Lüders führt, die Frauen folgen

Es war abzusehen: Der Münchner Neo-DJ und Tangolehrer Jochen Lüders wurde kürzlich pensioniert und hat nun mehr Zeit zum Schreiben. Kommt mir irgendwie bekannt vor…

Innerhalb einer Woche hat er drei Artikel verfasst, welche seinen Leserinnen und Lesern besseres Tanzen beibringen sollen. Das ist grundsätzlich schon einmal gut!

„Geht doch! – Gehen im Tango“ lautet der Titel des ersten Beitrags. „Tango es caminar“ (Tango ist Gehen) ist seine durchaus zutreffende Devise. Besser gesagt: Wie man früher ging beziehungsweise schlenderte – also entspannt. „Heute rennen die meisten ja nur noch mit Geierhals und Rundrücken permanent aufs Handy glotzend durch die Gegend“, so Lüders. Auch da hat er zweifellos – mit leichter Übertreibung – recht. Ich würde diese Feststellung allerdings nicht nur auf die Männer beziehen.

Zur Übung verlinkt der Autor diverse Musikstücke, was sicherlich sinnvoller ist als irgendwelche „Trockenübungen“.

Lüders ist ein Anhänger der senkrechten Körperpositionen im Tango, daher empfiehlt er, den Fuß über die Ferse abzurollen. Ich erlaube mir, da anderer Meinung zu sein und favorisiere die Belastung auf den Ballen, weil die zu einer leichten Vorwärtsneigung und so zu einer besseren Verständigung führt. Zudem wird aus dem senkrechten Voreinanderherlaufen leicht ein Hang nach hinten, was dann die Kommunikation endgültig unterbricht.

Okay, es kann anfangs durchaus beides klappen, da wollen wir uns nicht streiten! Auf jeden Fall ist die Grundbewegung des Gehens als Einstieg allemal sinnvoller als die berüchtigte „Basse“ – wobei Lüders sogar ein positiver Hinweis auf einen meiner Artikel unterläuft.

In dem Zusammenhang verlinkt der Autor auch ein gar schröckliches Video einer „STEHlonga“, welches man sich nur bei seelischer Stabilität gönnen sollte:

https://www.youtube.com/watch?v=5Cxgbs33fiY

Für Neulinge im Tango ist dieser Artikel durchaus empfehlenswert:

https://jochenlueders.de/?p=16147

Unter dem Titel „Let’s Dance – Schrittweise besser Tango tanzen“ spricht der Autor dankenswerterweise eine Wahrheit aus, um die sich die Tangoszene herumdrückt:

„Die meisten Männer haben ihr ganzes Leben lang nicht getanzt (bzw. sich zu Musik bewegt), der letzte (und oft einzige) Tanzkurs liegt Jahrzehnte zurück. Ihnen fehlt jegliches elementares Bewegungs-„Vokabular“ (…). Irgendwann um die 50 herum beschließen sie dann, mit Tango anzufangen (oft auch nur, weil die Partnerin das wünscht). Und jetzt soll plötzlich ein Grobmotoriker, der nicht mal einen ganz normalen Wechselschritt zustande bringt, die Frau ins Kreuz führen (meistens auch noch in enger Tanzhaltung). Und jemand, der nicht mal einen simplen Step-Touch hinbekommt, soll plötzlich (z.B. beim Ocho cortado) Rebotes / Rebounds tanzen. Kein Wunder, dass die Männer völlig überfordert und entsprechend frustriert sind und das ganze Projekt Tango oft sehr schnell abbrechen.“

Viele, wenn nicht gar die meisten Männer seien „motorisch-tänzerische Analphabeten“. Ich meine sogar: Auch bei den Frauen ist diese Spezies – vielleicht nicht ganz so häufig – vertreten.

Das ist halt der Unterschied zu anderen Bereichen wie dem Standardtanz oder der Salsa: Damit fängt eine große Zahl bereits im Jugendalter an – Tango dagegen ist vor allem wegen der angejahrten Musik oft erst ab Fünfzig ein Thema. Und dann fallen zahlreiche Leute auf die Werbesprüche herein, Tango sei ganz einfach und daher leicht zu erlernen. Das resultierende Elend kann man auf der Piste beobachten.

Ich habe dazu mal einen eigenen Artikel verfasst:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/12/erst-tanzen-lernen-und-dann-tango.html

Zur Behebung solcher Missstände bietet der Verfasser etliche Videos an, mit denen man einfache tänzerische Grundbewegungen erlernen und üben kann. Keine schlechte Idee!

https://jochenlueders.de/?p=16170

Seinen dritten Artikel widmet Jochen Lüders einem gewaltigen Thema: „Push and Pull – Führen und Folgen im Tango“.

Er beklagt das besonders häufige „nebulöse Geschwurbel“ in diesem Bereich. Genauer erklärt werde wenig – man müsse halt „gaaanz viele Kurse“ belegen.

Und er hat sicher recht, wenn er schreibt:

„Woher kommt dieses ganze geheimnisumwitterte Gedöns rund ums Führen? Der Hauptgrund dürfte sein, dass die meisten Tango-LehrerInnen von ihren Maestro/as durch reines Vor- und Nachmachen gelernt haben. (So schaut ja auch heute noch ein Großteil des Unterrichts aus.) WAS er da jetzt genau macht, kann der große Maestro leider nicht erklären, denn er hat seinerseits auch nur durch Nachmachen gelernt. Er macht seine Bewegungen schon seit Jahrzehnten und hat sie so automatisiert, dass sie ihm nicht mehr bewusst sind und er sie deshalb auch nicht mehr verbalisieren kann. Dass es sich beim Führen letztlich um simple Physik handelt (Impulsübertragung bzw. ‑erhaltung), hat er noch nie gehört und kann es logischerweise auch nicht weitergeben.“

Die Tipps des Autors zum Führen sind im Detail gar nicht schlecht. Gefallen hat mir vor allem die Idee, der Mann führe mit den Stellen, an denen ihn die Frau berühre, also vor allem seine linke Handinnenfläche und sein rechter Oberarm – über Druck und Zug. Es geht also um eine Impulsübertragung und nicht um Drücken mit der rechten Hand am Rücken der Frau und Zerren oder Rudern mit seiner linken.

Und klar, das Ganze lernt sich leichter in einer offenen Tanzhaltung!

Womit ich nicht so einverstanden bin:

Nach Lüders darf die Armhaltung, also der „Rahmen“ nicht verändert werden. Für mich sollte die Umarmung stets „elastisch“ bleiben, man kann also mit unterschiedlichen Distanzen – je nach Musik und Choreografie – „spielen“. Das bedeutet auch, dass die beiden hohen Arme sich durchaus ein wenig bewegen können. Man darf sie sogar einmal sinken lassen und diesen Kontakt aufgeben. Das alles sollte aber sehr sanft und vorsichtig geschehen!

Wie nicht anders zu erwarten, bleibt der Autor beim Hergebrachten: Der eine führt, die andere folgt. Basta! Dabei gehen sogar in konservativeren Tangokreisen inzwischen die Überlegungen in Richtung einer gegenseitigen Verständigung und Aktivität.

Ich kann den Artikel aber durchaus empfehlen, auch wenn er sich teilweise etwas kompliziert liest:

https://jochenlueders.de/?p=16200

Daher stellt Jochen Lüders abschließend fest: „Nur durch Lesen wirst du vermutlich nicht verstehen, was ich meine, du musst es einfach mal ausprobieren und SPÜREN.“

Wie wahr! Aber er bietet ja auch Privatstunden an – im Zweifel gaaanz viele!

Kommentare

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