Kulturelle Vielfalt? Nein danke!

 „Tango Argentino ist nicht genau definiert bzw. kodifiziert, und deswegen ist es natürlich Gerhards gutes Recht, darüber zu schreiben, was er für Tango hält (auch wenn es z.B. Musik von Peter Alexander ist, die für mich nun überhaupt nichts mit Tango zu tun hat). Es war wieder einmal Zeitvergeudung.“ (Cassiel, 26.11.22)

https://tangoplauderei.blogspot.com/2022/11/wie-sich-mein-tango-veraendert-hat.html

In dem schon neulich zitierten Facebook-Forum für DJs stellte neulich ein Kollege die Frage:

„Habt ihr jemals eine Ranchera Tanda in einer Milonga gespielt?“

Wer mit diesem Begriff nichts anfangen kann:

Die Ranchera ist ein traditionelles Genre mexikanischer Musik. Eng verbunden mit den Mariachi-Gruppen, werden Rancheras auch heute noch gespielt. Traditionelle ländliche Folklore aufgreifend, symbolisierte die Ranchera den Nationalgeist in Reaktion auf die aristokratische Epoche.

Traditionelle Rancheras handeln von Liebe, Patriotismus oder Natur. Der Rhythmus kann in 3/4-, 2/4- oder 4/4-Takte gegliedert sein, was dem jeweiligen Rhythmus des Walzers, der Polka oder des Bolero entspricht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Ranchera

Zu über 90 Prozent antworteten die Tango-DJs mit einer klaren Ablehnung:

„Nein“

„Hab ich nicht“

„Niemals“

„Zur Hölle, nein“

„Einfach nein.“

„Nein, natürlich nicht. Aber warum solltest du es tun? Die Frage ist seltsam.“

„Nie gespielt, aber in meinen 12 Jahren Tango ein paar Mal gehört. Definitiv nicht zu empfehlen, wenn dies die Frage war.“

„Nie gespielt, nie auf einer Milonga gehört (zum Glück).“

„Nein, niemals. Aber wer es mal gehört hat, wäre nicht hier, um dir zu antworten...“

„Würdest du eine Chacarera-Tanda spielen, die wie Vals getanzt wird? Das ist das Gleiche.“

„Nein. Nicht einmal in meinen kühnsten Träumen. Und kein Conga, Corrido, Foxtrott, Marsch, Paso Doble, Polka, Rumba, Tarantella, Tonada oder Zamba. Trotzdem schöne Musik.“

„Nun, das kommt darauf an ... Wenn du in Mexiko als Gast-DJ bei einer Veranstaltung auflegst, würde ich wetten, dass es definitiv ein Erfolg wird.“

„Als ein seit 30 Jahren erfahrener Tänzer und Führender stimme ich mit deiner Schlussfolgerung völlig überein. Es ist höchst störend, wenn Rancheras aufgelegt werden.“

„Todsünde“

„Was für eine Frage?!... Vielleicht meintest du ... Cortinas?“

„Ich musste erst einmal googeln, was ‚Ranchero‘-Musik ist... Ich würde sie nicht in meiner Milonga spielen.“

„Diese Mode hat vor etwa 15 Jahren die europäische Tango-Szene erfasst. Mit Erfolg bei Menschen, die nicht wegen der Musik da waren.“

„Ich habe schon einmal einen Anfänger-DJ gehört, der eine Ranchera in einer Vals Tanda spielte...“

„Wo? In Peking?“

Eine was????"

Eine sehr kleine Minderheit ist anderer Ansicht:

„Warum fragst du überhaupt? Tu es einfach und du wirst sehen, dass es niemandem auffallen wird (und ich schließe diejenigen nicht aus, die in diesem Forum gepostet haben, dass sie niemals Foxtrott, Salsa, Tonada oder Pasos Dobles auflegen würden).“

Ein besonders Mutiger schrieb:

„Wenn ich mir die Kommentare ansehe, wäre es in den Augen der DJ-Talibans Suizid, es zu gestehen: Nun, ich werde es trotzdem bekennen: Ja, ich habe Ranchera-Tandas gespielt, ja, es hat viel Spaß gemacht, ja, es war am Nachmittag.

