Die Umstellung von Haushaltsführung auf Ballführung
In
den letzten Beiträgen war öfters von Rollenwechseln
die Rede: Frauen tanzen mit Frauen, ja vielleicht sogar Männer mit
ihresgleichen – oder gar Damen mit Herren in vertauschter Führung.
Dies
hat mir auf dem Forum www.tanzmitmir.net
Belehrungen zum grundsätzlichen Wesen des Paartanzes eingebracht. So heißt es
dort:
„Damen tanzen mit
Damen, weil es der Männermangel erfordert, falls keine anderen Intentionen
vorliegen; wenn Männer mit Männern tanzen, ausgenommen Tänze folkloristischer
Art, dann hat das auch seinen Grund, nur den Normen des Gesellschaftstanzes
entspricht es nicht !“
Sogar
der Begriff „dekadente Ausuferung“ muss
herhalten.
Ein
anderer Kommentator meint:
„Fern aller Einwände,
was sich diesbezüglich in der Frühzeit des Tangos abgespielt hat, vom Queer
Tango bis zu anderen Gepflogenheiten und Spielarten. Für mich führt der Mann
und die Frau folgt seinen Anzeigen und Impulsen.
Nach meiner Ansicht führt eine Frau nie wie ein Mann und folgt kein Mann wie eine Frau – dieses liegt in der Natur der Sache. So einfach ist die Sache aus meiner Sicht.“
Nach meiner Ansicht führt eine Frau nie wie ein Mann und folgt kein Mann wie eine Frau – dieses liegt in der Natur der Sache. So einfach ist die Sache aus meiner Sicht.“
Nun
ja, „Queer Tango“ vor hundert Jahren in Argentinien – bis in die 1980-er Jahre
wurden dort Homosexuelle unterdrückt und verfolgt… Aber davon abgesehen: Wo
hatte ich diese Argumente hinsichtlich der „Natur“ von Frauen und Männern das
letzte Mal gehört?
Richtig:
im Frauenfußball!
Zwar
haben dort die Damen schon ziemlich früh mitgemischt: Als 1863 Fußball durch
die internationale Vereinheitlichung der Regeln zu einer Sportart wurde,
spielten auch Mädchen an englischen Schulen dieses Spiel. 1894 wurde das erste
britische Frauen-Fußballteam gegründet.
In
Deutschland fanden erste organisierte Spiele von Studentinnen im Rahmen der
Deutschen Hochschulmeisterschaften 1922 statt. Im Nationalsozialismus galt der
Frauenfußball als unerwünscht, da er im Widerspruch zur eigenen Vorstellung
stand, die Frauen vor allem als Mütter ansah. Erst in den 1950-er Jahren kam es
zu erneuten Bildungen von Frauenmannschaften als Verein oder Abteilung.
1955
machte der Deutsche Fußballbund (DFB) dem Treiben ein Ende: Per Verbandbeschluss
wurde den Vereinen verboten, Damenmannschaften aufzustellen oder kickenden
Frauen Sportplätze, Garderoben etc. zu überlassen. Schiedsrichter durften keine
weiblichen Spiele pfeifen.
In
der damaligen Begründung hieß es: „… dass
diese Kampfsportart der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd ist.“, „… Körper
und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers
verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ Zudem gab der DFB in seiner
Begründung eine angeblich gesundheitsschädigende Wirkung des Sportes auf Frauen
an, da dadurch ihre Gebärfähigkeit beeinträchtigt würde.
Das
ehemalige DFB-Vorstandsmitglied Hubert
Claessen sagte dazu: „Das war schon
eine schwere Sünde, dass die Mädchen da mit einem wackeligen Busen übers Feld
liefen und dann auch noch gegen den Ball traten oder sich gegenseitig foulten.“
Um
Hervorragendes sorgte sich der Vorsitzende der Fifa-Ärztekommission: „Ich würde den Damen einen dicken,
wattierten Büstenhalter empfehlen. Wenngleich die Brust beim Frauen-Fußball
mehr störend als gefährdet ist.“ Bayern-Star Gerd Müller ließ
wissen, dass Frauen doch lieber „kochen
statt kicken“ sollen, und der damalige Bundestrainer Helmut Schön befand: „Die Frau ist von Natur her nicht für diesen
Sport geeignet.“
Der
renommierte Psychologe Frederik Jacobus
Johannes Buytendijk gutachtete: „Im
Fußballspiel zeigt sich in spielender Form das Grundschema der männlichen
Neigungen und der Wert der männlichen Welt. (…) Das Fußballspiel als Spielform
ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen,
Frauen Fußball spielen zu lassen. (…) Das Treten ist wohl spezifisch männlich,
ob darum Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist
das Nicht-Treten weiblich."
Zum Zeitgeist: Bis
1954 durften verheiratete Frauen nicht im öffentlichen Dienst arbeiten, erst
Ende der 60-er Jahre war es ihnen erlaubt, ohne Genehmigung ihres Mannes ein
Konto zu eröffnen. Lehrerinnen wurden ab
ihrer Heirat aus dem Schuldienst entlassen; es herrschte das sogenannte
„Lehrerinnenzölibat“. Diese Klausel wurde erst 1957 vom Bundesarbeitsgericht
aufgehoben.
