Wie führt man denn nun richtig?

Der Blogger-Kollege Jochen Lüders kann mir eigentlich dankbar sein, dass ich seinen Artikel zum Führen und Folgen besprochen habe. Auf seiner Seite gibt es derzeit 27 Kommentare dazu – noch dazu von illustrer Seite: Die Tangoblogger Helge Schütt, Klaus Wendel und Cassiel (sowie natürlich der Hausherr) überbieten einander in Expertise. Dass es (zumal unter Männern) dabei ans Eingemachte geht, war vorauszusehen: Die Herren sind durchaus verschiedener Meinung, wie denn korrekt zu führen sei, was nicht ganz ohne das übliche Gegockel möglich ist:

„Sorry, aber dein Kommentar wird der Komplexität des Themas nicht gerecht.“ 

„Unterrichtest du so einen Quatsch?“

Sorry, das ist mir einfach zu doof."

Man vergisst auch nicht, mir dabei gelegentlich eins draufzugeben, wenn man von der Riedlschen Tunix-Philosophie“ oder dem „Riedlschen ‚Im Tango gibt es kein richtig und falsch‘“ spricht. Nun habe ich zwar nie behauptet, beim Führen nichts zu tun oder es gebe im Tango nichts Richtiges oder Falsches – aber sei’s drum!

Die Fronten stellen sich ungefähr so dar: Sportlehrer Lüders will alles detailliert anatomisch erklärt haben (Körperregionen, Muskeln etc.), Schütt setzt auf eigene Körperspannungen und selbstständige Bewegungen, und Cassiel zitiert die Aussagen seiner Lehrer (teilweise in Englisch). Wendel lässt durchblicken, man könne sinnvoller diskutieren, wenn alle über sein umfangreiches Fachwissen verfügten.

Immerhin ist man sich halbwegs einig, dass der Mann eine Bewegung vorschlägt und dann das tanzt, was die Frau darunter versteht. War vor einigen Jahren noch nicht verbreitet…

Bitte selber nachlesen:

https://jochenlueders.de/?p=16200

Helge Schütt unterrichtet inzwischen auch Tango, was ich mutig finde. Er hat nun einen eigenen Artikel zum Thema veröffentlicht, in dem er eingangs feststellt, eigentlich wolle er sich „nicht in die Tiefen der Technik begeben“. Tut er dann doch sehr ausführlich, denn er habe in den letzten Tagen einige Beschreibungen zum Thema „Führung“ gelesen, die zumindest in seinen Augen „sehr skurril“ seien.

Er setzt auf Impulsübertragung und -Erhaltung, lehnt aber mein im Buch beschriebenes Modell dazu als „Stahlkugel-Methode“ ab. Das sei nur etwas für Leute, welche es „härter mögen“. Nun, lieber Helge, es gibt auch ganz kleine Kügelchen – funktionieren genauso! 

Dazu verkündet er ewige Wahrheiten wie diese:

„Der Führende bewegt sich horizontal, indem er seinen Schwerpunkt verschiebt. Das passiert bei allen linearen Bewegungen, vorwärts, rückwärts oder seitwärts.“

https://helgestangoblog.blogspot.com/2023/04/fuhren-und-folgen.html

Das hängt wohl damit zusammen, dass man ein Parkett normalerweise waagrecht verlegt! Und wenn man den Schwerpunkt nicht mitnimmt, wird’s schwierig.

Spaß beiseite: Ich halte diese Debatte für nützlich, da sie zeigt, wie unterschiedlich die Ideen zum Führen sind. Was mir allerdings auffällt: Es diskutieren ausschließlich Männer darüber, wie sie es machen. Welchen Beitrag die Frauen dazu leisten, wird eher weniger beachtet. Mich erinnert das an frivole Romane aus vergangenen Zeiten, wo der „Liebhaber“ und sein erotischer Furor im Mittelpunkt standen – und die Dame sich – na ja – „hingab“.

Ich weiß nicht, von wem die Kateridee stammt, dass es im Tango nur eine „richtige“ Art des Tanzens gebe – und der Rest sei halt mehr oder weniger „falsch“. Ich meine, es gibt eine große Bandbreite, die funktionieren kann. Und die hängt von einer Fülle von Faktoren ab: Körperbau, sportlicher Trainingszustand, Bewegungsmuster, Mentalität, Stimmung, Musik und vieles mehr. Beim Sex soll es angeblich auch so sein…

Daher kommt bei solchen Debatten (über beide Bereiche) in erster Linie eine Menge „Mansplaining“ heraus.

