Die Konservativen proben den Fortschritt
Über die Saarbrücker Tangolehrerin Melina Sedó habe ich schon öfters geschrieben:
https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Melina%20Sed%C3%B3
Selber zelebriert sie ein gepflegtes Nicht-Verhältnis
zu mir, da sie meine Texte bis heute ignoriert – jedenfalls offiziell. Es wäre
also übertrieben zu sagen, dass uns beide eine „Tangofreundschaft“ verbindet.
Dennoch muss ich sie heute verteidigen – gegen ihren
einstigen Lehrer. Wie sie auf Facebook schreibt, habe der sich nicht
schön über sie geäußert: „Melina hat den Tango ruiniert!“
Leider konnte ich die Identität des begnadeten Maestro
nicht ermitteln. An Melinas Stelle wäre ich schon lange sauer auf ihn –
falls er ihr den langweiligen Tangostil beigebracht hat, den sie seit zirka 25
Jahren zusammen mit ihrem Partner zeigt und – schlimmer noch – lehrt. Aber
darüber gehen die Meinungen sicher auseinander. In der Szene sind die beiden
sehr populär und erfolgreich. Sie müssen sich also um die Kritik
aus Pörnbach wahrlich nicht scheren.
Was hat ihr (vermutlich argentinischer) Ex-Guru nun
gegen Melina? Offenbar geht es um das Tanzen in beiden Rollen, das sie
seit längerer Zeit propagiert und auch unterrichtet. Vor allem möchte sie Frauen
das Führen beibringen. Das ist mit der Macho-Tradition
in der Heimat des Tango nicht ganz kompatibel.
Da hat die Saarbrücker Tangolehrerin natürlich meine volle Unterstützung,
wobei ich nicht länger darüber nachdenke, ob ihre Haltung eher vom Feminismus
oder vom Marketing gespeist wird. Wie sie selber schreibt, leiden
geschlossene Tangoveranstaltungen oft am Mangel von Führenden, was sich dadurch gut ausgleichen lässt.
Ihre Replik (von mir übersetzt):
„Liebe Jungs, die auf Doppelrollen-Tanzende
einschlagen: Warum fühlt ihr euch von weiblichen Führenden bedroht? Ja, einige
von uns entpuppen sich als Konkurrenz, aber das sind die anderen Jungs in eurer
Umgebung auch. Nicht alle Frauen wollen mit mir tanzen, und das ist völlig in
Ordnung. Nicht alle wollen mit dir tanzen. Wir alle haben unterschiedliche
Vorlieben. Na und?“
Melina reagiert sehr geschickt: Statt sich über den Vorwurf
ihres alten Lehrmeisters zu ärgern, schreibt sie:
„Ich fühle mich eigentlich geehrt durch die
Macht, die er meinen bescheidenen Bemühungen zuschreibt. Ich, Melina, habe im
Alleingang ein Weltkulturerbe zerstört. Wow!!!!“
Nein, das sicher nicht. Dazu sind wir alle nicht
bedeutend genug. Festzuhalten ist aber schon, dass die Saarbrücker
Tangolehrerin über viele Jahre hin einen Tango propagiert hat, der knochenhart konservativ
ist. Sie hat maßgeblich zum Rücksturz des Tango in die Mitte des 20.
Jahrhunderts beigetragen – unterstützt vom Blogger Cassiel, der sie
geradezu als Ikone beworben hat.
Melina zieht dieses Fazit:
„Ich weiß also, dass dieser bestimmte Tänzer
seine Meinung nicht ändern wird, weil wir solche Fragen schon vor fast 25
Jahren diskutiert haben. Das ist in Ordnung. Ich bin nicht verletzt oder
wütend. Wir sind einfach alt, oder? Aber die nächste Generation von Tangotanzenden
muss es definitiv besser machen!“
Ja, meine Gute, da sagst was! Die Nachkommen sollten es
schaffen, die tänzerische Bedeutung von Tangomusik nach 1960 neu zu
bewerten, die berühmten „Códigos“ zu entstauben und nicht ständig festzulegen,
was Tango zu sein hat. Kurz gesagt: Den ganzen Mist wegzuräumen, den Leute wie
du bislang propagiert haben!
