Tanzverbot macht Wangen rot

In der Facebook-Gruppe „Tango München“ informierte vorgestern ein Veranstalter darüber, er habe seine Milonga am heutigenn Karfreitag abgesagt:

An Karfreitag und Karsamstag herrscht in Bayern ein sogenanntes Tanzverbot (Bußgeld bis zu 10.000 €). Unsere Milonga (…) am 07. April entfällt deshalb. Wie ist Eure Meinung zu dieser Verordnung?

Erwartungsgemäß ist die Mehrheit empört (in München ja ein Tango-Grundgefühl). Als Ersatz für mein „Wort zum Samstag“ einige Zitate in Zornesröte:

„Jeder sollte seine Wertvorstellungen (einschließlich Religion) offen und frei leben können, ohne über das Tun anderer zu bestimmen.“

„Anachronistischer Unsinn und Unfreiheit pur.“

„Tanzverbot an Ostern ist mittelalterliche Rückständigkeit.“

„Der Kirchenterror muss beendet werden.“

„Zukünftig auch während des Ramadans Tanzverbot.“

„Warum sollte man sich das Tanzen verbieten lassen?“

„In deutschen Landen ist der übergriffige Staat das Normal, der Bürger dementsprechend sozialisiert. Dadurch hat der Faschismus seit jeher hier leichtes Spiel.“

Na ja, die Nazis hatten es nicht so direkt mit den christlichen Kirchen – zumindest, wenn einzelne ihrer Vertreter zu widersprechen wagten…

Weiterhin ist das Tanzen auch an den „Stillen Tagen“ nur in der Öffentlichkeit verboten. Nach Artikel 3 des Bayerischen Feiertagsgesetzes gehören dazu Aschermittwoch, Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag, Allerheiligen, Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag, Heiligabend. Wörtlich lautet der entsprechende Passus:

„An stillen Tagen sind öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen verboten, die nicht dem ernsten Charakter dieser Tage entsprechen.“

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayFTG-3

https://www.muenchen.de/aktuell/stille-feiertage-alle-infos-zum-tanzverbot-muenchen

Privat darf man natürlich feiern und tanzen, wie man möchte. Das dachten wir im April 2015 auch und luden für Karfreitag (3.4.15) zu einer „Wohnzimmer-Milonga“ ein. Ein politisches Statement lag uns fern – es waren schlicht organisatorische Gründe, welche uns diesen Termin nahelegten.

Da ich an diesem Tag den Sänger Carlos Gardel vorstellen wollte, schrieb ich etwas flapsig vom „Gedenken“ an die Tango-Ikone. Ein eingeladener Bekannter antwortete, an diesem Tag gedächten „wir“ nicht der Tango-Berühmtheit, sondern des Leidens und Sterbens Jesu.

Ich bin dann unverzüglich aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Freilich war das nur der letzte Tropfen, welcher bei mir das Fass zum Überlaufen brachte – dieser Alleinvertretungsanspruch von Religionen, welche bestimmen wollten, was alle zu denken, wie sie sich zu verhalten hätten. Im Endeffekt hat das hunderte Male zu Kriegen und Verfolgungen geführt. Als Christ fühle ich mich aber weiterhin – auch wenn ich von den „Bodentruppen“ desertiert bin.

Letztlich zeigt sich hier auch wieder einmal, dass die Probleme meist vom kommerzialisierten Tango kommen. Wer privat etwas veranstaltet, hat mehr Freiheiten. Die anderen probieren bei solchen Gelegenheiten öfters den Schnack von „meldet euch an, dann laden wir euch ein“. Dies kann böse enden – aber das sollen sich diese Veranstalter dann von ihrem Anwalt erklären lassen…

Die momentane Debatte war für mich ein Grund, mich einmal näher mit den Feiertags-Regelungen hierzulande zu beschäftigen:

Grundsätzlich sind für diese bei uns die Bundesländer zuständig. Nur ein einziger Termin, nämlich der 3. Oktober, ist bundesweit als „Tag der Deutschen Einheit“ festgelegt.

Es gibt 8 weitere Feiertage, welche in allen 16 Ländern gelten: Neujahrstag, Karfreitag, Ostermontag, Erster Mai, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, erster und zweiter Weihnachtsfeiertag.

Bei den weiteren kirchlichen Feiertagen geht es uns Bayern spitzenmäßig gut: An zusätzlichen 4 Terminen haben wir frei: Dreikönig, Fronleichnam, Allerheilgen, Mariä Himmelfahrt (nur in Gemeinden mit überwiegend katholischer Bevölkerung).       

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetzliche_Feiertage_in_Deutschland

Neben dem Urlaub verdanken wir es also den Feiertagen, dass wir gut zwei weitere Wochen nicht zur Arbeit müssen. Und von diesen freien Tagen ist die große Mehrheit religiösen Ursprungs. Immerhin rund 53 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Mitglied einer christlichen Kirche.

https://de.wikipedia.org/wiki/Religionen_in_Deutschland

Etwas überspitzt könnte man sagen: Der Tango-Fan möchte sich also nichts von der Kirche vorschreiben lassen, den entsprechenden Zusatz-Urlaub nimmt er jedoch gerne mit.