Das DFB-Verbot umging man jedoch immer mehr: „Inoffizielle“ Frauenteams spielten gegeneinander. So fand 1955 im Münchner Dante-Stadion ein „Länderspiel“ gegen Westholland statt. Deutschland gewann mit 4:2.
Not
amused war die Herrenriege des DFB, welche Städte wie München oder Frankfurt
wegen der zur Verfügung gestellten Sportplätze anmuffelte. Es lag wohl sogar
die Drohung im Raum, dorthin keine „richtigen“ Länderspiele mehr zu vergeben.
Selbst der Deutsche Städtetag wurde – wenn auch vergeblich – zum Boykott
aufgerufen.
1970
drohte dem Fußballverband die Lage zu entgleiten: Die Zahl fußballspielender
Frauen wuchs rapide, es drohte die Gründung einer Konkurrenz-Organisation.
Schweren Herzens rang man sich zu einer Rücknahme des Verbots durch – freilich mit
Auflagen: So mussten die Frauenteams wegen ihrer „schwächeren Natur“ eine
halbjährige Winterpause einhalten, Stollenschuhe waren verboten und die Bälle
kleiner und leichter. Das Spiel selbst dauerte nur 70 Minuten. Erst
seit der Saison 1993/94 dürfen die Frauen die regulären 90 Minuten
absolvieren.
Die Süfisanz der Berichterstattung zeigt sich auch noch beim ersten Endspiel um die deutsche Meisterschaft der Frauen:
Wie
krampfig die Herren der Schöpfung das Thema noch 1970 betrachteten, zeigt ein
Beitrag im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF, wo Moderator Wim Thoelke wohl einen Rekord in der Sparte „Machosprüche pro
Minute“ aufstellte:
„Decken, decken – nicht Tischdecken… richtig Manndecken!“
Man achte auch auf den devoten Tonfall der Spielerinnen im
Interview!
Bis heute hat sich vieles geändert – Frauenfußball gilt längst
als „gesellschaftsfähig“, sicher auch durch die sportlichen Erfolge:
1989
gewann die deutsche Frauen-Nationalmannschaft erstmals die Europameisterschaft.
Als Siegprämie erhielt jede Nationalspielerin per Post ein Kaffeeservice. (Für
den Gewinn des WM-Titels bekamen die Männer im Jahr 1974 bereits eine Prämie
von umgerechnet 35.900 Euro pro Person!) Bislang können die Frauen acht
Europameister- und zwei Weltmeister-Titel
verbuchen. Und mit Bibiana Steinhaus
gab es eine sehr erfolgreiche Schiedsrichterin in der 1.
Bundesliga.
„Die Umstellung von
Haushaltsführung auf Ballführung scheint tatsächlich gelungen zu sein“ – diese Sottise des
Sportreporters von 1955 hat sich heute mehr als bewahrheitet. Die Umstellung
von Haushaltsführung auf die Führung im Tango steht flächendeckend noch aus –
da sind wir bislang auf dem Niveau von 1970. Ein Milongabesuch hängt auch heute oft von der Genehmigung des Gatten ab...
Ich
mag Frauenfußball – dort stehen nämlich noch mehr Technik und Zusammenspiel im
Vordergrund und nicht das Umrennen des Gegners.
Quellen:
http://www.bpb.de/gesellschaft/sport/graue-spielzeit/65063/das-dfb-verbot?p=3
Hi Gerhard,
AntwortenLöschenich schicke vorraus: Fussball interessiert mich überhaupt nicht.
Aber Frauenfussball: das war doch das, wo die Nationalmannschaften und Weltmeisterinnen regelmässig haushoch gegen B-JugendMannschaften (14 jährige Jungs) u.ä. verlieren ... ;-)
Und zu "Aber davon abgesehen: Wo hatte ich diese Argumente hinsichtlich der „Natur“ von Frauen und Männern das letzte Mal gehört?"
Also ich "hör" in letzter Zeit regelmässig, wenn ich mir Aussagen von Feministinnen anhöre, sinngemäss dass Männer von Natur aus Gewalttäter seien, alle nur Frauen unterdrücken und/oder vergewaltigen wollen, und von Natur aus Frauen sowieso in allem viel besser als Männer seien ("mann" lässt sie bloß nicht ... ).
Schön für dich, wenn du von diesem Geschrei verschont bleibst, und die letzten sexistischen Aussagen vor Jahren zum Frauenfußball gehört hast ... ;-) :-P
Na ja, sagen wir lieber: U 16-Auswahl…
LöschenSicherlich sind die sportlichen Leistungen von Männern und Frauen von Natur aus unterschiedlich. Nur ist das auch im Schwimmen, der Leichtathletik oder dem Skifahren so. Darum ging es mir nicht, sondern um die Frage, ob man Frauen „naturbedingt“ die Eignung für bestimmte Tätigkeiten absprechen soll.
