Knigge und Tango

Jetzt hat der Cabeceo im Tango sogar den Segen des Deutschen Knigge-Rats – so möchte man glauben. Auf dessen Website fand ich einen Text von Silke Freudenberg: „Knigge & Tango … darf ich bitten?!“

Nun könnte man einwenden, Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge sei schon seit dem 6.5.1796 nicht mehr lebend unter uns und könne daher zum Tango, welcher nachweislich erst Ende des 19. Jahrhunderts entstand, nicht viel beizutragen haben.

Zudem wird seine Schrift „Über den Umgang mit Menschen“ heute ziemlich missdeutet:

„Knigge beabsichtigte damit eine Aufklärungsschrift für Taktgefühl und Höflichkeit im Umgang mit den Generationen, Berufen, Charakteren, die einem auch Enttäuschungen ersparen sollte. Man kann seine durchdachten und weltkundigen Erläuterungen sehr wohl als angewandte Soziologie würdigen, was in den Abschnitten ‚Über den Umgang mit Kindern‘, ‚Über den Umgang mit Ärzten‘, ‚Über den Umgang mit Jähzornigen‘, ‚Über den Umgang mit Schurken‘ und nicht zuletzt ‚Über den Umgang mit sich selbst‘ deutlich wird.

Irrtümlicherweise wurde dieses Buch späterhin als Benimmbuch missverstanden, oft nur nach Hörensagen. Dieses Missverständnis verstärkte bereits der Verlag, indem er nach dem Tode von Knigge das Werk um Benimmregeln erweiterte. Außerdem ist bekannt, dass etwa alle zehn Jahre eine neue Ausgabe herausgegeben wurde – hauptsächlich mit Kleiderregeln. Heute erwartet man von einem ‚Knigge‘ meist Hinweise, wie man Rot- zu Weißweingläsern beim gedeckten Tisch zueinander gruppiert; derlei überging Knigge selbst jedoch völlig.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Adolph_Knigge

Im Untertitel schreibt Frau Freudenberg: „Knigge und argentinischer Tango? Das passt scheinbar gar nicht zusammen. Und ob! Denn die Regeln, die offiziell beim Tango gelten, haben sehr viel mit dem ‚richtigen Umgang mit Menschen‘ zu tun.“

Bei solchen Sätzen springt bei mir das Satire-Warnlämpchen an: „Regeln, die offiziell beim Tango gelten“? Welches Offizium hat denn die festgelegt? Bestenfalls kenne ich beim Tango Leute, die gerne offizielle Regeln hätten…

Natürlich müssen nun Knigge-Zitate her:

„Man baut bei Fremden zuerst Blickkontakt auf, bevor man sie anspricht.“

Stellt sich schon einmal die Frage, ob man einander beim Tango so fremd ist. Na gut, auf etlichen Milongas könnte man das meinen…

Merke: „Denn im Gegensatz zu den oft gesehenen Unarten des an die Schulter Klopfens und „Willst‘e tanzen“-Spruchs, ist das Vorgehen beim Tango sehr dezent.“ Es folgt eine Erklärung der Blinzel-Aufforderung.

In den Tanzstunden meiner Jugendzeit war allerdings von Schulterklopferei nicht die Rede. Und statt „Willste tanzen?“ hieß es damals „Darf ich bitten?“ – wie die Autorin im Titel ja auch zu Recht formuliert.

„Man soll sich Frauen niemals aufdrängen.“

Der Tango wird oft sehr eng getanzt – doch geht es auch mit Abstand zwischen den Körpern“, weiß die Autorin. Daher solle man sich dem Partner „nicht aufdrängen“. Nur ist halt in den Gefilden, wo der Cabeceo erwartet wird, enges Aneinanderpappen eigentlich Pflicht. Und kann man einem anderen auch durch permanentes Anstarren auf den Geist gehen? Hierzu gibt es keine Informationen.  

„Enthülle nie auf unedle Art die Schwächen Deiner Nebenmenschen, um Dich zu erheben. Ziehe nicht ihre Fehler und Verirrungen an das Tageslicht, um auf ihre Unkosten zu schimmern.“

Es folgen Belehrungen zur Disziplin in der Ronda. Die Schreiberin stellt aber auch fest: „Unterschiedliche Tanzstile, Niveaus, Traditionen beim Auffordern und der Partnerwahl sollten respektiert werden.“ Na ja, liebe Frau Freudenberg, da übersehen Sie wohl, dass es in der Szene geradezu Volkssport ist, anderen vorzuwerfen, Sie tanzten überhaupt keinen Tango oder seien Schädlinge, welche am edlen Kulturgut unseres Tanzes nagten. Und meist sind es genau die, welche von anderen die strikte Einhaltung der Reglements fordern.

Ich möchte die gute Absicht des besprochenen Artikels nicht anzweifeln. Meines Erachtens begibt man sich aber auf ein gefährliches Pflaster, wenn man um der edlen Sache willen das Heil in Verhaltensnormen und Ritualen sucht. Dann gibt es sehr schnell Leute, die sich zu etwas „gezwungen“ sehen und andere, welche Abweichungen von den „Normen“ heftig attackieren.

Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, die Autorin wollte die Autorität Knigges dazu einsetzen, die Gültigkeit ziemlich konservativer Reglements im Tango zu untermauern. Sie spricht aber nicht für den Deutschen Knigge-Rat, sondern ist lediglich Mitglied im „Experten-Gremium“. Selber bezeichnet sie sich als „Event-Expertin, zertifizierte Protokoll-Managerin und Coach“. Von irgendwelchen Tangoerfahrungen habe ich nichts gefunden.  

Freiherr Knigge dagegen wollte keine „Benimmregeln“ aufstellen, sondern eine Art „Herzensbildung“ empfehlen:

„Der, welchen nicht die Natur schon mit dieser glücklichen Anlage hat geboren werden lassen, erwerbe sich Studium der Menschen, eine gewisse Geschmeidigkeit, Geselligkeit, Nachgiebigkeit, Duldung, zu rechter Zeit Verleugnung, Gewalt über heftige Leidenschaften, Wachsamkeit auf sich selber und Heiterkeit des immer gleich gestimmten Gemüths; und er wird sich jene Kunst zu eigen machen; doch hüte man sich, dieselbe zu verwechseln mit der schändlichen, niedrigen Gefälligkeit des verworfenen Sklaven, der sich von jedem mißbrauchen läßt, sich jedem preisgibt; um eine Mahlzeit zu gewinnen, dem Schurken huldigt, und um eine Bedienung zu erhalten, zum Unrechte schweigt, zum Betruge die Hände bietet und die Dummheit vergöttert!“

https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_den_Umgang_mit_Menschen

Darüber könnte man im Tango einmal etwas länger nachdenken…

Quelle:

https://knigge-rat.de/knigge-tango-darf-ich-bitten/

P.S. Genaueres zu Knigges Buch:

https://www.youtube.com/watch?v=NTYxO6hfpUI

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