Was benötigt der DJ?

Kürzlich entdeckte ich in einer Facebook-DJ-Gruppe einen Text, der mich sehr verwirrte. Es handelt sich um eine Frage an die Kollegen:

„Ich benötige einen Rat für mein bevorstehendes technisches DJ-Seminar. Bis jetzt hatte das Seminar folgende Teile und diente über 200 Menschen auf der ganzen Welt:

1. Einführung in die Akustik und Psychoakustik (Dezibel, Grund- und Obertöne, Fletcher-Munson-Kurve, Schellack vs. Vinyl, Eigenschaften von Stimme, Geige, Klavier, Bandoneon und Kontrabass)

2. Detaillierte Behandlung eines analogen Mischpults und seiner Kanalsektion

3. Verstärkungsstruktur vom Laptop bis zu den Lautsprechern

4. Andere Mischertypen - DJ-Mixer, Powermixer, Mini-Mixer

5. Verschiedene Defekttypen und ‚magische EQ-Kurve‘, die auf verschiedene Arten von Equalizern angewendet wird (Kanal-EQ, Master-EQ usw.)

6. Soundcheck und andere Aufgaben.

Bisher habe ich in meinem Kurs das Thema digitale Mischpulte noch nicht angesprochen, sondern nur vorgeschlagen, ‚den Tontechniker des Veranstaltungsortes um Hilfe zu bitten‘, aber das scheint mir längst überfällig zu sein.

Allerdings dauert der Kurs volle 3 Stunden mit 10 Minuten Pause dazwischen, und um zumindest einen grundlegenden Überblick über die Architektur eines digitalen Mischpults (physische vs. logische Kanäle, Seiten, Fat Channel und Auswahl und Arten von Fat Channels) hineinzupressen, werde ich einen der folgenden Abschnitte in meinem Kurs opfern müssen:

4. Andere Mischertypen (klein)

5. Magische EQ-Kurve und ihre Anwendung (groß)

6. Soundcheck (mittel)“

Quelle: https://www.facebook.com/groups/TangoDJForum/permalink/2607777012722817

Ich gestehe, dass ich kein Wort dieses Angebots verstand: Was zum Teufel ist die „Fletcher-Munson-Kurve“, was unterscheidet einen „Powermixer“ von einem „Mini-Mixer“, was ist das Magische an einer „EQ-Kurve“, und brauche ich einen „Fat Channel“ – oder tut es auch der magere?

Selber bin ich im Besitz einer (nicht ganz billigen) Bose-Anlage, und die ist derartig von sich selbst überzeugt, dass sie mir praktisch alle Einstellungsmöglichkeiten verwehrt: Mir ist lediglich erlaubt, die Lautstärke zu regeln – und die füllt auch größere Räume, ist aber so handlich, dass sie auch schon oft mit zu meinen Zauberauftritten durfte. Wie ich vor längerer Zeit feststellen konnte, gibt sie sogar Musik wieder, welche ein Dritter auf seinem Smartphone abspielt – Wunder der Technik!

Das ist eigentlich alles, was ich über Auflegetechnik weiß. In der Praxis schiebe ich eine CD (!) rein und wähle den Titel an – mittels einer Fernsteuerung im Scheckkarten-Format.

Und dabei agiere ich seit etwa 20 Jahren als DJ – und habe sicherlich 200 Gigs hinter mir. Was habe ich nur falsch gemacht? Bin ich ein „Defekttyp“?

Was mich ein wenig tröstet: Auf den paar tausend Milongas, die ich bislang besuchte, hat mich die Tonqualität in höchstens ein, zwei Prozent der Veranstaltungen gestört – und das trotz (oder wegen?) meiner altersbedingten Schwerhörigkeit! Die Auswahl der Musik allerdings fand ich auf der überwiegenden Zahl der Milongas verbesserungswürdig – in einem geschätzten Drittel sogar richtig grottig.

Ich fürchte, es liegt daran, dass es sich bei vielen DJs um Computer-Nerds handelt, die sich ewig mit ihren Frequenz-Kurven und Koaxialkabeln befassen, aber viel zu wenig mit dem Musikprogramm.

In diesem Punkt beachten sie vor allem das, was man nicht darf: Also ja keine Aufnahmen nach 1960, keine Orchester ohne Lavocah-Gütestempel – und natürlich nur Tandas, die nach dem Katechismus „gebaut“ sind.

