Der Sombrero muss runter

Eigentlich sollten sie von April bis Oktober einmal monatlich auf der Bundesgartenschau in Mannheim auftreten: die Damen des AWO-Balletts Rheinau. In der Gruppe tanzen Frauen aus China, Russland und der Ukraine im Alter von 60 bis 85 Jahren. Das Ensemble gibt es seit 1981. Die Frauen treten ehrenamtlich in Altenheimen oder auf Straßenfesten auf.

Thema sollten Tänze aus aller Welt sein. Motto: „Weltreise mit dem Traumschiff“ – in teilweise selbstgeschneiderten Kostümen. 6 der 14 Aufmachungen wurden von den Organisatoren der Gartenschau jedoch abgelehnt – wegen zu klischeehafter Darstellung und des Verdachts der „kulturellen Aneignung“: Verboten wurde unter anderem der Flamenco, ein mexikanischer Tanz mit Sombreros und Ponchos, die japanische Version mit Kimonos, die indische in Saris sowie die ägyptischen Pharaoninnen.

Durch die Zensur brachte man beispielsweise eine holländische Holzschuhnummer, einen irischen Stepptanz sowie die brasilianische Samba. Eine spezielle Begründung für die jeweiligen Entscheidungen gab es nicht.

Die Chefin der Truppe, Erika Schmaltz, gab sich zunächst kämpferisch: „Wir werden nun überschwemmt mit Anrufen und ermutigenden Zuschriften. Keiner versteht, was das soll.“ Nun habe sich ein Mitarbeiter der Buga angekündigt, um beim Training zuzuschauen und einen Kompromiss zu finden. „Aber wir zeigen die Show entweder ganz oder gar nicht.“

Es gab einen Vermittlungstermin zwischen Buga-Verantwortlichen und der AWO. „Uns geht es nicht um Verbote. Vielmehr werben wir für einen reflektierten Umgang mit kulturellen Codes", sagte Fabian Burstein, Leiter des Buga-Kulturprogramms, im Vorfeld. Ziel des Treffens sei ein Auftritt des Balletts und eine erlebbare Vielfalt der Kulturen, ohne sie in einen missverständlichen Kontext zu setzen.

Ergebnis: Die Show darf nun doch stattfinden – allerdings mit drei Änderungen: Die Asiatinnen kriegen modernere Outfits, aus den Pharaoninnen müssen ägyptische Arbeiterinnen werden (wissen wir ja alle, wie die aussehen), und der Sombrero muss runter.

Die Tänzerinnen finden das einen „guten Kompromiss“. Na ja, wie sie meinen. Persönlich hätte ich dem Gartenschau-Kulturhansel einen Sombrero aufgesetzt, ihn nach Eulenart um 180 Grad gedreht und die Auftritte abgesagt.

Stets findet sich bei solchen Themen ein Soziologe, der uns das erklärt, was er für die Welt hält: Lars Distelhorst, Professor an der Fachhochschule des Mittelstands in Berlin, kann zwar eine kulturelle Aneignung nicht erkennen.

Diese setze eine stark überlegene Kultur voraus, die sich von einer unterlegenen gegen deren Willen etwas aneigne. Oft liege diesem Effekt eine koloniale oder Ausbeutungsgeschichte zugrunde. So gesehen sei etwa das Verbot eines Tanzes im Kimono nicht nachvollziehbar: „Japan ist G7-Staat und war selbst Kolonialmacht. Ein Machtungleichgewicht gibt es da nicht."

Ganz unproblematisch seien die Tänze trotzdem nicht, da sie Stereotype bedienten. Weder liefen Mexikaner alle in Sombreros rum, noch sämtliche Spanier:innen mit Kastagnetten. Distelhorst fände es richtig, dies einzuordnen. Was noch schlimmer ist: Nicht alle Deutschen tragen Lederhose und Dirndl oder tanzen gar einen Schuhplattler, obwohl man das im Ausland gelegentlich annimmt…

Quellen:

https://www1.wdr.de/nachrichten/bundesgartenschau-kostuem-show-100.html

https://www.berliner-zeitung.de/news/wirbel-um-kostueme-tanzverbot-fuer-awo-ballett-rheinau-wegen-kultureller-aneignung-bei-der-bundesgartenschau-buga-in-mannheim-li.338914

Ich fürchte, ohne einen historischen Master-Abschluss sollte man keine Tänze mehr aufführen. So wie man Tangomusik ohne Detailwissen zu Speicherkarten und Dateiformaten nicht wirklich erfassen kann. Der Apple fällt nicht weit vom Pferd.

Vielleicht sollte ich den Professor mal darauf aufmerksam machen, dass wir im Tango seit Jahren erleben, dass uns Europäern Musik und Verhaltensnormen des Argentiniens der 1940er Jahre aufgedrängt werden. Und dies mit saftigen Verweisen auf die Dirne-Zuhälter-Beziehung. Kulturelle Aneignung, Machismo, Sexismus – da kommt einiges zusammen, wovon AWO-Seniorinnen höchstens noch träumen können!

https://www.youtube.com/watch?v=TP1F8Tgj_io

Ich bin aber sicher, dass man im Tango daraus kein Diskussionsthema machen wird. Ebenso wenig wie zur Kohlendioxid-Bilanz der Encuentro- und Festival-Reisenden. Wat mutt, dat mutt.

Es ist wahrscheinlich auch zwecklos, woken Kulturwalter:innen klarzumachen, dass jeder neue Gender-Gaga, jedes Fleischverbot, alle vermeintlichen Heizungs-Diktate sowie sämtliche Indianer-Debatten der AfD wieder ein paar tausend Stimmen mehr bringen. In dieser Verantwortung sieht man sich sicherlich nicht!

Ich kann den Damen von der Arbeiterwohlfahrt nur raten, solche depperten Veranstalter zu meiden und lieber weiterhin durch Altenheime und Kurkonzerte zu tingeln. Machen wir seit Jahren so – und noch nie hat uns jemand ins Musikprogramm oder die Moderation reingeredet.

Einen Sombrero allerdings würde ich in Mannheim lassen. Damit‘s denen nicht ins Hirn regnet.

P.S. Hier eine Impression des leicht veränderten Auftritts. Besonderen Jubel erhielt der mexikanische Tanz, wobei einige Zuschauer demonstrativ einen Sombrero trugen. Man darf sein Publikum nie unterschätzen!

https://www.youtube.com/watch?v=Y79o0ipK1fA

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