Schön finde ich auch, dass Melina in ihrem Facebook-Post „Freseda’s
Tango Blog“ verlinkt, wo auch massiv für das Tanzen in beiden Rollen
geworben wird. Die Bloggerin wird hierzu noch deutlicher (von mir übersetzt):
„Viele betrachten Tango als eine Flucht aus der
Realität unseres täglichen Lebens. Einige fühlen sich vielleicht unwohl und
wehren sich gegen die Vorstellung, dass politische Ideologien und soziale
Ungerechtigkeiten in diesem Raum diskutiert werden. Andere unterstützen zwar
unser Anliegen, sind aber der Meinung, dass die Stimmen der Bigotterie nur
einer kleinen Gruppe von Außenseitern gehören und fühlen sich von ihnen nicht
unmittelbar bedroht. Ich möchte darauf hinweisen, dass es sich nur die
Privilegierten leisten können, die Augen vor den Nöten der Randgruppen zu
verschließen, zumindest vorläufig. Letztlich werden die Auswirkungen der
Ungerechtigkeit die Gemeinschaft durchdringen, wenn der Status Quo beibehalten
wird. Und muss ich uns alle an den traurigen Zustand der Frauenrechte in den
USA erinnern? 50 Jahre des Fortschritts wurden scheinbar über Nacht zunichte
gemacht. Wir wurden jedoch gewarnt. Diejenigen, die die Weitsicht und den Mut
hatten, ihre Bedenken zu äußern, wurden damals als Panikmacher abgestempelt.
Wachstum ist unbequem. Wir können keinen Wandel
herbeiführen, ohne über die unromantische und weniger glamouröse Seite des
Tangos zu sprechen. Bis wir in eine bessere Zukunft kommen, lasse ich mich
gerne Spaßbremse, Weltuntergangspessimistin – wie auch immer – nennen und mich
stolz als Aktivistin für die Rechte der Frauen im Tango bezeichnen. Mit meinem
Schreiben verfolge ich ein doppeltes Ziel. Ich möchte mehr Frauen ermutigen,
eine Führungsrolle zu übernehmen. Um sie besser auf ihre Reise vorzubereiten,
teile ich transparent meine Erfahrungen mit den Freuden und Kämpfen in diesem
Prozess. Darüber hinaus möchte ich für den kollektiven Erfolg von Tänzerinnen
in der Doppelrolle und der gesamten Tango-Gemeinschaft die Aufmerksamkeit auf
den versteckten Sexismus und die Mikroaggressionen lenken, denen Frauen täglich
ausgesetzt sind. Ich hoffe, dass die Sensibilisierung zu Bildung und
eventuellen Veränderungen auf individueller und systemischer Ebene führen wird.“
Tja, der Text könnte glatt von mir stammen – obwohl ich
mich erst gestern einen „Entwicklungsverweigerer“ nennen lassen musste,
der Frauen keinen Respekt entgegenbringt. Und Melina Sedó kämpft jetzt an
der Spitze des Fortschritts. So verrückt kann die Welt sein…
Egal! Daher, Melina, lass uns nun beide für die Tango-Revolution
kämpfen!
Hallo Herr Riedl,
AntwortenLöschenich frage mich, weshalb sie sich jetzt selbst an der "Weltmeisterschaft im Zurückrudern“ beteiligen. Frau Sedos komplettes Wirken war Ihnen bekannt, alle Informationen darüber waren Ihnen zugänglich. Warum haben Sie sich darauf beschränkt, sie als jemanden darzustellen, der ausschließlich: "für den konsequenten Rücksturz unseres Tanzes in die 1930-er bis 50-er Jahre“ sorgte? Tristan Hunkeler
Weil es so war.
LöschenAus gegebenem Anlass der Hinweis:
LöschenBeziehen Sie sich auf den Text des jeweiligen Artikels. Andernfalls lade ich Kommentare nicht hoch.