Gerade das offenbart wirklich einen pseudoreligiösen Charakter: Da müssen zu einem Titel, der vielleicht sogar ganz gut klingt, unbedingt noch zwei gefunden werden, die lege artis dazu passen: also selbes Orchester, selber Sänger, eng begrenzte Schaffensperiode. Ich habe dann oft den Eindruck, der DJ spiele dasselbe Stück dreimal.

Abweichungen davon führen – auch diesen Ausdruck habe ich inzwischen gelernt – zum „Blacklisting“: Der Abweichler wird zu den „gültigen“ Events nie mehr eingeladen. Und da in der Branche die meisten hinter den Gigs her sind wie der Teufel hinter der armen Seele, wagt das kaum jemand.

Neulich hörte ich, ein DJ solle mit seinen Tandas eine „Geschichte“ erzählen. Kann schon sein. Ich fürchte, sie lautet in den meisten Fällen: „Ich habe keinen Arsch in der Hose“…

Was benötigt ein DJ – außer Zivilcourage – wirklich? Ich hätte da einige Tipps:

·       Er sollte seiner eigenen Persönlichkeit, seinem individuellen Musikgeschmack vertrauen. Viele Aufleger wirken wie geklont am siebten Schöpfungstag. Daher will es jeder so machen wie seine Kollegen – nur ganz anders. Das wird nicht funktionieren. Mir ist es lieber, ich höre eine persönlich gestaltete Playlist – auch wenn mir dann manches nicht gefällt.

·       Man darf sich vor Ort nicht dreinreden lassen. Gerade Vertreter der historischen Betonfraktion stehen dann gerne am Mischpult und outen sich als Anhänger der Inquisition. Einfach reden lassen!

·       Man sollte selber einigermaßen tanzen können. Defizite in diesem Bereich sind kein Grund, sich hinters Mischpult zu verziehen! Entscheidend für die Auswahl ist die eigene Lust, darauf zu tanzen. Und nicht irgendwelche Aufstellungen im Internet.

·       Ignorieren Sie die üblichen Regeln! Wenn Ihnen ein Tango aus dem Jahr 2021 gefällt, dann legen Sie ihn auf – und danach auch gern zwei Aufnahmen anderer Ensembles. Wer damit tänzerisch nicht zurechtkommt, ist selber schuld!

·       Laufen Sie den Gigs nicht hinterher! Ich habe mich noch nie um einen Auflege-Job beworben (auch nicht um einen Zauberauftritt). Bieten Sie etwas, das die Kollegen nicht wollen oder können. Wenn es eine individuelle Note hat und einigen gefällt, wird man auf Sie zukommen. Und wenn nicht, kann man auch eigene, private Milongas organisieren. Vor allem aber: DJ ist im Tango kein Beruf, sondern ein schönes Hobby. Besonders, wenn man Spaß an der eigenen Musik hat.

·       Beschäftigen Sie sich möglichst wenig mit dem technischen Kram! Sind Sie Tontechniker oder Künstler? Wenn Sie den ganzen Frequenzgang-Schnack ignorieren, halten sich Ihre Ausgaben auch in vernünftigen Grenzen. Und nochmal: Versuchen Sie nicht, als DJ Geld zu verdienen! Im besten Fall verkaufen Sie Ihre Seele und langweilige Musik.

Was benötigt der DJ?

Für mich reicht eine Bose-Anlage sowie unser ambulantes Haustier als Bio-Indikator". Es gibt keine andere Spezies, die ein solches Gespür für „Katzenmusik“ hat!

DJ-Katze

P.S. Zum Weiterlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/04/hertz-statt-corazon.html

Kommentare

  1. Double Bass = Kontrabass (Bass klingt wie Base)

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  2. Wenn sich ein DJ an Ihre Anleitungen halten würde, würde ich ihn rauswerfen. Aber ich habe mich Gottseidank immer vorher informiert, ob er für die Gäste auflegt, oder nur ein "Meine-Lieblingsplatten-Aufleger" ist, wie Sie es beschreiben.
    Mit freundlichen Grüßen
    Klaus Wendel

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    1. Lieber Herr Wendel,

      sehen Sie, das ist halt der Unterschied zwischen uns beiden: Ich habe auch schon Gast-DJs auflegen lassen, aber die bekamen nie irgendwelche Vorgaben oder mussten sich einer „ideologischen Gesinnungsprüfung“ unterwerfen. Aber gut, Toleranz ist nicht Ihre Stärke…

      Weil wir grade dabei sind: Auf meinem Blog stehen derzeit 84 Playlists. Wie wäre es, wenn Sie mal wenigstens eine auf der Basis Ihres musikalischen Fachwissens detailliert besprechen würden?

