Die Hits der Tango-Sprache

Nicht nur in der allgemeinen Umgangssprache, sondern auch beim Tango gibt es Begriffe und Floskeln, mit denen man die Szene systematisch in die Irre führt. Nachdem ich die Redewendungen des Dummdeutschen besprochen habe, hier nun meine Charts aus dem Bereich unseres Tanzes. Ich finde sie noch vergnüglicher:

„argentinisch“

Eigentlich eine völlig sachliche, wertneutrale Bezeichnung für alles, was man dem südamerikanischen Land zuordnen kann – ob nun Bevölkerungszahl, Landessprache oder Militärdiktaturen. Im Tango wurde das Adjektiv (und das zugehörige Substantiv) aus geschäftlichen Gründen zum strahlenden Superlativ überhöht: „Argentinisch“ wurde zum unwiderlegbaren Argument für jeden Schwachsinn, den man in unserem Tanz verzapft – Widerspruch zwecklos!

„authentisch“

wird gerne in Kombination mit „argentinisch“ zum semantischen Doppel-Wumms gesteigert. Das Adjektiv mit den Bedeutungen „beglaubigt, belegt, dokumentiert, echt“ dient in der Szene zur Untermauerung der Vorstellung, es gebe einen „authentischen Tango“, welcher anzustreben sei. Die historische Tatsache, dass sich die Tangoformen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder (und bis heute) gewandelt haben, wird ignoriert.

https://www.duden.de/rechtschreibung/authentisch

 „traditionell“

Ebenfalls in diese Sparte gehört das ständige Beschwören „erfundenerTraditionen“, oft in der Bezeichnung „traditionelle Milonga“. Auch damit wird der ehrfürchtig erstarrenden Szene vorgegaukelt, es existiere die „Urform“ einer Tanzveranstaltung, welche zu erhalten sei. In Wahrheit gab und gibt es – sogar in Buenos Aires – durchaus verschiedene Spielarten solcher Events.

Nachdem konservative Tangoblogger früher heftig in dieses Horn stießen, tritt man seit einigen Jahren den diskreten Rückzug an. „Traditioneller Tango … Welche Tradition soll es denn sein?“ fragte beispielsweise Cassiel vor dreieinhalb Jahren. Das hindert aber bis heute viele Veranstalter nicht daran, diese Begriffe werbewirksam einzusetzen. Klar, auf eine großenteils konservativ bis reaktionär eingestellte Kundschaft wirkt das Etikett „traditionelle Musik“ halt stärker, als wenn man korrekt von „historischen Aufnahmen“ sprechen würde!

https://tangoplauderei.blogspot.com/2019/07/der-traditioneller-tango-begriffsbestimung.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/07/zuruck-in-die-zukunft.html

„Época de Oro (EdO)“

Obwohl bekanntlich nicht alles Gold ist, was glänzt, macht eine Bezeichnung wie „Goldenes Zeitalter des Tango“ schon mächtig was her. Zweifellos war es die Zeit der größten Kommerzialisierung unseres Tanzes – mit allen Licht- und Schattenseiten. Interessanterweise streiten sich die Experten immer wieder über die genaue Zeitdauer – irgendwann zwischen 1935 und 1955 wird es wohl gewesen sein. Nach 1960 jedenfalls, so das immer noch gültige Verdikt für DJs, habe es keine des Tanzens werte Tangomusik mehr gegeben.

Da das gemeine Tangovolk inzwischen aber doch mehr Groove möchte, streuen selbst linientreue Auflegekräfte inzwischen, mehr oder weniger heimlich, zeitgenössische Coverversionen der alten Titel ein. Offiziell die Zeitenwende zu wagen, würde in der konservativen Szene wohl zum Eintrag in eine „schwarze Liste“ und somit zu weniger Gigs führen.  

Für Neulinge: Nach einer „silbernen“ oder „bronzenen“ Epoche sollten Sie nicht fragen – die gibt es nämlich nicht!

„Ronda“

Aus der im europäischen Paartanz seit mehr als 200 Jahren existierenden Übung, das Parkett gegen den Uhrzeigersinn zu umrunden, hat man im Tango eine Religion gemacht.

Dies beinhaltet eine Reihe von Ge- und Verboten bis hin zu komplizierten Schemazeichnungen mit Beschreibungen der einzelnen „Spuren“.  

https://tango-dj.at/dancing/codigos.htm

Gerne wird dabei von einer „rücksichtsvollen“, „respektvollen“ oder gar „gepflegten“ Ronda gefaselt. Dies erinnert mich an vergilbte Wirtshausschilder mit der Werbung „Gutbürgerliche Küche und gepflegte Biere“.

Nein: Nicht die „Runde“ ist rücksichtsvoll, sondern das Tanzpaar!

„Códigos“

Die auch als „Etikette“ bezeichneten Spielregeln dienen ebenfalls dazu, Menschen bei der Ausübung eines Freizeitvergnügens auf den Geist zu gehen. Selbstverständlich werden auch diese Vorschriften über „erfundene Traditionen“ von einer fiktiven Urform abgeleitet.

