Die Führung am Ball und im Tango
„Die Emanzipation im Tango ist erst dann verwirklicht, wenn auch Frauen scheiße führen dürfen." (Kommentar von Manuela Bößel zu diesem Artikel)
Der Blogger-Kollege Helge Schütt glaubte gestern, sich „mal so richtig in die Nesseln setzen“ zu müssen, da er in einem Punkt dem „Mainstream“ gar nicht folgen könne.
Nun, in dem Bereich bin ich im Tango bekanntlich Spezialist, so dass mein Interesse geweckt war. Es geht um „führende Frauen“.
Für die sieht der Autor zwei „praktische Vorteile“, die mich schon mal ins Grübeln bringen:
„Frauen, die auch führen können, brauchen auf einer Milonga nicht darauf zu warten, dass sie aufgefordert werden, sondern sie können selber auffordern“
Das kommt mir ein bisschen antik vor. Ich meine, auch Tänzerinnen, die nur folgen, dürfen natürlich andere (sogar Männer) um einen Tanz bitten.
„Wenn im Tango Unterricht von vornherein beide Rollen unterrichtet werden, dann können sich Frauen auch ohne Partner anmelden.“
Ich meine, Single-Anmeldungen sollten stets möglich sein. Wenn im Kurs häufig die Partner gewechselt oder sogar beide Rollen gelehrt werden, sollte das doch kein Problem sein!
Lernen Frauen, die im Folgen erfahren sind, das Führen leichter? Helge Schütt ist nicht dieser Ansicht:
„Das widerspricht sowohl komplett meiner Erfahrung als auch meinem Verständnis vom Tango Argentino.“
Natürlich sei es von Vorteil, wenn man schon ein gutes Gefühl für Balance und Dynamik habe, wenn man anfange, führen zu lernen. Erfahrung helfe, egal, welchen Tanz man vorher schon ausgeübt habe. Da befindet sich der Autor durchaus in Realitäts-Nähe. Als Vorteil beim Führen betrachtet er das jedoch nicht.
Er sehe auf den Milongas jedenfalls etliche Männer, deren „Führungsqualitäten“ er bewundere. Und bei den Damen?
„Selten. Sehr, sehr selten. Und gar keine, wenn ich an Figuren denke, die etwas mehr körperlichen Einsatz erfordern wie zum Beispiel Colgadas. Männliche Führende kriegen das durchaus hin. Weibliche Führende, die Colgadas tanzen, habe ich (im Amateurbereich) noch keine gesehen.“
Nun weiß ich halt nicht, ob man seine tänzerischen Fähigkeiten mittels Colgada nachzuweisen hat – oder seine Qualität als Autofahrer nur in einem Porsche zeigen kann. Selber fahre ich einen Japaner und tanze keine Colgadas.
Und ich habe auf einigen tausend Milongas durchaus eine Menge Frauen erlebt, die sensibler und musikalischer „führten“ als viele Männer.
Für Helge Schütt jedenfalls sind Führen und Folgen „zwei vollkommen unterschiedliche Tätigkeiten“. Für mich nicht.
Man muss ihm zugestehen, dass er seine ganz eigenen Auffassungen davon zugrunde legt, wie die beiden Rollen zu definieren und zu beschreiben seien. Beispielsweise sei es für den Mann ganz wichtig, mindestens einen Schritt „vorauszuplanen“. Mich würde das restlos überfordern, da ich beim Tango stets „im Moment“ bin. Was vorher passiert ist oder in der Zukunft liegt, ist mir völlig egal. Diese Einstellung billigt der Autor aber nur den Folgenden zu. Der Führende trage aber die Verantwortung, auch bei der „Kontrolle des Raumes“ (ein wunderbarer Begriff, wie ich finde).
Das folgende Zitat beschreibt unsere sehr unterschiedlichen Auffassungen perfekt:
„Ein typisches Problem von Folgenden, die Führen lernen, besteht genau darin, dass sie weiterhin selber tanzen wollen (und die Folgende hechelt dann irgendwie hinterher). Das ist aber gerade nicht die Aufgabe eines Führenden.“
Okay, aber gerade beim „Hinterherhecheln“ hatte ich meine schönsten Tangoerlebnisse! Ich nenne es aber lieber „wunderbaren Dialog auf dem Parkett“!
Ich glaube, dass die ständige Fixierung auf klar abgegrenzte Rollen gerade beim Tango in eine Sackgasse führt.
Für mich hängt die Qualität eines Paartanzes nicht davon ab, dass man den Partnern streng abgegrenzte Aufgaben zuweist. Meine Idee ist es, sich miteinander zu bewegen, Ideen und Impulse auszutauschen. Schön wäre es, wenn beide tanzen können, also niemand darauf angewiesen ist, vom anderen herumgeschoben zu werden. Es langweilt mich zutiefst, wenn meine Partnerin nur das macht, was sie als geführt versteht. Im Gegenteil sollten wir uns bemühen, dass „Führen und Folgen“ an Bedeutung verliert – zugunsten eines Miteinanders, in dem die „Rollen“ immer weniger wichtig werden.
Wie gut können die Damen führen? Und wenn nicht – sollten sie es dann nicht lieber lassen?
Das erinnert mich an eine Zeit, in der ernsthaft darüber diskutiert wurde, ob Frauen Fußball spielen sollten. Der Deutsche Fußballbund jedenfalls untersagte es 1955 in seinem Bereich.
