Von Kritikern, Currywurst und Tofu-Tango
„Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf. Wer schludert, der sei verlacht, für und für.“ (Kurt Tucholsky: „Mir fehlt ein Wort“, 1929)
http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1929/Mir+fehlt+ein+Wort
Gestern Abend feierten wir Karins Wiegenfest auf einer Milonga im Ingolstädter „Tanzstudio Süd“, wo unser Tangofreund Christoph Bos ein wunderbares Programm auflegte – einschließlich eines tollen Geburtstags-Vals. Mehr noch: Auf den Tischen lagen Zettel mit der gesamten Playlist – welcher andere DJ geht derart offen mit seiner Auswahl um? Ich werde sie demnächst veröffentlichen.
Christoph spielte rauf und runter moderne Ensembles, welche oft auch klassische Titel interpretieren. Und ebenfalls Neotango sowie Tango nuevo. Das Parkett war stets gut gefüllt, es tanzten Könner wie auch Anfänger, und zum Schluss gab es für den DJ von den vielen Gästen riesigen Applaus. Er hat ihn wahrlich verdient!
Einen Tag vorher durfte ich von einem Kritiker wieder mal lesen: „Es ist ja auch nicht, dass ich Ihren Musikgeschmack kritisiere, sondern die Tauglichkeit Ihrer Musikauswahl als Tanzmusik für alle Tanzlevel einer Milonga-Piste.“
Basierend auf meinen wiederkehrenden Eindrücken bei solchen – leider inzwischen seltenen – Sternstunden halte ich das für eine bornierte Realitätsverweigerung. Natürlich hätte eine solche Musik Chancen bei den Gästen – wenn man sie ihnen nicht jahrelang verweigern und sie stattdessen im Unterricht ausschließlich auf 80-jährigen Quark dressieren würde. Um dann hinterher scheinheilig zu behaupten, das Publikum wolle es so.
Das erinnert mich an meine Kindheit, wo meine Eltern es sorgsam
vermieden, allzu interessant Gewürztes
auf den Tisch zu bringen – ich wuchs mit altem Brot, Margarine und Gelbwurst
auf. Als ich mit 16 Jahren meine erste Currywurst
erstand, war das eine Geschmacksexplosion,
die mir fast die Luft raubte. Ein wunderbarer Schock! Ähnlich ist es in der heutigen Tangoszene, wo man
das Publikum mit Tofu-Tangos
versorgt, damit es nicht auf andere Geschmäcker kommt. Angeblich ist das gesund – nur Lebensfreude verbreitet es bei vielen nicht.
Aber klar – wenn ich derart böse Ausdrücke verwende, bin ich wieder mal zu krass. Ein Kritiker schrieb neulich:
„Ihnen geht es laut Interview in Ihrem Blog auch um Provokation. Dazu überspitzen Sie laut eigener Aussage satirisch.
Oft lese ich allerdings herablassende Übertreibungen, Verallgemeinerungen, recht derbe Urteile wie ‚öde‘, ‚langweilig‘, ‚Schleicher‘ und viele andere Worte, die aus Ihrer Sicht satirisch erscheinen, aber viele Leser als Beleidigung verstehen könnten. Mit anderen Worten: Sie schießen manchmal ganz schön scharf, auch unter der Gürtellinie. Das wissen Sie auch. (…)
Sie sind sehr umstritten. Weil Sie manchmal nicht satirisch wirken, sondern auch oft verletzend.“
Pardon, aber Satire ist halt in der Regel scharf und eventuell verletzend – das unterscheidet sie von Komik oder gar Humor. Solche Aussagen wie die zitierte lese ich seit vielen Jahren, da sie einer vom anderen abzuschreiben scheint.
Ich bleibe aber dabei: Wo es irgendwie möglich ist, vermeide ich eine Bewertung von konkreten Personen. Sicherlich geht das nicht immer, da hinter gewissen Ansichten halt auch einzelne Menschen stehen. Ich bemühe mich aber nach Kräften um eine Konzentration auf die Sache.
Viele meiner werten Gegner tun das nicht. Aktuell las ich in Kommentaren beispielsweise:
„Aber SIE sollen wissen, dass Sie ein unerträglicher Mensch sind.“
„Ihre saudummen Zuordnungen zeigen, wie intolerant und eingenommen Sie sind.“
Auf dieses Niveau werde ich mich nie begeben – nicht aus moralischen Gründen, sondern, weil ich dadurch unglaubwürdig erschiene.
