Mein umstrittenstes Video

Im April 2022 veröffentlichte ich auf YouTube einen Beitrag, welcher mir riesigen Ärger einbrachte.

Etliche Musik- und Tangoexperten ließen kein gutes Haar an einem Video, in dem ich tänzerische Tipps zur Phrasierung der Tangomusik gab.

Ich hatte damit überhaupt nicht gerechnet, da ich im Prinzip einen Text verwendete, welcher sich bereits 2010 in meinem Tangobuch findet – und auch in den beiden folgenden Auflagen. Zudem hatte ich diesen Beitrag 2017 in einem Blogartikel verwendet:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2017/10/was-ihnen-ihr-tangolehrer-nicht-erzahlt.html

Widerspruch dazu regte sich bis Dato nie. Aber Lesen scheint nicht die Hauptkompetenz solcher Kritiker zu sein – erst, als es was zum Gucken und Hören gab, wurde man munter.

Ich hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich kein Musik-Fachmann bin, sondern ein Tänzer. Die Ratschläge, welche ich zum phrasierten Tanzen gab, waren somit keine theoretischen Abhandlungen, sondern schlicht Erfahrungen, welche ich in 23 Jahren Tango gesammelt hatte.

Doch auf diesen tänzerischen Kern meines Artikels ging man erst gar nicht ein – stattdessen arbeitete man sich verbissen an Randaspekten ab: Beispielsweise, ob der von mir verwendete Tango „Uno“ denn nun einen Refrain habe oder nicht. Oder ob der Sänger haargenau auf der Eins beginnt oder möglicherweise nach einem kleinen Auftakt.

Erst vor wenigen Tagen stellte einer meiner chronischen Kritiker auf YouTube folgenden Kommentar ein:       

„Die Aussage, dass der Sänger fast immer auf die Eins beginnt ist falsch und die Beschreibung Ihres Videos damit irreführend. Aufgrund Ihrer allseits bekannten Kritikresistenz spare ich mir weitere Erklärungen. Entweder kommen Sie selbst drauf- oder halt (wahrscheinlich) nicht.“

Kann schon mal sein – aber man hört’s doch, wenn der Sänger loslegt, oder?

Ein anderer Blogtroll schrieb:

„Und der Refrain? Ich weiß nicht, wie fachlich kompetent Ihr Team ist, aber Uno hat definitiv keinen. Die Stelle im Video, die Sie als Refrain anführen, kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein. Aber vielleicht wissen Sie und Ihr Team ja gar nicht, was ein Refrain ist - ich würde mich an Ihrer Stelle einmal schlau machen...“

Von solcher Korinthen-Suche leitete man dann pauschale Verurteilungen ab:

„Jeder Anfänger bekommt in meinen ersten Stunden mehr musikalisches Grundwissen und speziell zu Tango, Tango Vals und Milonga vermittelt.“

„Übrigens gehen Sie in ihrem Video doch auch nicht auf den Tanz ein!“ (??)

„Und natürlich geben sie keine tänzerischen Hinweise, mit denen ein Anfänger was anstellen kann, weil Sie keine Tangounterrichtserfahrung haben.“

„Sie schwurbeln, Herr Riedl, wenn es um Tango geht.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/04/osterfriede-der-speziellen-art.html

Und eine Musikexpertin, welche wohl noch keinen einzigen Tangoschritt getanzt hat, beschreibt das Erlebte so:

„Kurz zur Machart dieser Videos: Mit starrer Kameraeinstellung wird eine Person hinter einem Schreibtisch sitzend gefilmt, die wie ein Moderator der Tagesschau den zu Papier gebrachten Text monoton vorliest. Jedes Handy auf einem Ministativ, das man gelegentlich bei Pearl geschenkt bekommt, kann diese ‚Qualität‘ (ein gewagtes Wort in diesem Zusammenhang) liefern.“ (Übrigens saß ich an einem Biedermeier-Tisch!)

Und sie kommt zur abschließenden Wertung:

„Von nix kommt eben nix - dieses Video bringt auch nix. Ich habe es nicht bis zum Ende angesehen - es wäre schade um die Zeit. (…) Ihr Video besteht keinen Faktencheck. Es ist schlicht und einfach falsch. Niemand kann eine Achterphrasierung lernen, wenn es keine ist.“

Tja, warum sich ein Stück bis zum Ende anschauen, wenn man eh einen Verriss plant? Da kann man in der Pause getrost nach Hause gehen!