      Und wieso ist eigentlich Ihr Tangoblog seit Monaten im „Wartungsmodus“? Technische Probleme – oder fällt Ihnen nichts mehr ein?

      Es ist natürlich viel einfacher, auf meiner Seite immer wieder gallige Sprüche zu hinterlassen – überzeugend wirkt das, so fürchte ich, nicht. Meine Leser könnten zur Überzeugung gelangen, dass sie mehr nicht draufhaben.

      Mit besten Grüßen
      Gerhard Riedl

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    2. Wenn Sie alles, was ich schreibe als gallige Sprüche bezeichnen, brauche ich auch gar nicht mehr zu schreiben. Ich fasse mich kurz, statt jeden Kommentars ellenlang werden zu lassen.
      Sie unterstellen mir, dass ich die Musik des Gast-DJs zensieren oder manipulieren würde. Das ist nicht der Fall. Ich höre sie mir vorher an oder höre von Gästen, die diese DJs mal erlebt haben und begeistert sind. Am Abend selbst lasse ich ihn auflegen, was er für gut hält. Da mein bisheriges Publikum traditionelle Tangos bevorzugt, lud ich auch entsprechende DJs ein. Und ich lade sie wieder ein, wenn ich beobachte, dass sie für die Gäste auflegen und nicht für sich selbst. Letztere bezeichne ich als "Meine Lieblingsplatten-Aufleger", denen es egal ist, ob die Leute auf der Piste damit klar kommen, also wie Sie es ausdrücken: […]"Wenn Ihnen ein Tango aus dem Jahr 2021 gefällt, dann legen Sie ihn auf … Wer damit tänzerisch nicht zurechtkommt, ist selber schuld!"[…] Ein DJ, der eine für homogene und gefüllte Tanzpiste sorgt, bei dem 90% der Gäste tanzt, ist ein guter DJ. Seine Lieblingsstücke kann er zuhause auflegen.
      Meine Blog-Seite wird ständig von Hackern gestört, deshalb ist sie nicht mehr online.
      Und was Ihre Playlisten angeht, wiederholt sich doch die Diskussion in Dauerschleife: Ein Großteil des Durchschnitts-Publikums ist nicht in der Lage, dazu zu tanzen, auch wenn sie es glauben.
      Mit freundlichen Grüßen
      Klaus Wendel

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    3. Lieber Herr Wendel,

      wenn Ihr Blog von Hackern gestört wird, dann beauftragen Sie doch einen guten Internet-Experten, der löst das Problem in 24 Stunden!

      Bei der Auswahl von DJs gehen wir wohl ähnlich vor: Selbstverständlich sind mir die Leute ebenfalls vorher bekannt, und ich kenne ihre Interessen-Schwerpunkte. Und natürlich haben die genug Empathie, um ihr Programm den Tanzenden anzupassen. Andererseits sind unsere Gäste nicht so festgenagelt und akzeptieren auch mal ungewöhnlichere Musik. Die Güte eines DJ bemisst sich nicht daran, dass ständig alle aufs Parkett stürmen. Man kann auch mal interessiert zuhören.

      Wenn ich andere Milongas besuche, tue ich das oft genug. Oder ich tanze sogar, obwohl mir die Musik nicht gefällt. Wie gesagt: Toleranz bringt uns weiter.

      Dass Sie sich nicht in der Lage sehen, einmal eine Playlist von mir zu besprechen, finde ich echt schwach. Auch, wenn Ihnen die Musik unbekannt sein sollte. Man kann doch dazulernen!

      Auf den Milongas, bei denen ich auflege, tummelt sich alles vom Anfänger bis zu sehr erfahrenen Tanzenden. Und die haben bislang alle zu der angebotenen Musik getanzt.

      Beste Grüße
      Gerhard Riedl

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