Rund um den Schleichtango

Bekanntlich schöpfe ich meine Weisheiten aus dem Fundus von YouTube, während Bloggerkollegen stets aus der Praxis berichten. Umso überraschter war ich, als Kollege Klaus Wendel mir per Kommentar den Hinweis auf ein Tanzvideo des bekannten Tangolehrers Murat Erdemsel übersandte und es so kommentierte:  

„Wenn also ein Murat Erdemsel, der Hohepriester des Minimalismus, in 45 Sekunden ganze fünf Schritte wagt und das Publikum mit der atemlosen Spannung des ‚Nichts‘ fesselt, während dieses sich fragt, ob er vielleicht gerade eingefroren ist – dann vergisst man leicht, dass Tango-Auftritte der 70er bis 2000er Jahre ganz andere Kaliber waren. Damals wurde getanzt, bis die Sohlen glühten und die Kamera Rauchzeichen gab.“

Durchgezählt hatte Wendel das Video auch: „Übrigens 4 Schritte in 46 Sekunden“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2025/11/na-also-geht-doch.html?showComment=1762533794963#c4669919377757826224

Ich habe nachgezählt: Stimmt!

Man sehe und staune:

 

https://www.youtube.com/watch?v=t92PN8C5KFc

Dass Murat sich beim Tango viel Zeit lässt, ist nichts Neues: Bereits vor über zweieinhalb Jahren hatte ich diesem einen Artikel gewidmet:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/04/nur-keine-eile-carablanca.html

Trotzdem: Sprüche wie „Hohepriester des Minimalismus“ und „atemlosen Spannung des ‚Nichts‘“ sind schon knackig und erinnern an Jochen Lüders, der (ausgerechnet) mich der „Tunix-Fraktion“ zurechnete:

https://jochenlueders.de/?p=15907

Na ja, immerhin hatte dieser Kollege da nur meine Person im Blick: Ich ließe mich „vom Feuerwerk der Frau bezaubern“. Bei Murat dagegen tut die ebenfalls nix.

Die Kritik am bekannten Tangostar hat vielleicht in Wendels Umfeld heftige Beben ausgelöst, da ich in meiner Antwort von „Schleichtango“ sprach. Wendel war nun heftig bemüht, seine Sprüche wieder einzufangen. Und wie kriegt man das hin? Klar: Man schiebt die Schuld auf mich:

„Ihre Bezeichnung ‚Schleicher-Tango‘ empfinde ich als herablassend und abwertend, weil sie den tänzerischen Ausdruck, der dahintersteht, nicht treffend beschreibt. Zudem ist diese Formulierung sowohl sachlich als auch fachlich irreführend und zeugt von einer gewissen Intoleranz tänzerischer Ausdrucksmöglichkeiten im Tango, die bereits seit seinen Anfängen fester Bestandteil seiner Entwicklung sind. Pausen und langsame Schritte gehören somit zur traditionellen Ausdrucksweise des Tangos.“

Meine „abwertenden, beleidigenden Begriffe“ stützten sich „nur auf Geschmacksurteile“. Ja klar – so what? Etwas anderes habe ich nie behauptet. Und das nie vom hohen Ross des „Experten“ herab.

Ich würde doch auch eine „faire und sachliche Bewertung“ meines Tanzvideos erwarten. Nein, sachlich müsste die gar nicht sein – vieles im Tango ist eine subjektive Geschmacksfrage. Und fair? Ach, zumindest könnte man berücksichtigen, dass wir unseren Tanz vor drei Personen im Wohnzimmer gezeigt haben und nicht vor einer dreistelligen Zahl jubelnder Fans inszenierten.

Aber klar: Wer etwas öffentlich macht, muss mit Kritik rechnen, auch wenn sie doof, vorurteilsbeladen und bösartig ist.

Und ein bisschen mehr Action als der berühmte Tangolehrer haben wir immerhin gezeigt. Aber ich habe inzwischen gelernt: Im Tango kommt es nicht darauf an, was man macht, sondern wer.