Jochen Lüders schreibt aber zu Recht:

WAS er da jetzt genau macht, kann der große Maestro leider nicht erklären, denn er hat seinerseits auch nur durch Nachmachen gelernt. Er macht seine Bewegungen schon seit Jahrzehnten und hat sie so automatisiert, dass sie ihm nicht mehr bewusst sind und er sie deshalb auch nicht mehr verbalisieren kann.“

Ich glaube, das gilt nicht nur für „Maestros“, sondern für jeden routinierten Tänzer. Daher habe ich mich gestern bei einer Milonga, wo wir ausnahmsweise genug Platz hatten, einmal gefragt, wie ich eigentlich führe. Und wie man es meiner Meinung nach garantiert nicht machen sollte:

·       Für mich trägt mein rechter Arm, mit dem ich ja mehr Kontaktfläche habe, deutlich mehr zum Führen bei. Diese Umarmung ist der Rahmen, der ein stabiles Miteinander bewirkt. Bei den „hohen Armen“ kann man viel mehr variieren, sie sogar einmal sinken lassen oder die Verbindung völlig aufgeben. Oft macht es nichts, wenn diese „Deko“ fehlt. Natürlich gibt es Momente, gerade bei Drehungen, wo dieser Kontakt wichtiger wird. Insofern hat Lüders mit seinem „Push and Pull durchaus recht.

·       Natürlich ist größeres Drücken und Zerren Quatsch. Die Führung muss stets so sanft sein, wie man es nur hinkriegt. Man sollte auch die rechte Hand der Dame nicht quetschen, sondern sie so zart halten, wie es für einen Handkuss (die Älteren erinnern sich) passend wäre. Aber es gibt durchaus Momente, in denen man die Spannung erhöhen muss, zum Beispiel beim Tanzen von Achteln oder Sechzehnteln einer Milonga.

·       Eine leichte Grundspannung aber ist für alle Tanzenden wichtig, insbesondere oberhalb der Beine. Sonst gehen Führungsimpulse ins Leere. Bei mir entsteht dann das unangenehme Gefühl, eine Portion Waldmeistergrütze um die Kurve zu befördern.

·       Damit ein Bewegungsimpuls ankommt, haben alle Nebenaktionen zu unterbleiben. Man kann nicht mit allem Möglichen wackeln und von der Tänzerin erwarten, dass sie sich das Zutreffende heraussucht. Und die Musik spielt in den Beinen und Füßen, die Oberkörper sollten möglichst ruhig bleiben.

·       Was mir gestern ebenfalls aufgefallen ist: Ich führe zusätzlich mit der Blickrichtung. Auch das gibt der Folgenden die Information, wohin es gehen dürfte. Schon deshalb ist das starre Betrachten der Füße völlig gaga.

·       Und natürlich erlernen Anfänger das Miteinander viel besser in einer weiteren Umarmung. Schülerinnen und Schüler von vornherein zusammenzupappen, schränkt ihre Bewegungsoptionen unnötig ein. Man unterrichtet das Schwimmen ja auch nicht, indem man den Aspiranten die Beine zusammenbindet (Ausnahme: Meerjungfrauen)! Später kann man fallweise enger tanzen, was auch sehr von der Musik abhängt. So gewöhnt man sich daran, die Umarmung „elastisch“ zu halten, ja sie mal teilweise oder ganz aufzugeben.

·       Und man kann es nicht oft genug sagen: Der Führende erzwingt genau nichts! Er muss sich stets darauf einstellen, dass die „Antwort“ der Folgenden anders als erwartet ausfällt – ja sie sogar eigene Ideen einbringt. Dann tanzt er stets deren Schritte mit (oder tut jedenfalls so).

 Das Allerwichtigste ist wohl, dem Partner Sicherheit zu vermitteln. Man wird ihn oder sie nicht an eine Säule oder ein anderes Tanzpaar rammen, und niemand muss Angst haben, für „Fehler“ kritisiert zu werden: Alles wird gut!

Ich meine, wenn man diese Punkte halbwegs beachtet, funktioniert ein gemeinsamer Tanz einigermaßen. Und der Rest kommt mit vielem Üben und Experimentieren.

Wie führt man denn nun richtig?

Bis auf ein paar Ansätze weiß ich es auch nicht genau. Sicherlich wird das manche Kritiker nicht zufriedenstellen – die wollen genaueste Instruktionen, was denn beim Tango „richtig“ oder „falsch“ sei. Möglichst mit Detailinformationen, welcher Muskel wo und wie ein Gelenk zu bewegen habe.

Ein Bekannter, der mit seinem Fahrrad durch die halbe Welt gereist ist, berichtete neulich über den Besuch einer südamerikanischen Tanzveranstaltung. Eine einheimische Dame erklärte ihm den Unterschied zwischen ihrer Mentalität und derjenigen vieler Gäste aus Europa:

„Wir tanzen, ihr denkt.“           

Ob die Theoretiker im Tango auch nach solchen Anleitungen für guten Sex suchen? Wissen wollen, was „richtig“ oder falsch“ ist? Meines Wissens gibt es da ebenfalls eine ziemliche Bandbreite.

