Gerhard Riedls Tango-Unterricht
Vor einem Jahr veröffentlichte der Kollege Jochen Lüders unter dem Titel „Riedls Tango-Unterricht“ einen Artikel, in dem er meine Vorstellungen zum Erlernen unseres Tanzes gründlich auseinandernahm. Hauptursache seines Ärgers war mein Text „So könnte Tangounterricht sein…“.
Hier die Links zu beiden Veröffentlichungen:
https://jochenlueders.de/?p=15695
http://milongafuehrer.blogspot.com/2022/05/so-konnte-tangounterricht-sein.html
Ich habe damals auf die Vorwürfe nur mit einem Kommentar bei meinem Artikel kurz geantwortet. Das war vielleicht ein Fehler, denn wenn man nach dem Begriff „Riedl / Tangounterricht“ googelt, wird einem auf der ersten Seite das Lüders-Elaborat angeboten. Zudem hat sich neulich ein verbaler Polterer entschlossen, dazu noch eine gesalzene Philippika über mich zu publizieren:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/05/offener-brief-michael-tausch.html
Ich nehme Kritik stets so ernst wie möglich und gehe darauf ein, indem ich zur Sache längere Texte verfasse – entweder als Kommentar oder in Form eines neuen Artikels.
Was mich dann schon stört: Dass meine werten Gegner anschließend meist schweigen statt sich auf eine Diskussion einzulassen. Hauptsache, man hat im Netz mal wieder dargelegt, wie unmöglich ich sei. Fürchtet man, im Austausch von sachlichen Argumenten den Zweiten zu machen? Anders kann ich es mir nicht erklären.
Ich habe mich nun entschlossen, noch einmal etwas ausführlicher auf Lüders‘ Wertungen einzugehen. Nicht, weil ich mir von dieser Seite eine Antwort erwarte. Aber vielleicht taucht meine Darlegung dann ebenfalls bei der Google-Suche auf.
Gut, der Kollege und ich haben unterschiedliche Auffassungen dazu, wie man Tangotanzen am besten lernen kann. Das ist doch spannend und könnte der Ausgangspunkt für einen fruchtbaren Gedankenaustausch sein! Unglaubwürdig wird man aber, wenn man seine Ansichten in einem herablassenden, hämischen Ton vorträgt. Da ist von „Schwurbeln“ die Rede, man findet etwas „doof“ und spricht von „Mist verzapfen“ sowie je zweimal von „Unsinn“ und „Quatsch“. Diagnose: „kognitive Dissonanz“. Lüders‘ Ausführungen führen zum Endurteil:
„Riedl hat offenbar noch nie selber unterrichtet und hat deshalb keine Ahnung, wovon er eigentlich redet.“
Mit Verlaub, immerhin habe ich zirka 35 Jahre Schulunterricht gegeben – und im Tango viele Stunden mit anderen – auch Neulingen – geübt. Ich war allerdings nie so vermessen, mich als „Tangolehrer“ zu bezeichnen oder zu behaupten, ich veranstalte „Kurse“ – und schon gar nicht gegen Bezahlung. Und in meinem obigen Artikel habe ich Lüders mit keinem Wort erwähnt.
Mir ist auch klar, dass es
verschiedene Lerntypen gibt und viele zumindest meinen, im üblichen
Tanzunterricht, der stets stark lehrerzentriert ist, ihr Glück zu
finden. Immerhin hat sich Lüders mit dem, was da in der Branche meist angeboten
wird, äußerst kritisch auseinandergesetzt. In München jedenfalls
hat er offenbar keine Kurse gefunden, die ihn weitergebracht hätten. Ich teile seine
Einschätzungen. Er verschweigt uns aber, wo er dann so gut Tango gelernt hat,
dass er nun selber Unterricht anbietet. Vielleicht doch durch eigenes Probieren und Üben?
Was er zur klassischen Schulung empfiehlt, kann ich weitgehend unterstützen – seine Ideen sind sicherlich besser als das durchschnittlich Gebotene:
https://jochenlueders.de/?p=14477
Ich hoffe, er hat damit Erfolg – und wir können demnächst einen Massenansturm auf seinen Unterricht erleben! Derzeit erteilt er ausschließlich Privatstunden – wieso eigentlich keine Gruppenkurse, die er doch für grundsätzlich geeignet hält?
https://jochenlueders.de/?page_id=12063
Wie dem auch sei: Ich bin und bleibe beim üblichen Tangounterricht weitgehend skeptisch – selbst wenn man didaktische und methodische Prinzipien beachten würde.
Ich kenne eine lokale Szene sehr gut, die man seit Jahren mit Tangostunden geradezu ertränkt – weitgehend von argentinischem Lehrpersonal erteilt. Tänzerische Fortschritte kann ich kaum erkennen. Als man vor längerer Zeit eine renommierte Fachkraft engagierte, fragte ich später einen Tangofreund, ob er schon einen Effekt des Unterrichts bemerkt habe. Seine Antwort: „Ja, der Tangolehrer hat jetzt ein neues Auto.“
Ich sehe die Nachteile des Angebots schon einmal in der passivierenden Wirkung: Nicht die Schülerinnen und Schüler sollen aktiv werden – nein, der „große Meister“ sagt an, was Sache ist!
