Tänze anderer beobachten! Das könnte man auf jeder Milonga hinbekommen, falls man es nicht vorzieht, lieber mit anderen Gästen zu quatschen. Selbst heute noch sieht man einzelne Paare, bei denen zuzusehen besser ist als jeder Workshop. Und im Internet findet man Tausende von Tanzvideos, die man immer wieder und kostenlos betrachten kann.

·       Sich mit unterschiedlichen Tangomusik-Stilen beschäftigen: Die zwingen einen nämlich dazu, monotone Bewegungsmuster zu verlassen und sich auf Neues einzustellen.

·       Mit Partnern tanzen, die ein gutes musikalisches Verständnis haben. Klar, von denen sind viele aus der Szene geflüchtet, weil sie das gleichförmige Geschrammel nicht mehr ertrugen. Aber wenn man lange genug sucht, kann man noch welche entdecken.

Das Schönste ist: Das alles kostet Sie wenig bis gar kein Geld – allerdings die Bereitschaft, sich mal selber ums eigene Glück zu kümmern!

Aber niemand trägt Sie zum Tango – auch, wenn er es behauptet oder gar für Geld anbietet!

Abschließend möchte ich meiner Tanzpartnerin dafür danken, dass sie mich auf dieses wichtige Thema gebracht hat – und für die schönen gemeinsamen Tänze sowieso!

Als kleine Reminiszenz nun noch eines der Stücke, zu denen wir getanzt haben. Ganz so toll hinbekommen wie das folgende Paar haben wir es nicht – schon, weil ich über keinen Dreitagebart verfüge.

Großen Spaß gemacht hat es aber!

https://www.youtube.com/watch?v=mQusfSWFt6M

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