Wahrheitseigentümer bei Klimaschutz und Tango

Kürzlich traf der Journalist Ralf Schuler in seiner Video-Reihe „Fragen, was ist“ den Kabarettisten Dieter Nuhr zu einem Gespräch. Anfangs titulierte er seinen Gast als „einen der letzten nicht linken Kreativen in Deutschland“. Der zuckte dabei etwas zusammen und meinte:

„Ich habe den Überblick verloren, was links und was rechts ist. Ich nenne es bei mir persönlich das Sahra Wagenknecht-Syndrom.“ Er sei schon so oft kategorisiert worden und sei daher überrascht, wo er überall stehe.

Nuhr war ja ein Grüner der ersten Stunde. Was habe sich seither geändert? Der Kabarettist bekennt sich nach wie vor zu Zielen wie Umweltschutz oder dem Respekt vor unterschiedlichen Lebensentwürfen:

„Ich finde bis heute, dass jeder leben soll, wie er will. (…) Dass jeder leben kann, wie er will, gilt, glaube ich, nicht mehr für die grüne Partei.“

Wo sieht der Kabarettist die Grenzen des Sagbaren?

„Ehrlich gesagt gehöre ich nicht zu den Leuten, die vorher fragen, ob man einen Witz machen darf. (…) Und wenn es sehr einfach ist, Witze zu machen, sollte man sich Gedanken machen, warum es so einfach ist.“

Mit einer gewissen Selbstgerechtigkeit hat er Probleme:

„Die Freiheitlichkeit der Diskussion ist eigentlich einer ideologischen Bullshit-Mentalität gewichen. Das heißt, dass man bestimmte Worte raushaut und glaubt, damit den ideologischen Ansprüchen gerecht zu werden. Und da haben wir uns weit entfernt von dem, was in der Mitte der Gesellschaft so geredet und diskutiert wird.“

„Das ist ja immer so: Wenn man glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben, dann wird die vermeintliche Unwahrheit schwer erträglich. Warum soll ich auch mit jemandem darüber diskutieren, wenn ich weiß, dass ich recht habe? Das führt dann natürlich immer dazu, dass abweichende Meinungen eher als Feindschaft betrachtet werden denn als Erweiterung des eigenen Bewusstseins. Und das hat bei der Klimabewegung, glaube ich, viele Leute erreicht.“

Nuhr glaubt überhaupt nicht, dass wir schon in einem diktatorischen System lebten, aber:

„Diese Anfänge sollte man schon im Auge behalten, wenn junge Menschen, die am Leben überhaupt noch nicht teilgenommen haben, genau wissen, was passieren muss und anderen den Mund verbieten wollen, dann stellen sich bei mir so ein bisschen die Härchen hoch, und dann werde ich renitent.“

Zum gescheiterten Berliner Klima-Referendum, nach dem die Hauptstatt bis 2030 klimaneutral werden sollte, meint Nuhr:

„Das habe ich ein bisschen bedauert, dass man es abgelehnt hat, weil wenn das gekommen wäre, hätten wir in Deutschland zum ersten Mal ein Gesetz gehabt, das etwas vorschreibt, was nicht geht.“ Dies sei ein bisschen symptomatisch für die derzeitige grüne Politik, dass man Dinge durchzudrücken versuche, die nicht funktionierten.

In Spanien montiere sich niemand eine Solaranlage aufs Dach, um die Welt zu retten.

„Natürlich trägt das religiöse Erlöser-Züge, das ist ein typisch deutsches Phänomen, meine ich. Wir Deutsche sind immer noch Romantiker. (…) Unter der ganzen Welt machen wir es nicht. Dieses ‚Wir retten erst Deutschland und dann die ganze Welt‘ ist eine bedenkliche Kontinuität in der deutschen Geschichte.“

Kabarett werde leider immer einfacher:

„Ich hab immer öfter jetzt das Gefühl, dass mir Dinge so absurd erscheinen, dass ich sie einfach nur vortragen muss. Ich muss gar keine Pointe mehr erfinden, es ist schon bedenklich.“

Nuhr sieht keine „Verbotszonen“, es gehe aber um Etikettierung, um soziale Konsequenzen:

„Man muss damit rechnen, wenn man die falschen Personengruppen nicht ausspart, ist man eben Menschheitsfeind, Rassist, rechts – man ist einfach aus dem Konsens heraus.“

„Ich glaube, ich richte mich in dem, worüber ich Witze mache, nach meinem ganz persönlichen inneren Gefühl. Ein anderes Kriterium habe ich nicht. Das ist nicht klar begrenzt, das ist ausgefranst an den Rändern, das ist Geschmackssache.“