Dass ich kein Freund der klassischen Rollenverteilung „Führen und Folgen“ bin, muss ich nicht weiter erläutern. Unter anderem habe ich das in meinem obigen Artikel begründet.
Und ich glaube weiterhin, dass man den Lernenden von Anfang an auch moderne sowie „schwierigere“ Tangomusik anbieten sollte. Das übliche Metronom-Gedudel verführt zu monotonem, automatisiertem Tanzen. Ich habe den Effekt unzählige Male erlebt: Spielt man „interessantere“ Stücke, bewegen sich nach einiger Zeit die Meisten besser, da mehr auf die Musik konzentriert.
Worüber ich richtig sauer bin, ist eine totale Verdrehung meiner Ansichten. Ich sei der Meinung, es gebe im Tango kein „Richtig“ oder „Falsch“ – was Lüders zur Schlussfolgerung bringt: „Wenn nichts mehr ‚falsch‘ bzw. ein ‚Fehler‘ ist, dann ist logischerweise alles ‚richtig‘.“ Ich erlaube mir, da auch einmal von „Quatsch“ zu sprechen:
Natürlich gibt es im Tango vieles, was einen nicht weiterbringt und verbesserungsbedürftig ist. Es ist nur ein Unterschied, ob man dies durch positive Anregungen in geeignete Bahnen lenkt oder dem Lernenden die Killervokabel „falsch“ überzieht. Und was die einzelne Tangolehrkraft als „richtig“ bezeichnet, orientiert sich öfters an seinem persönlichen Tanzstil, stellt aber nicht immer eine göttliche Wahrheit dar.
Tanzunterricht beschäftigt sich im weitesten Sinne mit Kunst, er ist mit Schulunterricht oder einer Berufsausbildung nicht zu vergleichen. Und die Lernenden wollen hier kein Abschlusszeugnis erwerben, sondern suchen Spaß bei einer interessanten Freizeitbeschäftigung. Aber die Tendenz von Lehrern, aus allem eine Unterrichtsstunde machen zu wollen, kenne ich leider nur zu gut.
Der gravierendste Nachteil der üblichen Kurse ist für mich, dass man Anfänger paarweise zusammenspannt. Was soll dabei herauskommen? In den Practicas, wie ich sie vorschlage, können weniger Geübte mit Erfahreneren trainieren. Ich habe zur Genüge erlebt, welche Fortschritte nicht nur Tänzerinnen machen, wenn sie es mit einem routinierten Partner versuchen. Tango ist eine Bewegungssprache, die man nicht in erster Linie durch Betätigung des Intellekts, sondern des Körpergefühls erlernt.
Lüders vergleicht Tangolernen immer wieder mit der Ausbildung in den Standard- und Lateinamerikanischen Tänzen. Wenn sich der Tango, wie man gerne behauptet, durch größere Variabilität, ja Improvisation auszeichnet, können wir ihn nicht wie diese anderen Tänze unterrichten.
Was mir noch niemand erklären konnte: Bis in die 1980-er Jahre gab es Tangounterricht im heutigen Sinne kaum. Die Leute lernten diesen Tanz durch Abschauen und Probieren, in der Familie, unter Freunden oder in Practicas, wo häufig Männer beziehungsweise Frauen unter sich übten. Oft musste man sich in beiden Rollen betätigen. Was war daran falsch? Es hat keinen Sinn, von den Künsten der alten Milongueros und Milongueras zu schwärmen, ohne diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen!
Klar: Auch der geeignetste Tangounterricht wird völlig Bewegungsunbegabte nicht zu tollen Tanzenden machen. Und wer glaubt, eine „Schnellbleiche“ von ein paar Wochen reiche aus, täuscht sich gewaltig.
Aber das ist, wie bei allen Hobbys, jedem und jeder selbst überlassen. Und wenn sie Spaß daran haben, sollen sie halt auf dem Parkett herumhampeln! Sie müssen es allerdings ertragen, dass Leute wie ich ein wenig anders tanzen und dazu gelegentlich auch gerne Platz und die geeignete Musik hätten. Es muss ihnen nicht gefallen, was ich mache. Umgekehrt gilt das ebenso.
Die hochmögenden Tangoexperten sollten sich gelegentlich ansehen, wie Kinder herumhüpfen, wenn sie Musik hören. Dann würden sie vielleicht kapieren, dass der Urgrund des Tanzens die Freude an der Musik ist. Und nicht der Wunsch, sich mit Lehrplänen, Rotstift, Notendruck und klugen Belehrungen traktieren zu lassen!
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