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/04/video-musikalisches-tanzen-phrasierung.html

Es half auch nichts, meinen Videotext nochmal einem „Faktencheck“ zu unterziehen. Es war nur wiederum der Anlass böser Angriffe. Nun kam man mit dem bekannten Argument, ich könne gar nicht richtig tanzen:

„Wenn mir irgendjemand weiß machen will, dass dies ein musikalisch getanzter Tango ist, müsste ich an meiner Urteilsfähigkeit verzweifeln. Aber das tue ich nicht. Wenn Sie eine ausgiebigere Begründung wollen, dann gern privat, aber ich möchte hier Herrn Riedls Tanz nicht völlig demontieren, weil es mir, wie es Ihnen und auch Herrn Riedl vielleicht entgangen ist, nicht um Tanz geht, sondern um sein Video, das ich als langjähriger Tangolehrer als völlig nutzlos betrachte.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/08/faktencheck-phrasierungen.html

Es nutzte auch nichts, dass sich meine Frau in einem Gastbeitrag ausführlich mit der Struktur des Tangos „Uno“ befasste:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/08/gastbeitrag-uno.html

Wir produzierten dann noch ein zweites Video zur Phrasierung, diesmal mit moderner Tangomusik, Vals und Milonga. Es fand weniger Beachtung und wurde kaum kritisiert. Klar – wen interessieren schon heutige Aufnahmen?

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/04/video-musikalisches-tangotanzen.html

Fazit: Man veröffentlicht ein Video mit leichtfasslichen Tipps zum musikalischen Tanzen – und es erhebt sich ein Proteststurm, als habe man behauptet, Gardel sei schwul gewesen. Oder man publiziert ein Video, in dem man zu „El Choclo“ tanzt – mit einem ähnlichen Effekt. Allein das zeigt, wie krank Teile der Tangoszene heute sind.

Dabei müsste es doch keinen stören – wem meine Tipps nichts bringen, der kann sie doch einfach ignorieren! Aber nein: Man muss ein riesiges Bohei veranstalten – nicht, dass irgendein Neuling glaubt, er könne mit meinem kostenlosen Video musikalisch tanzen lernen. Statt mit einem teuren Workshop zum Thema. Dies könnte das Geschäft gewaltig zu stören…

Nach meinem Eindruck nimmt der Hype mit tollem Unterricht zum musikalischen Tanzen derzeit ab. Man zieht sich wieder aufs Beibiegen von Schritten und Figuren zurück. Da sieht es hinterher wenigstens mit viel Fantasie so aus, als ob es was brächte.

Entscheidend ist eh auf’m Platz: Kollege Jochen Lüders (um einen unverdächtigen Zeugen zu nennen) stellt auf seinem Blog öfters fest, viele träfen beim Vals nicht mal die Eins. Was ich auf den Tanzflächen beobachte, geht in die gleiche Richtung. Die große Mehrzahl tanzt über die betonten Schläge hinweg, als ob nichts wäre.

Ich habe mir gestern mein umstrittenes Video noch einmal angeschaut – und finde es weiterhin ganz gut. Aber ich entdecke bei jeder Produktion im Nachhinein Dinge, die ich hätte besser machen können. Interesse erregt es jedenfalls: 300 Aufrufe verzeichnet es nun bei YouTube – und fünf „Gefällt mir“-Angaben. Für meine Verhältnisse ist das erstaunlich viel.

Wer es noch nicht kennen sollte:

https://www.youtube.com/watch?v=rV-8omaKqUw

Und sorry: Da auf meinem Blog Kommentare derzeit nicht möglich sind, müsste man abfällige Sprüche nun auf meinen Facebook-Seiten unterbringen – oder direkt beim Video. Sie können mir auch eine Mail schicken – nur: Gehen Sie auf die Sache ein, nicht auf die Person!

Und ich behaupte weiterhin: Eine ungefähre Ahnung von der musikalischen Grundstruktur der Tangomusik vermittelt mein Beitrag. Vor allem deren tänzerische Umsetzung. Und das ist weit mehr, als man derzeit auf den Milonga-Tanzflächen sieht.

Dazu fällt mir eine schöne Anekdote ein:

Meine Frau Karin durfte viele Jahre lang in einem Orchester mitspielen, das immerhin im Münchner Gasteig Konzerte gab. Bei einer Probe äußerte der Konzertmeister, ein Mitglied der Münchner Philharmoniker, zum Dirigenten:

„Was wir halt bräuchten, wäre eine klare Eins.“

Recht hatte er!

Kommentare

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