Das damalige DFB-Vorstandsmitglied Hubert Claessen sagte dazu: „Das war schon eine schwere Sünde, dass die Mädchen da mit einem wackeligen Busen übers Feld liefen und dann auch noch gegen den Ball traten oder sich gegenseitig foulten.“
Und der renommierte Psychologe Frederik Jacobus Johannes Buytendijk gutachtete: „Im Fußballspiel zeigt sich in spielender Form das Grundschema der männlichen Neigungen und der Wert der männlichen Welt. (…) Das Fußballspiel als Spielform ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen. (…) Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob darum Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nicht-Treten weiblich."
Im konservativen Tango sind daher Boleos bis heute untersagt!
Die weibliche Ballführung jedenfalls konnte der DFB schließlich nicht verhindern. Seit 1970 ist Frauenfußball dort erlaubt. Heute hat er eine große Zahl von Fans. Mich eingeschlossen.
https://milongafuehrer.blogspot.com/2017/12/die-umstellung-von-haushaltsfuhrung-auf.html
Und in meiner näheren Umgebung kenne ich einige Frauen, die hervorragend tanzen und wenig Unterschied zwischen Führen und Folgen machen.
Hier tanzen zwei von ihnen miteinander zu einem ihrer Lieblings-Foxtrotts von Enrique Rodriguez: „LA CALESITA SE DESTROZÓ“ (mit dem Sänger Chato Flores).
Wer führt dabei und wer folgt? Finden Sie es selber heraus!
https://www.youtube.com/watch?v=xim9hjOF4bc
https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/08/wir-tanzen-uns-wieder-warm.html
Hier der Originaltext des besprochenen Artikels:
https://helgestangoblog.blogspot.com/2024/11/fuhrende-folgende.html
Lieber Peter,
AntwortenLöschenich muss gestehen, dass mich zu Beginn eines Tanzes so hehre Gefühle nicht überkommen. Ich mag nicht darüber nachdenken, ob eine Tänzerin sich voller Vorfreude in meine Arme begibt – gleich, wie es werden wird – zumal im Tango die Initiative zu einem gemeinsamen Tanz ja überwiegend vom Mann ausgeht.
Möglicherweise wollte mir die Partnerin nur keinen Korb geben oder hat mich im falschen Moment angeguckt und möchte das Missverständnis nicht aufklären. Oder sie denkt sich: Besser der als die ganze Zeit rumsitzen!
Mir reicht es, wenn wir beide einverstanden sind, es eine Runde lang miteinander zu probieren. Von Manuela Bößel habe ich den schönen Satz: „Er darf mich anfassen, und ich kümmere mich um die Musik.“ Aber natürlich möchte ich mein Bestes geben und hoffe, dass sie dies ebenso will. Das ist doch schon eine ganze Menge!
Mangels entsprechender Erfahrungen kann ich mich zum Führen auf keine Tangolehrkraft berufen – zumal ich der nicht automatisch glauben würde, was sie behauptet.
Mag ja sein, dass eine „feste Rollenverteilung“ anfangs das Lernen erleichtert. Mit der Zeit, so meine ich, sollte man davon wegkommen.
Ich mag es sehr, wenn beide die starre Aufgabenverteilung wegbekommen und einander Ideen und Impulse bieten. Jedenfalls ist das der Moment, wo bei mir die Langeweile schwindet.
Aber ich weiß, dass dies dem heutigen Mainstream im Tango widerspricht. Na gut, soll jeder auf seine Weise glücklich werden. Eine „Emanzipation“ kann ich darin jedoch nicht erkennen.
Danke und beste Grüße
Gerhard
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschenDa muss ich doch noch einmal genauer nachfragen. Du schreibst:
"ich habe auf einigen tausend Milongas durchaus eine Menge Frauen erlebt, die sensibler und musikalischer „führten“ als viele Männer."
Was Du unter "musikalischer Führung" verstehst, hast Du in einem früheren Beitrag erläutert. Dieses Tanzpaar tanzt zum Beispiel nach Deiner Auffassung sehr musikalisch: https://www.youtube.com/watch?v=1CifcnZGIoE
Hier muss ich gestehen: Ich kenne keine einzige Frau, die so führt (weder im Freizeitbereich noch unter professionellen Tänzerinnen). Könntest Du mir bitte ein paar Namen nennen von Frauen, die so führen? Mit allen Hebefiguren? Die würde ich gerne kennenlernen und ihnen einmal live zuschauen, damit ich von ihnen lernen kann, musikalischer zu tanzen.
Vielen Dank!
Liebe Grüße,
Helge
Lieber Helge,
Löschenwenn du mir den Link zu meinem „früheren Beitrag“ mitteilst, werde ich mir diesen gerne anschauen und dazu Stellung nehmen.
Beste Grüße
Gerhard
Lieber Gerhard,
LöschenDas war deine Empfehlung https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/02/piazzolla-zum-tanzen-10.html
Du sagst im Artikel
"hier noch ein zauberhafter Tanz von Mauro Caiazza und Daniela Kizyma"
und ergänzt später in einem Kommentar
"Bei Piazzollas Kompositionen arbeitet unter der Oberfläche meist ziemlich viel Energie. Und ich finde, die haben beide sehr schön dargestellt."
Liebe Grüße,
Helge
Lieber Helge,
Löschendass dir dieser Tanz nicht gefällt, hast du mir ja schon im Februar dieses Jahres mitgeteilt. Ich weiß nicht, wieso du dieses Thema nun erneut aufwärmen musst. Und ich sehe nicht, was es noch bringen soll, dir nun ähnliche Tänze herauszusuchen, die dir dann ebenso wenig gefallen.
Weibliche Tangopaare habe ich oft genug vorgestellt. Da wirst du sicherlich auch alleine fündig.
Beste Grüße
Gerhard