Und immerhin bleibt Wendel dabei: „Ich persönlich halte Murat Erdemsels Bewegungsminimalismus für äußerst arrogant, zumindest sehr provokant – was selbstverständlich seine künstlerische Freiheit ist, und Kunst darf ja auch provozieren.“

Auch da bliebe hinzuzufügen: Jedenfalls, wenn’s nicht meine ist…

https://milongafuehrer.blogspot.com/2025/11/na-also-geht-doch.html?showComment=1762607285833#c1737564564220461816

Im weiteren Verlauf der Debatte rudert Wendel immer weiter zurück:

 „Sie lästern über die langsamen Bewegungen von Murat Erdemsel als ‚Nichtstun‘, während ich weiß, wie anspruchsvoll solche Passagen zu tanzen sind – gerade weil sie scheinbar mühelos wirken. Ich beurteile diese Pausen aus der Perspektive eines erfahrenen Tänzers, Sie hingegen aus der eines relativen Laien.“

Und ich würde „die Ronda ablehnen“ sowie „ausschließlich die verbale Form“ des Aufforderns bevorzugen. Stimmt zwar nicht und hat mit dem Thema nichts zu tun, macht sich aber immer gut!

https://milongafuehrer.blogspot.com/2025/11/na-also-geht-doch.html?showComment=1762616678085#c3319845236398672300

Außerdem erfahre ich nun Erstaunliches: Ich sei im Tango der „Theoretiker“, der Kollege offenbar der tänzerischen Praxis zugetan. Na ja, immerhin veröffentliche ich keine Texte mit Grafiken, die an elektrische Schaltkreise erinnern…

Nicht zum ersten Mal lerne ich zwei Wendels kennen: Da gibt es den Autor, der öfters sehr interessant sowie witzig schreibt und von meinen Ansichten jedenfalls gar nicht weit entfernt ist. Merke ich das dann lobend an, kommt postwendend – ob aus eigener Initiative oder nach Hinweis irgendwelcher Einflüsterer – ein heftiges Dementi, das mich an Film-Vorspanne erinnert: Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen sei frei erfunden.

Das Problem des Kollegen dürfte darin bestehen, dass ihm manchmal gar nicht klar ist, was er da eigentlich schreibt. Landet das dann auf meinem Blog, wird hektisch korrigiert, gelöscht oder uminterpretiert. Ein Lektorat wäre ihm dringend zu empfehlen – aber er meint sicherlich, keines zu benötigen.

So verwendet Wendel in seinem neuesten Artikel eine Formulierung, von der ich ihm dringend abgeraten hätte. Man dürfe Beliebigkeit nicht mit Freiheit verwechseln:

„Denn wirkliche Freiheit muss man sich erarbeiten.“

https://www.tangocompas.co/gedanken-ueber-tango-unterricht-27-teil-b/

O Schreck – ganz dünnes Eis…

Und gibt es dann auch unwirkliche Freiheiten"? Na ja, im Tango vielleicht schon.

Abgesehen davon musste ich mir die Freiheiten im Tango nie erarbeiten – sie boten sich von selber an. Arbeit hatte ich nur mit denen, die mir mit holzigen Regeln kamen!

P.S. Von einem Kabarettisten hörte ich neulich den Satz: Das Einzige, was Arbeit macht, ist müde." 

Kommentare

  1. Klaus Wendel hat darauf nun ebenfalls mit einem Text reagiert:
    https://www.tangocompas.co/keine-zwei-wendel-nur-eine-haltung/

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    1. Weil mir von meinen werten Gegnern vorgeworfen wird, ich würde sie immer wieder zu Reaktionen „triggern“: Klaus Wendel hat nicht auf einen Text von mir reagiert, sondern auf den Kommentar einer Leserin, ihr seien die gezeigten Tangos aus früheren Zeiten „zu hektisch“. Und er hat auf das Beispiel Murat Erdemsel verwiesen.
      https://milongafuehrer.blogspot.com/2025/11/na-also-geht-doch.html?showComment=1762448470448#c7511926533223141324
      Daraus entspann sich dann die Debatte.
      Aber gut: Irgendwie scheinen meine Veröffentlichungen interessant zu sein. Sonst könnte man sich ja mal Reaktionen darauf sparen…

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    2. Klaus Wendel hat seinen Text "Keine zwei Wendel - nur eine Haltung" nun gelöscht. Hoffentlich wird das nicht zur dauernden Übung...

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