Die ungehaltene Lesung

 „Quod lumen, lumen – was liecht, liecht" (alte Skatspieler-Regel)

Neulich erinnerte ich mich zufällig wieder an eine Geschichte, über die ich bislang – wegen des Schutzes der persönlichen Sphäre – geschwiegen habe. Nachdem die Sache inzwischen fast 12 Jahre her ist, wage ich eine Veröffentlichung. Ich werde allerdings weiterhin keine konkreten Bezüge nennen.

2010 brachte ich die erste Version meines Tangobuches heraus, das mir bei Hunderten von Leserinnen und Lesern großes Lob, ja sogar Begeisterung einbrachte. Die Mails und Rezensionen dazu füllen einen dicken Ordner und drei „Poesiealben“.

Bei einer seinerzeit noch kleinen Gruppe von Tangoleuten allerdings gab es schon damals heftige, oft hasserfüllte Verrisse und persönliche Herabsetzungen. Schlüsselfiguren waren der Blogger Cassiel und seine Fans.

Dennoch wurde ich zu zirka 30 Buchvorstellungen bzw. Lesungen eingeladen, welche bei den meisten Gästen gut ankamen. Dabei verkaufte ich eine dreistellige Zahl von „Milonga-Führern“. Bei manchen dieser Auftritte entging mir ebenfalls nicht, dass einige Figuren aus der Szene einen weiten Bogen um mich machten. Die Veranstalter gingen aber wohl davon aus, dass mein Name Besucher anziehen werde. Und so war es auch.

In den folgenden Jahren bemerkte ich aber, dass viele Organisatoren von Milongas zunehmend „kalte Füße“ bekamen und mich lieber nicht einluden. Der Umschwung zum „traditionellen Tango“ war in vollem Gange – da passte ein solches Buch nicht mehr ins Programm. Auch recht – ich habe in keinem Fall jemanden dazu überreden wollen, mich zu buchen.

Eines Tages erhielt ich die Mail eines Veranstalters:

„Hallo lieber Gerhard,

wann immer ich den Tangokater habe oder nicht auf die Milonga kann, die mich lockt (…), kuck ich jetzt in Deinen ‚Großen Milongaführer‘. Bisher hats gut geklappt und ich fand Trost. DANKE!

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir Dich irgendwann mal als Gast bei uns begrüßen dürften. Eine Leseprobe und Unterstützung beim Üben wären natürlich wundervoll.“

Ich antwortete, dass ich die Einladung gerne annehmen würde. Nach der Klärung einiger organisatorischer Details kündigte der Gastgeber unseren Auftritt im September 2011 so an:

„An diesem Übungsabend sind Karin Law Robinson-Riedl und Gerhard Riedl bei uns zu Gast. Gerhard ist der Autor des ‚Großen Milongaführers‘, in dem er auf fachkundige und äußerst unterhaltsame und vergnügliche Weise in und durch die Welt des süddeutschen Tangos führt. Eine zweimalige viertelstündige Lesung werden Riedls mit musikalischen Leckerbissen ergänzen, die sie uns mitbringen werden.“

Ich hatte vorsichtshalber darauf hingewiesen, dass ich mit Schwerpunkt „modernere Tangomusik“ auflegen würde.

Selbstverständlich verlangte ich für unseren Einsatz kein Geld – mir wurde allerdings auch keines angeboten. Im Gegenteil: Wegen einer Vereinbarung des Deutschen Tanzsportverbandes mit der GEMA dürften an den „Übungsabenden“ (Tarnwort für „Milongas“) nur Mitglieder des Vereins teilnehmen. Im Klartext: Wir hätten daher – ahem – auch noch gebührenpflichtig dem Tanzsportclub beitreten müssen!

Die Rechnung sah für uns demnach wie folgt aus:

·       Fahrkosten (2 x 175 km): ca. 100 €

·       Hotel: ca. 120 €

·       Eintritt (äh… Vereinsmitgliedschaft): geschätzte 30 €

Die Chose hätte uns also ungefähr 250 € gekostet. Wir gingen dennoch darauf ein – ich wollte mit dem Tango nie Geld verdienen, was mir in all den Jahren mehr als gelungen ist…

Blöd war, dass mir zum selben Termin noch ein Zauberauftritt angeboten wurde – Fahrtstrecke 2 x 15 km. Natürlich sagte ich den ab. Wer zuerst kommt…

Ich nehme an, die Ankündigung meiner Person hat dann einige Charaktere vor Ort dazu veranlasst, beim Vereinsvorsitzenden gewisse Bedenken geltend zu machen.

Jedenfalls erhielt ich von dem dann folgende, sehr besondere Mail:

„Hallo Gerhard,

kurz noch zu unserer Veranstaltung: Ich mache relativ viel Werbung außerhalb der Szene.“ (Äh, wie war das mit der Vereinsmitgliedschaft?) „Daher möchte ich Dich herzlich bitten, bei Deiner Lesung etwas darauf zu achten, dass nicht so sehr die Schattenseiten und das – hm – ‚Schwere‘ am Tanguero-Leben im Mittelpunkt steht, sondern eher der Nutzen und Gewinn, die Freude und das Glück, das uns dieses Tanzvergnügen beschert, ins Blickfeld der Zuhörerinnen und Zuhörer gerückt wird.