„Führung“

Wird regelmäßig in der Machismo-Abteilung verwendet, um die „führende Rolle“ der Männer zu begründen. In der Tango-Werbung ein beliebter Begriff, um geistig angejahrte Herren anzulocken, welche mit dem herrschenden Zeitgeist der Emanzipation auf Kriegsfuß stehen.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/11/die-hoheit-auf-der-tanzflache.html

„Workshop“

Ausdruck, mit dem man in der Tango-Werbung kurze (meist nicht länger als zweistündige) Seminarveranstaltungen zu einem speziellen Thema beschreibt. Häufig wird das „Arbeitsfeld“ gigantisch überzogen dargestellt, zum Beispiel „Tanzen zur Musik von Biagi“.

Der modern klingende englische Begriff gaukelt eine Atmosphäre des gegenseitigen Austausches vor. Tatsächlich wird „Workshop“ wie folgt beschrieben:

„Ein Workshop (zu Deutsch Arbeitstagung, Arbeitssitzung, Arbeitskreis, Kurs, Lehrgang, Seminar oder Denkwerkstatt) ist im Bildungswesen eine Veranstaltung, in der eine kleinere Gruppe mit begrenzter, kompakter Zeitdauer intensiv an einem meist praxisorientierten Thema arbeitet. Ein Kennzeichen ist dabei die kooperative und moderierte Arbeitsweise an einem gemeinsamen Ziel. (…)

Dagegen ist es kein Workshop, wenn primär Wissen vermittelt werden soll oder vermittelte Inhalte in der Veranstaltung geübt werden. Wissensvermittlung in Workshops dient nur der Hilfe zur Bewältigung von Aufgaben.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Workshop

Somit ist klar: 99 Prozent aller „Workshops“ im Tango sind keine – sondern normale Unterrichtsstunden!

Maestro“

Seltener auch in der weiblichen Form („Maestra“) verwendete Luxusklassifikation für „Tangolehrer“ (ebenfalls keine geschützte Berufsbezeichnung). Die deutsche Übersetzung „Meister“ legt nahe, es gebe eine Ausbildung oder gar ein staatlich anerkanntes Examen entsprechend der „Meisterprüfung“ im Handwerk. Das ist aber reine Chimäre. Jeder kann sich so nennen oder ansprechen lassen – in der Steigerungsform sogar als „Maestro de Maestros“.

Nun aber – hurra – zu den ersten Drei meiner Deppen-Charts! Dabei schon einmal ein großes Kompliment an „Pro Tango e.V.“, welcher diese Trias in seiner Selbstbeschreibung verwendet. Das kann man nicht toppen:

„Tango-Professionals“

Dieses verbale Nüsterngeblähe kenne ich auch aus dem Zauber-Sektor: Jeder, der dort ein paar Euro mit seiner Kunst verdient, nennt sich stolz „Profi“, obwohl er davon kaum oder gar nicht leben könnte. Wichtig ist jedoch: Profis darf man nie widersprechen, da hat man als „Amateur“ oder gar „Hobbytänzer“ keine Chance. Und ja: Das Verdienst für das Wachstum der Tangoszene kommt angeblich in erster Linie denen zu, welche mit dem Tango Geld verdienen (wollen)!

„Tango-Kulturschaffende“

Darunter würde ich in erster Linie Komponisten, Autoren, Choreografen, Schauspieler und Regisseure verstehen, vielleicht auch wirkliche Profitänzerinnen und Tänzer. Welche Tangokultur man jedoch schafft, wenn man einen Raum mietet, den Eintritt kassiert, Musik auflegt oder Tanzschritte unterrichtet, hat mir bislang noch keiner erklären können.

Zudem ist der Begriff ziemlich ominös – man kann darunter stets das verstehen, was man verscherbeln will!

„Tango-Weltkulturerbe“

Bei der geistlosen Verwendung dieses 2009 von der UNESCO geadelten Begriffs kann ich ziemlich grantig werden. Schließlich meinte die UN-Kulturorganisation beileibe nicht nur den argentinischen Tango der „Goldenen Epoche“, sondern betonte seine weltweite Entwicklung und Veränderung.

Viele, welche vom „Weltkulturerbe Tango“ faseln, sind seit Jahren an einer gigantischen Kulturvernichtung beteiligt: Getrieben von einer „Reinrassigkeits-Ideologie“ wurde alles geschmäht, was nach moderner Entwicklung roch – von Gardel bis Piazzolla hat man große künstlerische Leistungen von den Tanzflächen verbannt. Und die Tangotexte, so das überwiegende Bekenntnis, seien sowieso egal bis verdächtig.

Ich würde da lieber von „Weltkultur-Erbschleichern“ reden.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/05/wir-da-oben-ihr-da-unten.html

Gerade den Anfängerinnen und Anfängern im Tango rate ich daher, sich die Wortwahl von Tangoanbietern genau anzusehen. Findet man eine größere Anzahl der hier angesprochenen Begriffe, wäre ich mit dem Griff in den eigenen Geldbeutel sehr vorsichtig. Zumindest würde ich einmal nachfragen, was denn damit genau gemeint sei.

Die Reaktionen darauf dürften Sie überraschen!

Wunschzettel * www.tangofish.de

 

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