Tango gegen rechts?
Um den Verein „proTango e.V.“ war es in der Vergangenheit ziemlich ruhig geworden. Kein Wunder, war schon dessen Gründung nicht unumstritten, da er sich als „Bundesweite Interessenvertretung der Tango Argentino Professionals“ sieht. Ich fand es keine gute Idee, sich auf eine unbekannte Spezies zu beziehen und habe meine Skepsis (und die anderer) damals laut geäußert:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/05/freigeist-contra-tangoprofis.html
https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/die-retter-des-weltkulturerbes.html
Tja, woher die Themen für eine größere Aufmerksamkeit nehmen? Kürzlich versuchte man es mit der Aktion „Tango ist blöd!“ Na gut – darüber könnte man reden…
https://protango.de/tango-ist-bloed/
Obwohl man mit „bundesweiten Aktionswochen“ schon mal Schiffbruch erlitt, besteigt man nun einen äußerst populären Schlitten: Vom 3.-10. Februar will man sich mit der Kampagne „Tango Gegen Rechts“ profilieren:
„Der Vorstand von proTango e.V. schließt sich dem Aufruf an, gegen Rechtsextremismus und für eine starke Demokratie zu demonstrieren. Lass uns in unserer gemeinsamen Aktionswoche ‚TANGO GEGEN RECHTS‘ ein Zeichen setzen! Gegen Rechtsextremismus und für eine starke Demokratie in einer bunten, weltoffenen und toleranten Gesellschaft. Mach mit! Selbstverständlich auch, wenn Du nicht Mitglied von proTango bist!“
https://protango.de/tango-gegen-rechts/
Na eben – und was nicht ist, kann ja noch werden…
Ich mag mich nun nicht den kleinlichen Facebook-Debatten anschließen, ob es nun „rechts“, „rechtsextrem“ oder gar „Nazis“ heißen sollte. Ich glaube, in der heutigen Situation weiß jeder, was damit gemeint ist.
Und Ralf Sartori findet die Kampagne „undemokratisch". Wahrscheinlich hält er die Hunderttausenden, welche in der letzten Zeit auf die Straße gingen, für eine Minderheit...
Ausgerechnet mich muss niemand belehren, welche Gefahr in Deutschland und weltweit von Parteien und Interessengruppen ausgeht, die an einer rechtspopulistischen Verdummung der Bevölkerung arbeiten. Daher: Nun gut, wenn es denn der „Wahrheitsfindung“ dient, sind wir im Tango halt auch gegen Rechtsextremismus.
Allerdings hat der Aufmacher schon seine komischen Seiten. Irgendwie kommen mir da Wortschöpfungen wie „Wiener Walzer gegen Ausländerfeindlichkeit“ oder „Cha Cha Cha für die Völkerfreundschaft“ in den Sinn. Die sind dann nicht mehr weit vom „Lipsi“ entfernt:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/06/der-lipsi-effekt.html
Ist der Tango per se „gegen rechts“? Ein Kommentator sieht es tatsächlich so und hat dazu sogar schon mal ein T-Shirt entworfen:
„Der rote Stern, ein Symbol der Arbeiterbewegung und der Tango gehen gut zusammen. Pugliese bildet meist den Höhepunkt auf Milongas. Er war erklärter Kommunist und blieb es auch unter der Diktatur. Überhaupt finde ich, dass der Tango der Idee eines gelebten Kommunismus ziemlich nahekommt. Das Auto bleibt draußen. Was einer hat oder darstellt – auf der Tanzfläche spielt es keine Rolle. Dort zählt allein die Verbindung zwischen den Menschen, und ich habe beim Tango schon viele Menschen aus verschiedensten Kreisen zusammenkommen sehen, die sich sonst aufgrund von Klassenunterschieden und Standesdünkeln wohl nie begegnet wären. Der Tango ist grundsätzlich antifaschistisch und wurde nicht umsonst unter der Militärdiktatur verboten.“
https://www.facebook.com/groups/913209017183518/permalink/914082600429493
Ich hätte den derzeit dominierende Tangotrend eher dem Feudalismus zugeordnet: Es ist eben genau nicht egal, was einer hat oder darstellt. Unser Tanz ist vielfach hierarchisch organisiert, und Kritik an der Ocho-Obrigkeit kann gefährlich sein. Das Beharren auf knochenharten Traditionen in Musik und Verhaltensregeln macht mir nicht gerade den Eindruck linksrevolutionärer Tendenzen. Und die Frauen haben in unserem Tanz ungefähr so viel zu sagen wie bei der AfD. Weiterhin stammt er weitgehend aus einem Land, das bis heute sehr anfällig für reaktionäre Regimes ist.
Man kann es sich natürlich so einfach machen wie eine Kommentatorin auf Facebook:
„Für mich hat Kunst immer eine Meinung und ist orientiert. Kunst hat auf das Leben was zu sagen und ohne das ist sie keine Kunst. Tango ist Kunst.”
https://www.facebook.com/saved/?list_id=1018286731993349
Also nein – da schließe ich mich lieber dem Bundessozialgericht an: Tango, jedenfalls außerhalb der Bühne getanzter, ist Sport. Und schon dabei muss ich meine Eindrücke auf den Milongas heftig verdrängen…
Daher finde ich, das ganze Gesumse kann wohl nicht schaden – nützen wird es aber auch wenig.
Doch immerhin bringt sich der Verein, den ich mal „Tango nur für Kohle e.V.” betitelt habe, wieder einmal ins Gespräch. Auf diversen Milongas wird man mit dem selbst hergestellten Plakat Fortschritts-Mimikry betreiben. So entstehen schöne Fotos, bevor man dann wieder in musikalischen Traditionen schwelgt und ältere Frauen stundenlang auf einen Tanz warten lässt.
Darauf einen Lipsi!
https://www.youtube.com/watch?v=0Qbc9VUBy_8
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