Glücklicherweise gibt es in der obigen FB-Gruppe auch Kommentatoren, welche auf diese Unlogik hinweisen:

„Dann kein Weihnachten mehr, kein Ostern, kein Christi Himmelfahrt, kein Fronleichnam, kein Pfingsten, kein Reformationstag, kein Allerheiligen.... also 6-8 Feiertage in Deutschland in Zukunft Arbeitstage. Das freut den Staatssäckel.“

Übrigens wurden die Feiertagsregelungen im Grundsatz stets vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Und den Artikel 140 des Grundgesetzes (gleichlautend schon in der Weimarer Verfassung) finde ich sehr weise:

„Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“

https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_140.html

Der oben zitierte Veranstalter Jürgen Krebes beschreibt das in einem Diskussionsbeitrag sehr schön:

Vielen Dank für Eure vielfälligen Meinungen.

Hier meine: Die Stillen Tage zu respektieren ist für mich irgendwie selbstverständlich. Ich bin katholisch erzogen – auch wenn ich heute anders denke, bin ich den christlichen Traditionen trotzdem gefühlsmäßig verbunden. Ich schätze diese Tage und nutze sie zur inneren Einkehr, wenn das öffentliche Leben in vielen Bereichen zum Stillstand kommt und die äußere und die innere Ruhe harmonieren. Ich würde mir wünschen, dass viele diese Zeit in dieser Weise nutzen, gleich ob sie beten oder meditieren.

Der grenzenlose 24/7 Individualismus wird uns früh genug überrollen.

Als Veranstalter ist es für mich deshalb kein Problem, auf einen von 52 Freitagen zu verzichten.

Schöne Feiertage!“

Bleibt mir nur zu sagen: Da hat der Jürgen direkt mal Recht. Und ich hoffe, es kostet ihn keine Kunden.

Schöne Feiertage auch von mir!

Quellen: https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen/permalink/10159335170051186

https://web.de/magazine/wissen/geschichte/tanzverbot-ueberhaupt-36778754

P.S. Was war gleich nochmal an Karfreitag – außer dem Tanzverbot?

https://www.youtube.com/watch?v=4lGKnX3i4nw

P.P.S. Mein Leser Carsten Buchholz hat mich auf einen seiner Artikel zum Thema hingewiesen:

http://blog.neunmalsechs.de/2018/11/20/gegen-religioese-gesetze-in-hessen/

Kommentare

  1. Aus einem älteren Artikel von mir zum Thema:
    "Einige Leute haben mich gefragt: “Prima, warum machste denn dann so einen Aufriss?”
    Weil das ein Geld-Thema ist. Manche Menschen können es sich halt leisten, eine private Veranstaltung am [...] zu machen (oder sie werden eingeladen) und trotz stillem Feiertag zu Tanzen. Ich gehöre zu diesen Privilegierten. Ein Friedrich Merz (CDU) kann am Totensonntag sogar sein Flugzeug starten (macht auch Lärm) und dort tanzen. Das kann die “obere Mittelschicht”. Alle normalen Menschen jedoch – die auf öffentliche Veranstaltungen angewiesen sind – sind dem Verbot durch das Feiertagsgesetz unterworfen. Das ist CDU (und SPD) Doppelmoral. Nicht OK."

    http://blog.neunmalsechs.de/2018/11/20/gegen-religioese-gesetze-in-hessen/

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    1. Lieber Carsten,

      ich kannte deinen Artikel, habe ihn mir nun aber nochmal durchgelesen.

      Du machst die „Abschaffung der stillen Feiertage“ zu deinem „persönlichen Anliegen“. Was mir nicht ganz klar ist: Sollen die nur nicht „still“ sein oder ganz entfallen? Letzteres wäre halt konsequent: Wenn ich den Sinn christlicher Feste bezweifle, brauche ich an diesen Tagen auch keinen Urlaub. Umso peinlicher, wenn die Gesellschaft damit nur noch heidnische Symbole (Osterhase) oder Männer-Besäufnisse (Christi Himmelfahrt) abfeiert.

      Auf diese Unlogik wollte ich hinweisen. Strikte Trennung von Kirche und Staat: Herzlich gerne – nur sollten wir dann das gesamte Feiertags-Gedöns auf den Prüfstand stellen und nicht nur jammern, dass wir an wenigen Tagen im Jahr mal nicht öffentlich Tango tanzen dürfen.

      Du meinst, diese Regelungen gingen auf Kosten von Geringverdienenden. Ja, wo in unserer Gesellschaft spielt Geld keine Rolle? Fast alle Versuche, den Kapitalismus durch den Sozialismus zu ersetzten, endeten historisch in Unterdrückung genau der weniger Privilegierten. Alles nicht so einfach…

      Und nein, gerade als privater Gastgeber kann man es sich leisten, von den Gästen keinen Eintritt zu verlangen, vielleicht sogar Getränke und Essen zu stellen. Das begünstigt eindeutig die Menschen, welche wenig Geld haben!

      Weiterhin geht es bei den „Stillen Feiertagen“ nicht um Lärm. Nicht nur Friedrich Merz kann sein Privatflugzeug nutzen, auch alle anderen dürfen Auto und Motorrad fahren. Macht auch Lärm. Die Idee ist schlichtweg, dass es keine Veranstaltungen gibt, welche dem ernsten Charakter dieser Tage widersprechen.

      Ehrlich gesagt finde ich es gut, dass es gelegentlich mal Tage ohne das Gegacker und Getue gibt – auch bei den Milongas. Der Kabarettist Georg Schramm meinte einmal: „Man kann doch nicht alle paar Wochen zwei Wolkenkratzer einäschern, damit die Spaßgesellschaft mal die Klappe hält.“

      Vielen Dank für deinen Beitrag, ich habe ihn im obigen Text verlinkt!

      Schöne Feiertage!
      Gerhard

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