Wie würde ich meinen eigenen Tangostil beschreiben?

Gestern hat mir ein Blogger-Kollege auf Facebook eine interessante Frage gestellt:

„Wie würdest Du Deinen eigenen Tango-Stil beschreiben? In diesem Artikel sagst Du auch nur, dass Du gerne experimentierst und ‚etwas Neues‘ tanzen möchtest. Was genau ist darunter zu verstehen?“

Er bezieht sich dabei wohl auf Formulierungen in meinem letzten Artikel. Nur würde ich dann schon darum bitten, meine Worte genauer wiederzugeben. Über unser Tanzen auf dem Pörnbacher Wohnzimmerparkett schrieb ich:

„Im Gegensatz zur landläufigen Einstellung suchen wir nicht die Sicherheit, sondern die Herausforderung, wollen nicht zu sehr Bekanntem, sondern auf möglichst Neues tanzen. Auf dem Parkett experimentieren wir – und dazu gehört selbstverständlich, dass auch mal was schiefgeht.“

Das war also keine Beschreibung meines eigenen Tangostils, vielmehr habe ich das zusammengefasst, worum es den meisten bei solchen Treffen geht. Weiterhin bezog sich der Begriff „Neues“ auf die Musik, nicht die tänzerische Umsetzung.

Und mein eigener Tangostil?

Ich weiß schon einmal nicht, ob dieser für die Tangoszene irgendeine spezielle Bedeutung hat. Wer möchte, kann sich dazu einige Videos ansehen, auf die ich öfters hingewiesen habe:

https://www.youtube.com/watch?v=HbAv9z0vOuY

https://www.youtube.com/watch?v=fX4SXOPa4cY

https://www.youtube.com/watch?v=gWMf_1AXvvw

https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/12/tanzbarkeits-prufung.html

Diese Bilder haben im Internet zu teilweise heftigen Verrissen geführt, in denen sogar behauptet wurde, ich könne überhaupt keinen Tango tanzen. In der analogen Welt habe ich aber den Eindruck, dass es (noch) genug Frauen gibt, die mit mir ganz gerne mal eine Runde drehen. So unterschiedlich können Einschätzungen sein!

Dazu kommt, dass solche Dokumente ja stets nur Momentaufnahmen darstellen – so wie ich eben zu einem bestimmten Zeitpunkt, in einer speziellen Stimmung, mit einer konkreten Partnerin zu einem einzelnen Musikstück getanzt habe. Das relativiert solche Beschreibungen gewaltig!

Natürlich kann ich einer Anfängerin (und das kann man jahrelang sein) nicht einen Kübel Kreativität übers Hirn kippen. Einer erfahrenen Tanguera schon eher – und bestenfalls macht sie das ebenso. Ich würde daher nicht von meinem, sondern von unserem Tanzstil sprechen, den die Partnerin ja mindestens zur Hälfte mitgestaltet. Und dann sollten wir auch genügend Platz haben. In der Milonga-Realität sind haufenweise Kompromisse nötig, wenn uns üblicherweise eine große Zahl von Adagio-Paaren im Weg ist. So kompliziert ist das alles!

Ich kann also nur davon sprechen, was ich gerne in einen gemeinsamen Tanz einbringen möchte:

Zunächst einmal beruht sehr viel von dem, was ich mache, auf den bekannten Grundbewegungen, die eigentlich jeder Tanzende nach einigen Jahren hinbekommen sollte. Ich bilde mir nicht ein, das choreografische Rad neu erfunden zu haben! Mit der Zeit habe ich diese Aktionen aber immer weiter variiert, vor allem in rhythmischer Hinsicht und der Stellung im Paar. Und einigen „Schnack“ hinzugefügt. Eine enge Tanzhaltung verwende ich nur, um fallweise die Innigkeit der Musik auszudrücken. Ansonsten arbeite ich oft mit Promenaden, Schattenpositionen und sehr weiten Abständen, indem ich die Partnerin beispielsweise nur noch mit einer Hand halte.

Insgesamt glaube ich nicht, dass im Tango das Heil in möglichst komplizierten „Figuren“ liegt. Man muss sich dann oft so sehr auf die Schrittfolge konzentrieren, dass man ziemlich neben der Musik liegt. Meine Varianten sind weitgehend aus dem gemeinsamen Tanzen auf den Milongas entstanden und nicht wirklich schwierig. Ich finde, nach einigen Jahren Tango sollte man mit dem Schritte-Kaufen aufhören und sich auf das verlassen, was spontan auf dem Parkett und nicht nur in den Workshops entsteht. So erfährt man nämlich, was in der Praxis funktioniert. Dabei haben mir viele fantasievolle, kreative Tänzerinnen geholfen, die mich mit Bewegungsideen versorgten.

Man kann es nicht oft genug sagen: Die Musik führt das Paar! Ich lasse die tollste Bewegungsoption stecken, wenn sie nicht zu dem passt, was wir gemeinsam hören. Daher nervt es mich auch so gewaltig, wenn ich nach den ersten zehn Sekunden eines Stücks mitkriege, was wir nun dreieinhalb Minuten lang machen sollen. Dann hält sich auch meine Kreativität in engen Grenzen. Und ja: Bei Piazzolla beispielsweise kann man nie sicher sein, was kommt. Genau das fasziniert mich.

Ich bemühe mich sehr darum, ein Arrangement so gut wie möglich auszutanzen, alle Ideen der Musiker aufs Parkett zu bringen, keine „Noten liegenzulassen“. Das führt wohl dazu, dass ich mich öfters sehr rhythmisch bewege und eher viele als wenige Schritte mache.

