Liebes Tagebuch… 73

„Neben der unklaren Standortbestimmung durch den Autor selbst (…) ist mir dann noch die Vokabel Spaßfaktor (…) äußerst unangenehm aufgefallen.“

https://tangoplauderei.blogspot.com/2010/09/gerhard-riedl-der-groe-milonga-fuhrer.html

Neulich hatte ich auf einer Milonga zwei neue Tanzpartnerinnen, die mir einen grundlegenden Unterschied deutlich machten.

Da ich die beiden nicht persönlich tangieren möchte, werde ich allzu konkrete Umstände weglassen – auch wenn sie interessante Details vermitteln würden.

Die eine Tänzerin ist meinem Eindruck nach schon länger beim Tango und tanzt auf den ersten Blick sehr gefällig. Allerdings wurde mir schon bald klar: Sie hatte eine feste Vorstellung davon, was beim Tango – nach konservativer Lesart – erlaubt respektive verboten ist. Irgendwelche rhythmische Spielereien oder gar spontane, improvisierte Ideen wurden rundweg abgeblockt. Boleos? Nix da – tanzt man bekanntlich nicht. Meine Versuche, wenigstens gelegentlich originell zu sein, wurden mit Unverständnis bestraft.

Natürlich passte ich mich weitgehend an und lieferte im weiteren Verlauf vorwiegend den Kram, von dem ich vermutete, dass er nicht auf dem Index steht. Dennoch hatte ich erstmals in 23 Jahren Tango die Befürchtung, die Gnädige könnte mich glatt mitten im Tanz stehen lassen. Wäre für mich immerhin eine neue Erfahrung gewesen…

Na ja, hat sie im Endeffekt doch nicht gemacht. Dafür wurde ich eine Tanda lang mit einem sybillinischen Blick bestrahlt, der andeutete, sie würde mit einem Außerirdischen tanzen und hoffe inständig, dass der bei nächster Gelegenheit mit seinem Raumschiff wieder Leine zöge.

Mein Fazit, das ich natürlich nur gedanklich formulierte: Mädel, auch wenn es auf einer einsamen Insel nur eine Tanguera gäbe – ich würde dann lieber gar keinen Tango tanzen…

Die andere Tänzerin integrierte ich in unsere Aktivitäten auf eine – gelinde gesagt – grob vorschriftswidrige Weise. Bei einem Encuentro wären wir wohl sofort rausgeflogen. Doch – o Wunder – sie ging darauf ein und hatte sogar ihren Spaß damit! Sie tanzt noch nicht lange, was man natürlich merkt. Es war jedoch eine Wohltat, ihre Neugier und auch Begeisterung zu spüren, wenn etwas gelang, das sie so nicht erwartet hätte.

Technisch betrachtet waren die drei Tänze sicherlich nicht erste Sahne. Na und? Ich spürte den Willen zum Miteinander, die Bereitschaft, sich auf Abenteuer einzulassen. Und vor allem ein Gefühl, das inzwischen im Tango verdächtig ist: Spaß.

Meine Sorge ist nur: Wie lange wird es dauern, bis man dieses Talent in der Szene „eingenordet“ hat? Der Anfängerin mit Begriffen wie „richtig“ und „falsch“ eine orthodoxe Route abstecken wird?

Wenn ich mit einer Tänzerin das Parkett betrete – vor allem, wenn wir einander noch nicht kennen – ist aus meiner Sicht die erste und wichtigste Botschaft an sie: Bleib entspannt – es besteht keine Lebensgefahr, es ist nur Tango! Ich werde mein Bestes geben und vertraue darauf, dass du es auch tust!

Ebenso notwendig ist es, dass beide bereit sind, auf die Impulse und Ideen des anderen einzugehen. Das wird nicht immer gelingen, aber diese grundsätzliche Offenheit ist unverzichtbar. Wer meint, dem anderen Lektionen in „Regelkunde“ verpassen zu sollen, nimmt dem Tango wesentliche Optionen.

Ich lebe auf dem Parkett meine Freude an der Bewegung aus – und liefere ganz bestimmt kein ideologisches Bekenntnis! Es wäre schön, wenn man mir auch keines böte.