Aber zum Thema „Currywurst“ will ich euch mal was sagen:
Als wir gestern beseligt nach Hause fuhren, waren wir uns einig: Das war eine Milonga, wie wir sie vor 20 und mehr Jahren erlebt haben – und die uns zu Aficionados machte. Inzwischen hat man solche Formen des Tango in kleine Nischen verdrängt. An jeder Ecke erklären uns bigotte Missionare, welche Regeln wir zu beachten hätten, was denn der „richtige“ Tango sei. Und man bedroht private Veranstalter, welche diesen Rest noch retten wollen, mit GEMA und Finanzamt, stellt deren Gäste als „Piazzolla-Spinner“ hin. Man vernichtet dabei, nicht nur musikalisch, eine aufregende und fantasievolle Subkultur.
Das stammt häufig von Leuten, welche die Tangowelt in „Veranstalter" und „Kunden", „Lehrer" und „Schüler" unterteilen. Also vertikal denken.
Dazu fange ich mir öfters den zynischen Rat ein, andere Events nicht zu besuchen. Pardon, aber dann müsste ich meine Leidenschaft weitgehend aufgeben! Und dazu fehlt es mir an Demut.
Welches Gewicht hat ein Autor aus der – wie es neulich wieder Notable der Münchner Szene formulierten – „Provinz“? Mir steht weder der Ruhm eines international angebeteten Showtänzers oder Tangolehrers noch der eines weltweit agierenden DJs zur Verfügung. Schon gar nicht kann ich als „alter Milonguero“ meine Weisheiten auf Spanisch säuseln oder mich als Gralshüter einer verschwiemelten „Tangokultur“ gerieren. Nicht mal in der Zahl unehelicher Kinder kann ich es mit Tangofunktionären aufnehmen.
Was mir bleibt, ist allein die Sprache – und die hat der Satiriker, wie uns „Tucho“ eingebläut hat, scharf zu halten. Daher wird man sich auch zukünftig darauf verlassen können, dass ich manche Zustände in der Szene so ätzend wie möglich kommentiere, dass mir dabei kein Wortspiel zu flach, kein Witz zu scharf, kein Gag zu inkorrekt ist! Hauptsache, man lacht aus, was auszulachen ist.
Kollateralschäden sind dabei unvermeidlich. Kürzlich formulierte das ein Schreiber in seltener Erleuchtung:
„Ich habe an Kritiken in einem Blog erkennen können, dass Menschen sich persönlich angegriffen fühlen, auch wenn man nur allgemein ein Tun kritisiert, wenn sich Menschen in diesem Tun wiedererkennen, auch wenn man sie nicht persönlich angreift. Ich musste das akzeptieren, obwohl das Verhalten blöd ist.“
Ich fürchte, das müssen diese Leute vor allem auch selber akzeptieren. Es ist jedermanns freie Entscheidung, sich getroffen zu fühlen – und ebenso, ob man das mit Humor nimmt oder sich beleidigt fühlt. Auf Einzelschicksale kann der Satiriker keine Rücksicht nehmen.
Über ein relativ neues Argument meiner Kritiker habe ich mich sehr amüsiert: Ich würde überzeugender und sympathischer wirken, wenn ich mal Fehler zugäbe. Ja, liebe Leute, dann müsste ich meine Artikel so fabrizieren wie ihr eure Kommentare: ohne vorher darüber nachzudenken. Tue ich aber leider, und daher bitte ich um Verzeihung, dass ich meist bei dem bleibe, was ich geschrieben habe!
Man müsste mal bei berühmten Autoren recherchieren, ob ihre Beliebtheit daran lag, dass sie Texte mit Bedauern zurückgenommen haben. Tucholsky schrieb einmal, Goethe habe seinen „Faust“ nur verfassen können, weil er keine Tante hatte. Die hätte ihn nämlich „übertrieben“ gefunden. Wie wäre es angekommen, wenn der Meister aus Weimar seiner Leserschaft mitgeteilt hätte: „Ach, das mit Gretchen war eine Scheißidee – vergesst es!“
Mir ist auch nicht bekannt, dass Tangolehrkräfte oder DJs mal zugeben, etwas falsch gemacht zu haben. Da wabert oft mehr gottähnliche Attitüde als in meinen Beiträgen. Wenn sich Tango-VIPs öffentlich auch nur ansatzweise so mit Kritik auseinandersetzen würden wie ich, wären wir wesentlich weiter.
Daher bleibe ich weiterhin bei der Überzeugung des großen Lehrmeisters Tucholsky: Satire darf alles. Sie erreicht aber wesentlich weniger.
Doch damit kann ich leben.
P.S. Christoph Bos hat es gestern geschafft, einen Geburtstagsvals aufzulegen, den ich noch nicht kannte. Inzwischen weiß ich: Es handelt sich um „Andaluz“ von der Gruppe „Quartango“. Herzlichen Dank!
https://www.youtube.com/watch?v=b2a08vqeSpM
Kommentare
Kommentar veröffentlichen