Neue Männer braucht das Land?

Man sollte meinen, geschlechtliches Rollendenken und männliche Überheblichkeit seien verstärkt in der älteren Generation vertreten. Die jungen Leute sind da doch viel aufgeklärter und fortschrittlicher, oder?

Oder nicht.

Jedenfalls, wenn man eine neue Studie der Hilfsorganisation „Plan International Deutschland e.V.“ betrachtet: Online befragt wurden jeweils 1000 Männer und Frauen zwischen 18 und 35 Jahren – statistisch auf Altersgruppe, Bildung und Bundesland abgestimmt. Unter dem Titel „Spannungsfeld Männlichkeit“ wollte man Näheres zu Selbsteinschätzung, sozialem Verhalten und Blick auf das andere Geschlecht wissen.

Die Ergebnisse haben mich schwer beeindruckt:

Gesundheitliche Probleme werden von der Hälfte der Männer möglichst ignoriert in der Hoffnung, sie würden sich von selber wieder geben. 77 Prozent der Frauen halten das für falsch.

Gut die Hälfte der Männer scheut sich auch davor, Gefühle zu zeigen – das würde sie angreifbar machen. 71 Prozent wollen ihre Probleme allein lösen. Über 80 Prozent der Damen missbilligen auch das.

Ein sportlicher, muskulöser Körper ist für knapp 60 Prozent der Herren wichtig, ebenso versucht die Mehrheit, im Auftreten männlich zu wirken. Fast die Hälfte stört es, wenn schwule Männer ihre Neigung in der Öffentlichkeit zeigen. Fast zwei Drittel geben an, sich oft mit anderen zu messen und sich anzustrengen, immer unter den Besten zu sein.

Über 40 Prozent der Männer bekennen, sich gerne in gefährliche Situationen zu begeben, beispielsweise schnell und draufgängerisch fahren. Sie berichten auch, manchmal so viel Alkohol zu trinken, dass sie hinterher Gedächtnislücken haben. Über 80 Prozent der Frauen finden das alles nicht toll.

Die Unfallstatistik beweist diese Aussagen: In dieser Altersgruppe sterben fünfmal mehr Männer bei einem Unfall. An alkoholbedingten Unfällen sind die jüngeren Herren mit 85 Prozent beteiligt.

Um die 50 Prozent der Männer sehen ihre Rolle darin, im Beruf genug Geld zu verdienen – die Hausarbeit und Kindererziehung empfinden sie hingegen eher als Frauensache. Der gleiche männliche Anteil findet, er solle in einer Partnerschaft das letzte Wort haben. Über 70 Prozent der jungen Frauen sehen das anders.

Fast 50 Prozent der Männer sind der Ansicht, aufreizend aufgemachte junge Damen müssten sich nicht wundern, wenn ein Mann das als Aufforderung empfinde. Ebenfalls jeder zweite Mann möchte aber keine Beziehung mit einer Frau, die schon viele Sexualpartner hatte. 37 Prozent reizt es jedoch, selber möglichst zahlreiche solcher Abenteuer zu erleben.

34 Prozent der Männer finden es akzeptabel, wenn ihnen beim Streit mit ihrer Partnerin schon mal „die Hand ausrutscht“ und sie ihr so „Respekt einflößen“. Um die 15 Prozent der Frauen äußern dafür Verständnis.

80 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind weiblich. Während Männer meist außerhalb ihres Hauses Opfer von Gewaltverbrechen werden, ist für Frauen der gefährlichste Ort die eigene Wohnung.

So richtig zufrieden scheinen die Männer mit ihrer Rolle nicht zu sein. Fast zwei Drittel geben an, sich manchmal in ihrem Inneren traurig, einsam oder isoliert zu fühlen. 95 Prozent verspüren Veränderungs-Druck. Offenbar setzen sie einander durch „Männlichkeits-Ideale“ stark zu.

Die Statistik bestätigt das: In dieser Altersgruppe begehen 3,5 Mal mehr Männer als Frauen Suizid.

Im Schlusswort der Studie heißt es:

„Die Ergebnisse der Befragung zeigen deutlich, dass viele junge Männer in Deutschland aktuell ziemlich traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit haben. Bei ihnen bestehen demzufolge viele Verhaltensmuster und Einstellungen, die sowohl für sie selbst als auch Frauen und Menschen mit diversen Geschlechteridentitäten schädlich sein können. In den Diskussionen um Gleichberechtigung ging es bisher hauptsächlich um die Emanzipation von Mädchen und Frauen. Aber auch Jungen und Männer müssen dazu ermutigt werden, sich kritisch mit gesellschaftlichen Vorgaben für Männlichkeit auseinanderzusetzen, damit sie ihr Leben frei von einschränkenden Geschlechterrollen selbstbestimmt gestalten können.“   

Hier das PDF der Studie:

https://www.plan.de/fileadmin/website/04._Aktuelles/Umfragen_und_Berichte/Spannungsfeld_Maennlichkeit/Plan-Umfrage_Maennlichkeit-A4-2023-NEU-online.pdf?sc=IDQ23200  

Weitere Quellen:

https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-06/umfrage-frauen-maenner-gewalt-homosexualitaet-plan-international-deutschland

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/gewalt-gegen-frauen-studie-traditionelle-rollenbilder-100.html

Mein Fazit:

Mich haben die Ergebnisse der Studie erschüttert. Jede dritte Frau kann offenbar an einen männlichen Partner geraten, der nichts dabei fände, sie auch einmal physisch zu disziplinieren. Und jede zweite muss damit rechnen, dass ihr Freund oder Ehemann das letzte Wort haben und sie zu Küche und Kindern verfrachten möchte.

Bislang hielt ich das für Vorstellungen, wie sie eher in der Generation meiner Eltern und Großeltern vorherrschten. Wir „68er“ und die nachfolgende Population, so dachte ich, seien inzwischen etwas anders gestrickt. Anscheinend dreht sich das Rad aber zurück.

Mindestens 50 Prozent der jungen Paare leben offenbar mit ziemlich konträren Vorstellungen zur eigenen Rolle und der des Partners zusammen. Hauptmotiv ist wohl, was die Natur ziemlich kompromisslos durchzieht: der Fortpflanzungstrieb. Das geht nicht selten schief.

Im Tango ist mir das Phänomen des Machismo oft begegnet – und ich staune immer wieder, mit welcher Scheinheiligkeit Männer dies abstreiten oder gar für positiv halten. Und – noch schlimmer – Frauen es als unvermeidliche „Códigos“ hinnehmen.

Nach dem Ergebnis der Studie zweifle ich, ob es Sinn macht, nachfolgende Generationen für diesen Tanz zu begeistern. Die Verhältnisse könnten eventuell noch schlimmer werden.

Noch weniger wundere ich mich darüber, dass auf meinem Blog die Verfasser abfälliger bis gehässiger Kommentare zu über 80 Prozent Männer sind. Der ironische Stil vieler Artikel treibt sie wohl in diese Hahnenkämpfe, bei welchen es im Grunde kaum um die Sache geht, sondern darum, sich gegen einen vermeintlichen „Rivalen“ zu behaupten.

„Neue Männer braucht das Land“ – so hieß es 1982 in der Emanzipations-Hymne von Ina Deter. 2023 scheint dieser Wunsch noch dringender nötig zu sein!

https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_M%C3%A4nner_braucht_das_Land

https://www.youtube.com/watch?v=GK51vq95j1s

Kommentare

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