Weiterhin versuche ich, der Partnerin die Angst zu nehmen, bewertet zu werden. „Mit wem tanzt du am liebsten?“ ist wahrscheinlich die dämlichste Frage, welche man im Tango stellen kann. Für mich kommt das, wenn schon, immer auf die konkrete Situation an: die Musik, meine eigene Stimmung und die der Tänzerin, die Mondphase und viele weitere Faktoren, die ich nicht einmal alle kenne.

Und wenn: Was würde das ändern? Soll ich dann nur noch mit den Spitzenplätzen eins bis drei tanzen? Für meinen Geschmack wäre das nicht nur langweilig, sondern todtraurig.

Nach meinem Eindruck hat man mit dem ganzen Regelungs-Getue, der ständigen Beurteilerei, mit dem gnadenlosen Moralisieren den Tango vergiftet. Vom Auffordern bis zum Erreichen des Sitzplatzes kann man vor allem viel falsch machen. Krampfhaft versucht man folglich, „Fehler" zu vermeiden. Doch auch wer alles „richtig“ macht, tanzt deshalb noch keinen Tango, der das Herz bewegt. Bestenfalls sammelt man Punkte in der Einzel- und Paarwertung.

Wenn man öffentlich einen Tango vortanzt, dürfen andere das natürlich kritisch beurteilen. Möglichst mit einer fachlichen Analyse. Mache ich selber gelegentlich – meist bei bekannten bis berühmten Tanzpaaren. Und ich bekam solche Urteile oft genug selber ab – leider meist in einem hämischen und herabsetzenden Tonfall.

Was häufig fehlt, ist ein Minimum an Respekt für eine tänzerische Leistung, welche viel Training und Erfahrung benötigt. Daher versuche ich stets, auch ein anerkennendes Wort zu finden, auch wenn mir ein Tanz überhaupt nicht gefällt.

Bei meinen Tanzpartnerinnen auf den Milongas verbietet sich allerdings eine persönliche Kritik. Ich tanze lediglich mit ihnen und bin nicht ihr Wertungsrichter.

Entscheidend ist, dass wir – und ich verwende gern das verbotene Wort – Spaß miteinander haben!

Illustration: Uwe Philipp

 

Kommentare

  1. Spaetestens nach Lesen dieses Blogeintrags wird 'die Gnaedige'/'das Maedel' peinlich beruehrt darauf achten, in Zukunft nicht mehr mit Ihnen zu tanzen. Gruss, Doris Lennart

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    1. Ja, und? Wäre doch im beiderseitigen Interesse...
      Wobei ich stets versuche, dass solche Beiträge kaum rückverfolgbar sind. Und ich nicht glaube, dass viele meiner Tänzerinnen mein Blog so genau verfolgen.
      Oder doch? Sollte ich bereits ein so einflussreicher Autor sein?

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    2. Nein, Sie sind nicht einflussreich. Und 'die Gnaedige'/'das Maedel' ist auch ganz sicher keine Ihrer Taenzerinnen. Sie wird sich ganz sicher nicht als solche bezeichnen lassen. Erst auffordern, beim Tanzen Gesicht ziehen, und spaeter ablaestern - ach, Gerhard, was will man da noch sagen. D. Lennart

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    3. Ich weiß auch nicht, was man da noch sagen will - aber anscheinend fällt ja Ihnen was ein.
      Woher wissen Sie eigentlich etwas über meinen Gesichtsausdruck beim entsprechenden Tanz?
      Sorry, aber mit der Formulierung "meine Tänzerinnen" war gemeint: Frauen, mit denen ich schon mal getanzt habe (dürften inzwischen an die 3000 sein). Ansonsten reklamiere ich keine Besitzansprüche für einen erlauchten Harem - auch, wenn das beim Tango unvorstellbar klingen mag.

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    4. Ich bezeichne als 'meine Taenzer' diejenigen Personen, mit denen sich beim Tanz eine besondere Verbindung einstellt. Eine recht kleine Zahl, selbstverstaendlich. Die Zahl an Personen, mit denen ich mal getanzt habe, habe ich noch nie hochgerechnet. In welchem Zusammenhang verweisen Sie auf die Zahl '3000'? -welchen Aspekt soll das unterstuetzen? D. Lennart

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    5. Meines Wissens hat die Zahl drei Nullen. Sonst gar nix.
      Sollten Sie sich nun weiter an diesem Randaspekt abarbeiten wollen, schreiben Sie für's Spam-Filter.

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