Passend gemacht
Es überrascht kaum, dass sich beim heutigen Tango eine durchaus bemerkbare Menge an Reaktionären tummelt. Auch in Argentinien hat ja unser Tanz nicht verhindert, dass nun ein Rechtspopulist Staatspräsident wurde.
Ich verfolge seit längerer Zeit das Treiben eines Tangokollegen auf Facebook. Sein Account wartet fast täglich mit Skandalmeldungen über linksgrüne Verirrungen auf. Aktuelle Beispiele:
Zum derzeitigen Wetterproblem stellt er gerade fest: „Noch eine Anmerkung zum Hochwasser im Süden Deutschlands: In Diedorf ist ein Damm gebrochen und das Dorf musste evakuiert werden. Es ist also wie immer: Die Ursache für solche Katastrophen ist nicht der Klimawandel sondern das Versagen der Behörden.“
Nun bin ich öfters in Diedorf und weiß daher, dass es sich nicht um ein Dorf, sondern eine Marktgemeinde mit gut 10000 Einwohnern handelt. Und es mussten nicht alle, sondern ein paar hundert Bewohner evakuiert werden. Nein, und mit dem Klimawandel haben solche sich häufenden Wetterextreme natürlich nichts zu tun… Übrigens haben die Naturschützer in der Gegend in langen Kämpfen die Erhaltung des Schmuttertals mit einer wunderbaren Flussauen-Landschaft erreicht. Nicht auszudenken, wenn es anders gekommen wäre!
Na ja, alles halt fast richtig…
Zweifellos werden es die Mitarbeiter der Kommunen und die Rettungskräfte, die seit Tagen mit der kommenden Herausforderung beschäftigt waren und sich die Nächte um die Ohren schlagen, es gerne lesen, dass sie „versagt“ haben. Vielleicht hätte man es in einem Nebensatz erwähnen können, dass daher in diesem Bereich Menschen nicht zu Schaden kamen. Und dass man Naturkatastrophen nicht beliebig steuern kann.
In einem weiteren Beitrag erfahren wird, dass die grüne Politikerin Ricarda Lang auch auf den Namen „Pommespanzer“ hört. Musste ja mal verbreitet werden…
Und klar, Deutschland wird nun zur „Kriegspartei“, falls die Ukrainer mit den gelieferten Waffen auf militärische Ziele in Russland, von denen Angriffe ausgehen, schießen dürfen. Eine Anmerkung, dass Völkerrechtler dies für erlaubt halten, fehlt.
In unserem Land, so der Autor, sei der „Militarismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, da eine Rüstungsfirma nun einen Bundesligaclub sponsere. Na gut, ich suche bei brüllenden Männerhorden in den Stadien nicht nach dieser Mitte. Eher bei Pflegekräften und anderen, welche unser Land am Laufen halten anstatt Polizeieinsätze zu provozieren. Aber das ist Geschmackssache.
Weiter erfahren wir: „In Polen wird der Wehrkundeunterricht übrigens schon durchgeführt. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis Deutschland seinem NATO Partner folgt um ‚kriegstüchtig‘ zu werden.“ Motto: „Erst Mathe, dann Schießen“.
Von dieser Vermutung ist in dem verlinkten Artikel der „Zeit“ zwar kein Wort zu lesen. Ist aber egal: Irgendwas wird schon dran sein!
Auf jeden Fall aber gilt: „Es ist mir ein völliges Rätsel, wieso es immer noch Menschen gibt, die die Grünen wählen.“
Mich bringt es eher ins Grübeln, dass manche Menschen solche Posts verfassen!
Das Rezept ist einfach:
Man spart es sich, in einem längeren Artikel seine Standpunkte präzise zu formulieren und umfassend zu begründen, sauber zu recherchieren. Stattdessen wird ein Text verlinkt, der irgendwie mit dem Thema zu tun hat. Das Ganze kündigt man mit einem reißerischen Aufsager an. Fertig ist der Revolver-Journalismus!
Dabei setzt man bewusst auf Unklarheiten und Pauschalierungen, lässt einschränkende Gedanken weg: Was nicht passt, wird passend gemacht.
