Weg mit den alten Zöpfen!

 „Wer mit 18 Jahren Politiker werden möchte, der kann mir gestohlen bleiben." (Helmut Schmidt)

Von der 1993 in Bad Pyrmont geborenen deutschen Sängerin, Songwriterin und Musikerin Ronja Maltzahn habe ich bis heute nichts gehört. Vielleicht, weil ich mich eher für Musik interessiere – zugegeben ein sehr subjektiver Standpunkt. Immerhin spielt die Künstlerin eine Reihe von Instrumenten wie Cello, Gitarre, Ukulele sowie Piano und hat seit 2018 etwa 300 Konzerte gegeben und zwei Studio-Alben produziert.

https://de.wikipedia.org/wiki/Ronja_Maltzahn

Hier ein Beispiel ihres zwischen Folk und Pop angesiedelten Schaffens – dann sind wir mit diesem Thema schon mal durch:

https://www.youtube.com/watch?v=w1pLUI5tVZs

Warum ich auf Ronja Maltzahn aufmerksam wurde: Sie hätte heute bei einer Demonstration von „Fridays for Future“ in Hannover auftreten sollen. Warum daraus nichts wurde, liegt – bitte anschnallen und das Rauchen einstellen – an ihrer Frisur!

Die Künstlerin trägt nämlich Dreadlocks – und genau diese Filzsträhnen, so die Vertreter der Hannoveraner Klimabewegung, stünden ihr nicht zu. Es sei der Gruppe wichtig, „BiPoC's (Schwarze, indigene und People of Color) Raum innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung zu geben“, der ihnen bis jetzt nicht genug eingeräumt worden sei, aber schon häufig eingefordert wurde. Dies müsse konsequent passieren, „weil das Auftreten einer weißen Person mit Dreadlocks auf unserer Bühne für BiPoC's den Eindruck erwecken kann, dass diese Bewegung für sie keinen Safer Space darstellt“ – also keine geschützte Umgebung ohne Diskriminierung biete. „Deshalb haben wir uns dazu entschieden, Ronja Maltzahn abzusagen.“

Na gut, ein kurzer Blick auf Wikipedia hätte den Umweltschützern zeigen können, dass es diese Haartracht bereits am Hof von König Christian IV. von Dänemark und Norwegen (1577–1648) gab – und seither in ganz unterschiedlichen Bereichen auftritt (Hinduismus, Islam, Rastafari, Popmusik etc.).

https://de.wikipedia.org/wiki/Dreadlocks

Ein gemeinsames Kennzeichen der Filzlocken ist lediglich, dass man die Wolle nur noch per Kahlschlag runterbekommt. Genau so lautete das Angebot von „Fridays for Future“ an die Sängerin: Wenn sie das Zeug bis heute entferne, dürfe sie auftreten.

Was die Künstlerin aber bleiben ließ. Stattdessen schrieb sie auf ihren Social Media-Kanälen:

„Wir hatten uns darauf gefreut ein Zeichen für Frieden und gegen Diskriminierung mit unserer Musik setzen zu dürfen. Schade, dass wir aufgrund von äußerlichen Merkmalen davon ausgeschlossen werden.“

Es gehe darum, kultureller Vielfalt eine Bühne zu geben und für Achtsamkeit, Toleranz und Geschlechtergerechtigkeit einzustehen. „Ich hoffe dass unsere Zuhörer dieses Bild durch unsere Musik vermittelt bekommen und nicht das Gegenteil.“

„Tatsächlich kommt meine Inspiration, Dreads zu tragen, aus alternativen Kreisen“, sagte die Sängerin. Sie sei interessiert an verschiedenen Kulturen. Auf Reisen und Auslandsaufenthalten seien ihr viele Menschen mit Dreadlocks begegnet. „Ich finde es künstlerisch schön, aber auch das Lebensgefühl, was damit verbunden wird, fand ich sehr passend für meine Lebenseinstellung.“

An feindlichen Reaktionen gegen die Klimaschützer, so die Sängerin, sei sie nicht interessiert und wolle den Dialog aufrechterhalten.

https://www.tagesspiegel.de/politik/wegen-dreadlocks-unerwuenscht-fridays-for-future-laedt-musikerin-ronja-maltzahn-von-demo-aus/28194858.html

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/fridays-for-future-laedt-musikerin-ronja-maltzahn-wegen-dreadlocks-von-demo-aus-a-631b6b83-9778-4a04-aa62-e3b85e713520

Nun kann man von jungen Menschen, die jeden Freitag die Schule schwänzen, eine umfassende kulturelle Bildung kaum erwarten. Immerhin ist man dort inzwischen zur Einsicht gelangt, man hätte das Haareabschneiden als „Eingriff ins Privatleben“ nicht fordern dürfen. Hinzuzufügen wäre: Im süddeutschen Sprachraum erinnert der Begriff „Gscherter“ daran, dass schon bei den Germanen Sklaven, Leibeigene und Verbrecher vom Haupthaar befreit wurden.  

https://de.wikipedia.org/wiki/Gscherter

Ideologische Debatten um die erlaubte Haartracht kenne ich seit meinen „wilden“ Jugendjahren. Damals war zum Ausdruck einer „kritischen“ Gesinnung bei den jungen Männern schulterlanges Haar Pflicht – auch wenn es schwer zu pflegen war und oft scheiße aussah: Mit nichts konnte man die Spießer derartig problemlos aufbringen. Dieses Prinzip scheint heute noch zu gelten – mit wechselnder personeller Besetzung.

Die Klimaaktivisten halten die von einer Weißen getragenen Dreadlocks für eine „unbotmäßige kulturelle Aneignung“. Das eröffnet gerade für den Tango trübe Aussichten:

Wie ist es denn mit dem Pferdeschwanz, der zu Tangozeiten so manches germanische Hinterhaupt schmückt? Dürfen wir uns diese Latino-Haartracht aneignen? Die gestreiften Hosen, die Budapester Schuhe? Mit welchem Recht übernehmen wir Gepflogenheiten, wie sie angeblich vor mehr als 80 Jahren in den Tanzsälen am Rio de la Plata herrschten: Mirada, Cabeceo, Ronda… Und gar die Musik? Über die Aneignung von historischen Aufnahmen aus einer völlig fremden Kultur müssten wir nochmal nachdenken… Alternativ gäbe es ja genug deutsche Tangos!

Bliebe allenfalls die Hoffnung, dass es sich bei Vorschriften zur Haartracht um reaktionären Bullshit handelt, welcher – wenn schon – in den Hoheitsbereich des Militärs fällt. Das hat schon Heinrich Heine in seinem „Wintermärchen“ mit Blick auf preußische Soldaten trefflich beschrieben:  

Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur

Des Zopftums neuere Phase:

Der Zopf, der eh'mals hinten hing,

Der hängt jetzt unter der Nase.

Kommentare

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