Und jetzt exkommuniziert mich.“

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten:

„Es war eine lange und schöne Freundschaft. Sehr traurig, dass du uns auf diese Weise verlässt!“

„Erstellst du eine schwarze Liste für DJs?“

Es war nun an der Zeit, dass der Administrator der Seite ein wenig mit Expertise wedelte:

„Rancheras haben ihren Ursprung in Mexiko und können im 2/4-, 3/4- und sogar 4/4-Takt gespielt werden. Diejenigen, die im 3/4-Takt gespielt werden, ähneln zwar der Vals-Signatur, sind aber nicht besser geeignet, einen Vals-Criollo (oder Wiener Walzer) zu tanzen als z. B. eine Sarabande, Polonaise oder Chacarera, die ebenfalls im 3/4- (manchmal auch im 6/8-)Takt gespielt werden, es sei denn, diese spezielle Ranchera wird tatsächlich als Vals-Criollo arrangiert und gespielt (z. B. mit stark akzentuiertem ersten Schlag). Daher ist es ziemlich unfair, Rancheras mit, sagen wir, Foxtrotts oder Cumbia oder... zu vergleichen. Letztere sind andere Tänze, und wenn sie ansprechend genug sind, würde sich das Publikum gerne zu ihrer Musik bewegen... bei Rancheras ist das ganz anders - das Publikum will einen Vals Criollo zu dieser Musik tanzen, und es ist fast unmöglich, dies zu tun, trotz des Metrums.

Wenn also die Frage lautet: ‚Sollte ich jemals eine Ranchera auf einer traditionellen Milonga anstelle eines Vals tanzen‘, kann die Antwort nur lauten: ‚Nein, das solltest du nicht‘.“

Quelle: https://www.facebook.com/groups/TangoDJForum/permalink/2425604930940027

Aha, „das Publikum will“… Schön, wenn ein Fachmann das so genau weiß! Dass manche es vielleicht als tänzerische Herausforderung empfänden, wenn sie mal nicht den üblichen historischen Tangovals abnudeln müssten, ist natürlich unvorstellbar!

Klar ist es eine Geschmacksfrage, ob man ein bestimmtes Stück oder Genre gerne auflegt – aber die apodiktische Verdammung und Arroganz, welche sich hier austoben, finde ich einfach nur borniert!

Und das bei einer Musik wie dem Tango, welcher definitiv aus der Verschmelzung verschiedener Kulturen entstand, welche die Einwanderer vor 150 Jahren an den Rio de la Plata mitbrachten – dieses ideologische Brett vorm Kopf ist zum Verzweifeln!

Auf der traditionellen DJ-Seite tut man alles, um eine Promenadenmischung nachträglich als reinrassig hinzustellen.

Und wenn man sich dann noch scheinheilig auf das „Tango-Weltkulturerbe“ bezieht, könnte ich… Aber lassen wir das.

Nein, ihr Lieben, viele Völker der Welt – wie die Finnen, Franzosen oder auch die Deutschen – haben ihren eigenen Tango entwickelt. Da müssen wir nicht – argentinischer als die Argentinier – ausschließlich „kulturelle Aneignung“ betreiben! Respekt vor den Traditionen ist wichtig Ausgrenzung anderer kultureller Einflüsse aber erscheint mir engstirnig und intolerant.

Was das Eingangs-Zitat betrifft: Doch, auch Peter Alexander hat Tangos interpretiert – halt deutsche oder eventuell österreichische. Und er hat sie besser gesungen als so mancher Schmalz-Tenor vom Rio de la Plata.

Wer mag, kann sich ja mal einen anhören:

https://www.youtube.com/watch?v=BJ5Nk6Vm-2s

Aber zurück zur Ranchera: 1955 hat Tita Merello diesen Titel gesungen – immerhin komponiert von Francisco Canaro:

https://www.youtube.com/watch?v=ZnlXPFzHEGY

Wir haben zu dem Stück neulich auf dem Wohnzimmer-Parkett getanzt. Hat Spaß gemacht!

Kommentare

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