Für beide Bereiche gilt aber: So lange die Frauen schnurren, passt das schon!

P.S. Für Tangoexperten, die vielleicht umschulen wollen:

https://www.youtube.com/watch?v=qSP2GBl8q_E

Kommentare

  1. Der missverstandene Obergockel will sich zwar nicht einmischen, gockelt aber lieber hier in seinem geschützten Bereich. So etwas nennt man feig.

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    1. Nein, mein Lieber,

      feig finde ich es vor allem, wenn man nicht mit dem wahren Namen zu seinen Ansichten steht.

      Ich empfinde es eher als rücksichtsvoll, wenn man nicht auf fremden Accounts ständig mit seinen Ansichten nervt. Wen meine Beiträge interessieren, kann sie hier nachlesen - und auch kommentieren. Oder auf Facebook, was zu dem Thema reichlich geschah.

      Und ich weiß nicht, ob man "gockelt", wenn man bekennt, die Führung auch nicht genau erklären zu können. Andere sind da weiter.

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  2. Da liegen sie falsch. Ich werde meinen Namen nicht nennen, weil ich nicht zu jenen gehören will, die Sie namentlich verunglimpfen und ihre Kommentare als "gockeln" bezeichnen. Und schon gar nicht bin ich "Ihr Lieber".

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    1. Nun, mein Lieber,

      wenn Sie Ihren wahren Namen nicht nennen, muss ich mir halt eine Anrede raussuchen. Mir ist da Verschiedenes eingefallen, und ich habe mich für das Freundlichste entschieden.

      Faktencheck: Darf ich mal um ein Zitat aus meinem obigen Artikel bitten, das Ihren Vorwurf der "Verunglimpfung" bestätigt?
      Manchmal habe ich das Gefühl, dass "Dauerbeleidigtsein" die Tangoszene besser charakterisiert als das Tanzen...

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    2. Nicht, dass jemand glaubt, ich hätte Folgekommentare nicht veröffentlicht: Nein, da kam nichts mehr.
      Bei solchen Vorwürfen ist es ein probates Mittel, zum Beleg um Zitate zu bitten. Beendet in 95 Prozent der Fälle die Debatte zuverlässig!

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  3. > Nun habe ich zwar nie behauptet, beim Führen nichts zu tun

    "Ich „führe“ so wenig wie möglich" (= also am liebsten gar nicht)

    "Sollte ich daher jemals in den „Código-Wahnsinn“ geraten [...], wäre meine erste Tat, die Begriffe „Führen“ und „Folgen“ im Tango zu verbieten."

    Quelle: https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/08/warum-ich-wenig-fuhre.html

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    1. Lieber Jochen Lüders,

      wer den verlinkten Artikel mit einer genügenden Fähigkeit zur Texterfassung liest, kann unmöglich auf die Idee kommen, ich würde am liebsten gar nicht führen.

      In der Kommunikations-Situation eines Paartanzes ist es natürlich immer nötig, dass einer von beiden Signale sendet. Ideal ist es, wenn dies gleichmäßig von beiden Partnern geschieht. „So wenig wie möglich“ heißt für mich also: im Idealfall für beide 50 Prozent.

      Wenn man das entsprechende Zitat etwas ausführlicher bemüht, wird das ja auch klar:
      „Will sagen: Ich ‚führe‘ so wenig wie möglich, sondern versuche auf das einzugehen, was mir mein Gegenüber liefert – und freue mich, wenn diese Rollen möglichst gleichmäßig verteilt sind.“

      Was den zweiten Textsplitter betrifft: Mit wenigstens einem Hauch von Gespür für Satire sollte auch dieser verständlich sein. Und da ich noch immer nicht dem „Codigo-Wahnsinn“ verfallen bin, halte ich weiterhin nichts von Verboten im Tango.

      Nicht nur in diesem Artikel habe ich aber umfänglich dargetan, dass ich die Begriffe „Führen“ und „Folgen“ für unglücklich halte, da sie dem Mann einen Zwang auferlegen und die Frau passivieren. Ich bin darauf in einem weiteren Beitrag eingegangen:
      https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/12/mein-tunix-tango.html

      Ich erkenne aber durchaus an, dass Sie sich wenigstens die Mühe machen, mich mit eigenen Zitaten zu widerlegen. Auch, wenn es zu nichts führt.

      Aber bitte: Wenn Sie an solchen Kategorisierungen Freude haben, will ich sie Ihnen nicht nehmen. Dann gibt es in unserem Tanz halt nur Schwarz und Weiß, Richtig und Falsch, Erlaubt und Verboten. Auch Dialektik kann zur Wahrheitsfindung beitragen!

      Mit besten Grüßen
      Gerhard Riedl

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