Was man ignoriert: Gerade politische Entscheidungen sind in Demokratien häufig das Ergebnis von Verhandlungen und Kompromissen. Es ist ein Unding, diese in ein simples Ja/Nein-Raster zu pressen. Das suggeriert, es gebe „einfache“ Lösungen, auf die man halt nur kommen müsse, um den Eintritt ins Paradies für alle zu ermöglichen. Das ist plumper Populismus, welcher deshalb gefährlich ist, weil er die Sehnsucht nach einem „großen Führer“ weckt, der dann alles „richtig“ macht.
Sicherlich darf man politische Richtungen scharf kritisieren. Es sollte aber stets ein Rest davon mitschwingen, dass niemand völlig unrecht hat, man Gegnern auch mal ehrenwerte Motive zubilligen kann. Niemand liegt völlig falsch oder total richtig.
In meiner bescheidenen Tangowelt plädiere ich nie für eine ausschließliche Musikrichtung, einen „idealen“ Tanzstil, sondern tendenzmäßig für ein Sowohl-als auch. Mir bricht kein Zacken aus der Krone, mal einen konservativen DJ zu loben oder „progressive“ Aufleger mit Satire zu belegen. Jedes Ding hat mindestens zwei Seiten – häufig sogar mehr.
Was im Tango oft eher possierlich ist, kann in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung richtig gefährlich werden. Heute jährt sich zum fünften Mal die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Rechtsradikalen. Weil das Opfer, ein CDU-Mitglied, es sich herausnahm, für Flüchtlinge einzustehen.
Aber was bedeuten schon Partei-Zugehörigkeiten? Ich habe noch nie die Grünen gewählt und habe es auch nicht vor. Gerade deshalb fuchst es mich gewaltig, wenn diese nun für alles einstehen sollen, was in den letzten Jahrzehnten deutscher Politik schiefgelaufen ist. So wie die demokratischen Politiker nach dem 1. Weltkrieg, denen man per „Dolchstoß-Legende“ vorwarf, am verlorenen Krieg schuld zu sein – und nicht etwa das militaristische Kaiserreich. Die Folge war eine Serie politischer Morde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Dolchsto%C3%9Flegende
Aber neben jemanden, der den Finger krumm macht, braucht es dazu stets auch Schreibtischtäter, welche den politischen Gegner zum Feind erklären, der völlig versage oder gar absichtlich das Vaterland zugrunde richte.
Klar, die Leute an der Tastatur werden sich stets darauf hinausreden, es ja „nicht so gemeint“ zu haben. Eine Verantwortung tragen sie dennoch.
Daher: Wer Ihnen einredet, er habe einfache Lösungen, hat solche, die Ihnen nicht gefallen werden. Jedenfalls in der Realität!
In Memoriam Walter Lübcke:
https://www.youtube.com/watch?v=8hTrpZbgL44
bitte schreiben Sie nur noch politische Artikel. Sie sind brillant. Um so furchtbarer der qualitative Abfall bei den Tangoartikeln. Es mag daran liegen, dass sie a) massiv voreingenommen sind und b) die Artikel seit Jahren nur noch repetitiv sind.
AntwortenLöschenZusätzlich ist mir aufgefallen, dass sie ständig die selbst aufgestellte Anonymitätsgarantie verletzen.
LG
Eine „Anonymitätsgarantie" habe ich nie gegeben. Wo es geht, versuche ich Namen zu vermeiden. Geht aber nicht immer.
LöschenDen Erfolg meines Blogs verdanke ich den Tangoartikeln. Die politischen Themen werden eher wenig beachtet. Wenn Sie diese wesentlich besser einschätzen, liegt es vermutlich daran, dass sie Ihren eigenen Ansichten entsprechen, während Sie im Tango anderer Meinung sind.
Und klar: Ich plädiere "massiv voreingenommen" für die Vielfalt im Tango...
"Repetitiv" ist vor allem der konservative Tango, wo man ewig dieselbe Musik, dieselben Reglements bewirbt. Dem widerspreche ich daher auch öfters.