„Tango-Tanzen aus Leidenschaft“
Unter diesem Titel entdeckte ich gestern ein Video der ZDF-Sendung „Volle Kanne“, das über die Show „Tanguera“ in der Kölner Philharmonie berichtet.
Im Aufsager zu Beginn werden kurz die Tango-Pflichtklischees „Liebe, Leidenschaft und Schmerz“ ausgepackt, wird von „armen Hafenarbeitern aus dem Ausland“ berichtet – und natürlich von „Giselle“, die ihre Hoffnung auf ein besseres Leben ins Bordell führt. Aber sie verrät nicht, wie es ausgeht…
Dafür das ZDF: Giselle verliebe sich in einen jungen Hafenarbeiter, der sie aus dem Bordell befreien wolle. Doch dafür müsse er sich mit der Mafia anlegen. (Echt, gabs die damals schon in Argentinien?)
Daneben knappe O-Töne von Darstellern. Und selbstverständlich jede Menge triefendes Begehren, das sich in gewaltigem Erotik-Gehuppse entlädt. So heftig übrigens, dass eine Tänzerin (bei 1:40) ihren Schuh in die Ecke katapultiert! Zum Schluss dürfen noch zwei Promis im Publikum etwas sagen: Maite Kelly versucht sich in einer soziologischen Kurzanalyse, und Toni Schumacher berichtet von der Absicht seiner Frau, beide zu einem Tangokurs anzumelden. Ich nehme an, er hat nie stattgefunden…
Die große Befürchtung des Satirikers, von der Wirklichkeit überholt zu werden, realisiert sich auch hier: Die Sendung lief Mitte 2013. Bereits in der ersten Fassung meines Tangobuches (S. 85) schrieb ich 2010 über das heute lächerliche „Puff-Image“, das dem Tango immer noch anhaftet:
„Das hindert allfällige, mit großem Pomp inszenierte ‚Tango-Shows‘ nicht daran, diesen Tanz immer wieder als schwül-erotische Sumpfblüte zu denunzieren.
Standardhandlung: Sex and Crime (Armes Einwanderermädchen kommt im Hafenviertel an, wo es sich umgehend in mittellosen Einwandererjungen verliebt, welcher beim grandiosen Finale vom Zuhälter erdolcht wird.)
Zu allem Überfluss werden meist Choreografien gezeigt, die nicht nur einstudiert sind, sondern auch so wirken. Lasziv angetane, magersüchtige Tangueras vollführen als ‚springende Bügelbretter‘ akrobatische Bühnenfiguren mit schwarz gegelten jungen Burschen, deren stets gleiche Mimik am ehesten an eine akute Gallenkolik gemahnt. Und dieser Quatsch mit Soße füllt, zu horrenden Eintrittspreisen, immer noch große Theater – Hauptsache, das mitteleuropäische Publikum ist begeistert ob dieser ‚original argentinischen Folkloredarbietung‘…“
So viel zu den teutonischen „Latino-Lovern“!
Schrecklicher Verdacht: Haben die Autoren der Show von mir abgeschrieben?
Sehen Sie selbst:
https://www.youtube.com/watch?v=L95l0Lmimu4
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