Allerdings machen Frauen auch nicht so ein Theater auf dem Fußballplatz:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/maenner-frauen-vergleich-warum-fussballer-die-wahren-drama-kings-sind-a-771558.html
Und sicher führen Frauen im Tango anders als Männer. Na und? Ist das männliche Führen die „Norm“, also der Maßstab aller Dinge?
Ich habe im Zusammenhang mit Frauenfußball nicht von „sexistischen Aussagen“ gesprochen. Da gibt es gerade für einen Blogger aktuellere Beispiele. Bemerkungen dieser Art über Männer höre ich in meinen Kreisen allerdings nicht. Dort herrscht Einvernehmen, dass Männer und Frauen zwar nicht gleich, jedoch gleichwertig sind.
Hi Gerhard,
Löschen"Bemerkungen dieser Art über Männer höre ich in meinen Kreisen allerdings nicht. Dort herrscht Einvernehmen, dass Männer und Frauen zwar nicht gleich, jedoch gleichwertig sind."
dieses Einvernehmen teile ich, sei froh, dass du diese Bemerkungen nicht wahrnehmen musst. Ich interpretiere solche aber durchaus so, dass die entsprechenden "Damen" Männer eher nicht als Menschen mit Rechten und eigenen Bedürfnissen wahrnehmen. Nun ja ...
Zum Führen durch Frauen hab ich eh keine Einwände (wie schon irgendwoanders geschrieben, finde ich es eh am schönsten, wenn man als Paar den Tanz wirklich als Dialog gestalten kann. Und wen das klappt ist die Vorstellung von "Führen/Folgen" eher was "Nostalgisches").
Ach ja, und doch noch was zum Frauenfussball, mir ist jüngst das Video untergekommen:
https://www.youtube.com/watch?v=D6St8LQXrW4
Ich glaube, deine hohe Meinung von Frauen als bessere Menschen ist nur deswegen (noch) ein wenig gerechtfertigt, weil sie bislang zu wenig Gelegenheit dazu hatten, den "Neandertaler" raushängen zu lassen ... ;-) (Nun ja, auch Frauen sind halt keine Engel sondern Menschen)
Ciao, Robert
Lieber Robert,
Löschenklar, der Frauenfußball wird auch härter: mehr Training, höherer Ehrgeiz.
Trotzdem: Wenn dich diese Nickligkeiten schon beeindrucken, wünsche ich viel Spaß mit den männlichen Pendants:
https://www.youtube.com/watch?v=KmhwNiG9MKc
Ansonsten gibt es viele, die andere „eher nicht als Menschen mit Rechten und eigenen Bedürfnissen wahrnehmen“ – ob nun diktatorische Machthaber oder Taliban jeglicher Couleur. Da sind sicher auch ein paar Frauen drunter. Solche Dinge nehme ich natürlich wahr – nur nicht in meinem engeren Umfeld, da würde ich solchen Naturen schnell die rote Karte zeigen.
Dass ich Frauen für bessere Menschen halte, habe ich nie geschrieben – vermutlich deshalb, weil ich nicht dieser Meinung bin. Nicht alle Menschen sind Engel – und nicht alle Engel Menschen.
Wir werden uns bei diesen Themen wohl nicht einigen. Aber das macht nichts. Rein professionell gesehen steigert das die Zugriffsquote.
"und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“
AntwortenLöschenWann hat sich diese Ansicht eigentlich umgedreht? Oder ist das nur in "weiblicheren" Sportarten wie z. B. Turnen oder Beach-Volleyball so?
Zum Thema "Führen-Folgen": Ich sehe den Tango auch als Dialog, bei dem die Rollen fließend wechseln.
Und ja, Frauen führen anders, aber deswegen nicht automatisch schlechter. Einige meiner schönsten Tandas habe ich mit Frauen getanzt.
Dass man Frauen in manchen Sportarten in sehr freizügige Kleidung steckt, ist wohl dem Kampf um Einschaltquoten geschuldet.
LöschenWas den Fußball betrifft: Immer, wenn Männer fürchten, eine ihrer Domänen würde verloren gehen, werden sie moralisch. Auch die Herren in den 1950-er Jahren haben nicht gegen Bikini-Schönheiten am Strand protestiert. Nur beim Fußball machten sie sich Sorgen um das Anstandsgefühl...
Und genau mit den niedrigeren Einschaltquoten wird argumentiert, wenn es darum geht, warum Frauen im Fußball weniger verdienen. Könnte man also eigentlich ganz einfach lösen, indem man den Frauen neue Trikots verpasst...
LöschenIch bin sehr froh, dass es im Fußball der Frauen noch vorrangig um Sport und nicht um astronomische Summen geht. Die zunehmende Kommerzialisierung tut weder dem Sport noch dem Tango gut.
LöschenNeue Trikots mit ohne viel Stoff? Ich fürchte, das wäre mit Stollenschuhen und Schienbeinschonern nicht wirklich kompatibel - oder wenn man nach einem Foul fünf Meter über den Rasen kugelt.
Aber man könnte ja den Ball weglassen. Das funktioniert auch im Tango, wo die Musik kaum noch eine Rolle spielt...