Politiker lebten immer mehr in einer Blase, welche sie von den realen Debatten in der Gesellschaft abtrenne:

„Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die Mitte der Gesellschaft in diesen Diskussionen, die da stattfinden, an den Rand gedrängt wird – oder am Rand verortet wird.“

Selber habe er, dank seiner vielen Fans, eine gesicherte Position – auch bei seinem Sender. Über junge Kollegen aber sagt Nuhr:

„Ich weiß natürlich, dass es für Menschen, die jetzt neu anfangen, die so eine Position nicht haben, rasend schwer ist. Dass Menschen, die in mixed Shows reingehen als junge Comedians, fragen: ‚Ist das hier eine woke Veranstaltung oder nicht?‘ – und danach ihre Gags aussuchen.“

Was dürfen Humor und Satire?

„Humor hat was Anarchisches, Humor muss über Grenzen gehen, damit es lustig ist, Humor ist etwas, das intuitiv funktioniert, sich auch schwer erklären lässt – und wenn ich anfangen muss, alles zu erklären, kann Humor nicht funktionieren. Und dann muss ich mich fragen, ob ich in der humorlosen Gesellschaft leben will.

Empfindungen zu verletzen ist mit Humor relativ einfach. Humor ist ein scharfes Schwert, kann sehr verletzend sein. Und natürlich hat man als Humorist eine gewisse Verantwortung, das sehe ich auch ein. Aber wenn ich mich bei jedem Witz fragen muss, ob ich den jetzt machen darf, oder ob nicht in der 17. Reihe doch einer sitzt, der sich verletzt fühlen könnte, dann ist Humor eben irgendwann nicht mehr möglich, dann leben wir in einer spaßfreien Gesellschaft.“

Der Humor, so Nuhr, sei in der ‚fortschrittlichen‘ Szene schon immer schwach ausgebildet gewesen:

„Es ist die Lebenslüge des Kabaretts zu glauben, man geht auf die Bühne, um die Leute von etwas zu überzeugen und ihren Mindset zu verändern. Aber es saßen ja immer nur Gleichgesinnte unten im Publikum. Das heißt, man hat sich gegenseitig der Richtigkeit der eigenen Gedanken versichert. Und wer da reinkam und machte sich lustig über die eigenen Leute, hatte echt ein Problem.“      

Vieles von dem, was der Düsseldorfer Kabarettist sagt, kann ich in meiner kleinen Satirewelt des Tango absolut nachvollziehen. Das Problem, sofort etikettiert zu werden, ist besonders groß.

Ich vermeide es immer wieder, mich einer „Fraktion“ zuordnen zu lassen. Wieso auch? Man kann sowohl im traditionellen Bereich wie auch dem Neo-Zooikum viel Unsinn veranstalten. Oder tolle Dinge hervorbringen.

Auch im Tango tut man es unterhalb der Rettung des Weltkulturerbes nicht – statt dass man sich bemüht, vor Ort Milonga-Angebote für alle zu verbessern. Und die Mitte der Tangopopulation" ist den anspruchshabenden Ideologen egal.

Kritisiert man im Tango die falschen Personengruppen, wird man ebenfalls aus dem Konsens entfernt. Ich bin vor Jahren heftig dafür kritisiert worden, von „Wahrheitseigentümern“ zu sprechen. Klar, warum soll man mit jemandem diskutieren, wenn man zutiefst davon überzeugt ist, völlig recht zu haben?

Humor ist in der Tangoszene durchaus erlaubt, falls man sich gegenseitig der Richtigkeit der eigenen Ideen versichert. Sozusagen im „woken“ Bereich. Ansonsten wird es schwierig. Auch da spricht Dieter Nuhr mir aus der Seele.

Mir wird ja auch immer wieder vorgeworfen, hauptsächlich mit Copy and Paste" zu arbeiten. Aber wieso soll ich Gags erfinden, wenn sie mir der Tango eh liefert beispielsweise in meinem Wort zum Samstag"? Und wenn es so einfach ist, über Tangophänomene Witze zu machen, sollte man sich einmal überlegen, warum das so ist...

Ich kann daher nur empfehlen, einmal in das Video zu schauen. Ein Inhaltsverzeichnis unterhalb erleichtert die Auswahl.

https://www.youtube.com/watch?v=4gVtsjUfuB8

Einen Vorteil habe ich gegenüber den Kabarettisten: Ich muss mit meinen Texten kein Geld verdienen. Das verleiht eine riesige Freiheit!

Kommentare

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