Ich muss zugeben, dass ich Dein Buch zu wenig kenne, um Wünsche zu äußern (…)

Diese krasse Diskussion in diesem Tango-Blog interessiert mich nicht sehr. Denn wer sich äußert, findet immer auch Widerspruch. Trotzdem ist es für mich nicht uninteressant gewesen, da mal reinzuschauen, denn wir wünschen uns durch die Lesung etwas Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und weniger eine kritische Beschäftigung mit der ‚Szene.‘“

Das war’s dann für mich. Ich sagte die Lesung sofort ab:

„Ich muss schon davon ausgehen, dass Veranstalter wissen, wen sie einladen. (…) Was meine Schmerzgrenze jedoch überschreitet: Jetzt auch noch eine ‚weichgespülte‘ Version meines Buches präsentieren zu sollen, weil du offenbar beim Lesen des Blogs von Herrn Cassiel kalte Füße bekommen hast – übrigens ein ‚Ehrenmann‘, der seit einem Jahr mein Buch mit Dreck übergießt und zu feige ist, wenigstens mit seinem echten Namen dazu zu stehen.

Mein ‚Milongaführer‘ stellt halt Licht und Schatten in der Tangoszene in dem Verhältnis dar, welches ich für angemessen halte – und so wird es auch in meinen Lesungen präsentiert. Wenn ich dann schon im Vorfeld fürchten muss, dem Veranstalter bzw. seinen Vorstellungen von ‚Glück und Tanzvergnügen‘ im Wege zu sein, dann lassen wir es lieber.“

Ebenfalls weichgespült war die Antwort des Vereinsvorsitzenden: Es gebe doch im Buch genug „positive Stellen“ (woher wusste er das auf einmal?), um den Leuten den Tango „ein bisschen schmackhaft“ zu machen. Und man solle doch nicht den „Philistern“ das Feld überlassen. Er finde mein Buch „humorvoll und mutig“ und würde es „absolut bedauerlich“ finden, wenn ich an meinem Entschluss festhielte.

Nebenbei erwähnte er noch, er habe die von mir (!) zur Verfügung gestellten Plakate farbig vervielfältigen lassen – was er nun damit machen solle? Vielleicht hätte ich ihm noch die Kopierkosten erstatten sollen...

In einer weiteren Mail war dann noch davon die Rede, man hätte mir doch eine Gage bzw. Fahrtkostenerstattung angeboten – und würde eine private Übernachtungsmöglichkeit organisieren. Meiner Erinnerung nach war davon nie die Rede. Ich hatte allerdings von vornherein betont, für Lesungen kein Geld zu verlangen.

Ich blieb bei meiner Absage und gab lieber die Zaubervorstellung.

Einige Zeit später passierte mir ganz Ähnliches mit einem anderen Veranstalter. Auch da habe ich mein Angebot zurückgenommen.

Warum wärme ich den „alten Käse“ wieder auf? Ich meine, diese Affäre zeigt beispielhaft den Umbruch in der damaligen Tangoszene: Oft waren noch die „Leute von früher“ am Ruder, bemerkten jedoch, dass der Wind sich drehte. Und je nach Charakter leisteten sie anschließend einen großen, kleinen oder gar keinen Widerstand.

Ich habe mir heute die Vereins-Website wieder einmal angesehen: Der alte Vorsitzende steht immer noch im Impressum. Seit langer Zeit schon wird unter dem Titel „Tangoknigge“ auf das Blog von Cassiel hingewiesen. Zu mir und meiner Seite natürlich kein Wort. Und zu den Milongas heißt es:

„Ihr liebt es, mit Blickkontakt aufzufordern, schätzt es, in der Ronda in inniger Umarmung zu tanzen und lasst Euch offen und neugierig auch auf neue Begegnungen ein?
Dann könnt Ihr das in unserem großzügigen (…) mit feinstem Tanzboden in vollen Zügen genießen. (…) mit Gast-DJanes und DJ’s und traditioneller Musik“

Tja, das könnte ich nicht mal in einem leeren Zug genießen… Inzwischen wäre ich dort ein absonderlicher Fremdling.

So ändern sich die Zeiten. Nun regieren die „Philister“!

Bei der Recherche zum Artikel habe ich ein wenig in den damaligen Lob- und Dankesmails zu meinem Buch geblättert: Eine große Zahl der Schreibenden ist heute aus der Szene verschwunden. Der Grund ist mir in vielen Fällen klar.

Meine damalige Absage mag manchen zu „holzig" erscheinen. Aber werde von zwei Prinzipien nie abgehen:

·       Ich informiere zwar über meine Angebote, habe aber noch nie einen Veranstalter zu überreden versucht, mich zu engagieren. Wer möchte – gerne! Wer nicht – ebenfalls gerne.

·       Feedback zu meinen Aktivitäten ist durchaus erwünscht. Manchmal denke ich sogar darüber nach. Wer aber meint, in meine Texte hineinregieren zu sollen: Da ändere ich nichts – keine Silbe!

Im Zweifel bleibt dann ein Auftritt ungehalten. Ist er ja eh!


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