Ohne mich mit dem Meister vergleichen zu wollen – aber wie Miguel Zotto auf dem Parkett, hier mit Daiana Guspero, die „Rampensau“ gibt, hat mich schon inspiriert. Aber dazu braucht man halt eine Musik, welche die Piste mit Energie flutet:

https://www.youtube.com/watch?v=_4G03HpzArc

Statt den nächsten Workshop mit der x-ten „tollen Figur“ zu besuchen, rate ich dazu, die eigenen Reflexe zu schulen. Wie ich im letzten Artikel beschrieben habe, geht das besonders gut mit Frauen, die öfters nicht das machen, was man eigentlich erwartet hatte. Man muss sich daher auf „unsicheres“ Terrain begeben, um im Tango weiterzukommen: unbekannte Musik, neue Partnerinnen. Sonst ersäuft alles in Routine. „Experimentieren“ heißt für mich, möglichst oft aus gewohnten Schrittfolgen auszubrechen, nicht immer auf „Nummer Sicher“ zu gehen.  

Leider beschreitet man im heutigen Tango mehrheitlich den einfacheren Weg. Aber wer es lieber ruhig und gemütlich mag, kann gerne so tanzen! Er sollte nur akzeptieren, dass Tango auch anders funktionieren kann.

Es hat mir über die Jahre sehr geholfen, dass ich über Basics nicht mehr nachdenken muss – sie passieren einfach. Und ich weiß ein, zwei Sekunden vorher noch nicht, was ich tanzen werde. Das ergibt sich erst genau im Moment – angeregt auch von dem, was von der Partnerin und der Musik kommt.

Mein Blogger-Kollege möchte in diesem Zusammenhang Dinge „genau verstehen“. Ich fürchte, das ist beim Tanzen kein geeigneter Weg. Wie ich schon oft betont habe: Das Großhirn kann beim Tango wenig begreifen, dafür aber unheimlich gescheit daherreden.

Was also genau „meinen Tanzstil“ ausmacht, kann ich nur sehr eingeschränkt beschreiben. Aber angenommen, es wäre mir möglich: Was würde es anderen bringen? Jeder muss seine eigene Art entwickeln, Tango zu tanzen. Die alten Milongueros und Milongueras gingen bewusst diesen Weg, um von der Konkurrenz unterscheidbar zu werden. Ich halte es für schlimm, dass heute die gegenteilige Richtung vorherrscht. Einen großen Anteil daran haben Tangolehrkräfte, die ganz genau wissen, wie jeder und jede Tango zu tanzen hat.

Mein Tangofreund Peter Ripota hat es einmal so formuliert:

Das Schlimmste beim Tango argentino ist es, so zu tanzen wie alle anderen.

Kommentare

  1. Das wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben, wieso jemand genauso tanzen will, wie jemand anderer. Das kann doch gar nicht funktionieren. Körperbau, Muskelapparat oder Bewegungsausführung sind doch bei jedem anders. Ganz abgesehen davon, wie jemand die Musik hört. Und selbst wenn es jemand schafft, den Lehrer/die Lehrerin genau nachzuahmen, dann ist man doch nur eine Kopie.
    Tanzen hat für mich etwas mit Ausdruck zu tun, d.h. ich drücke die Musik, mich und meine Empfindungen aus. Der Flow, den doch angeblich alle beim tanzen suchen, ist doch eine Empfindung, die ich sicher nicht erreiche, indem ich irgendwelche Schrittfolgen oder Figuren abtanze. Das berührt mich weder beim tanzen, noch beim zuschauen.

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    1. Unterschiedliche Physis anzupassen schafft man auch beim Militär - beim Exerzieren. Oder beim Formationstanz. Bleibt halt die Frage, was man damit erreichen will.
      Leider denken viele heute beim Tango in diesen Kategorien. Und wer anders tanzt als die Masse, wird oft heftig attackiert. Daher sieht man auf den Tanzfläche so viele schlechte Kopien und wenig interessante Originale.

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  2. Wie wäre es, wenn sich fünf Paare finden würden und jeder einmal vortanzen darf? Jedes Paar bringt ein Musikstück mit, das den Paaren zugelost wird. Die anderen Paare, die gerade nicht dran sind, fungieren als Schiedsrichter und Urteilsgeber. Ich stelle den Raum gerne zur Verfügung. Sobald du fünf Paare gefunden hast, gebe ich mich gerne zu erkennen.

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    1. Sorry, aber tanzen, um von "Schiedsrichtern" beurteilt zu werden, ist so ziemlich das Letzte, was mir in den Sinn käme.
      Organisieren Sie das lieber selber, gerne können Sie in einem Gastbeitrag darüber berichten. Aber dann bitte mit echtem Namen!

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    2. Wie bitte soll man Flow von außen beurteilen? Und welcher "normale" Tänzer hat genügend Wissen und Erfahrung, um sich als Schiedsrichter zu eignen?
      Außerdem widersprechen sich Improvisation und Vergleichbarkeit meiner Meinung nach aufs Äußerste.

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    3. Tänzerische Wettbewerbe gibt es in vielen Sparten - vom Eistanz bis zum Standardtanz. Oder bei "Let's dance". Sicherlich meist mit fachlich qualifizierten Juroren.
      Ich finde es nur amüsant, dass man in unserer Szene meist nicht gut auf den Standardtanz zu sprechen ist und meint, der Tango argentino sei ihm haushoch überlegen. Gleichzeitig bemüht man sich, vieles einzuführen, was man aus dem Tanzsport kennt: diverse Reglements und nun auch noch Tango-Wettbewerbe bis hin zu Weltmeisterschaften. Bringt halt Publikum und damit Geld.

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