Na, dann halt nicht!
Zunächst eine herzliche sowie ernst gemeinte Bitte: Vom folgenden Artikel möge sich bitte niemand speziell getroffen fühlen! Der einfache Grund: Dazu sind diese Einstellungen viel zu verbreitet.
Mein Eindruck auf vielen Milongas bleibt nach wie vor: Sehr viele Paare tanzen ein ödes, meist sehr ähnliches Einerlei. Am Anfang eines Tanzabends beobachte ich stets eine Viertelstunde lang das Parkett, um etwaige Kandidatinnen zu finden, mit denen ich nachfolgend gerne einmal für eine Runde auf selbiges möchte.
In früheren Zeiten (sagen wir: bis zirka 2010) war ich dabei fast immer erfolgreich. In kurzer Frist hatte ich mehrere Tänzerinnen beieinander, deren individuelles Bewegungsmuster, Musikalität und technische Fähigkeiten mir besonders gefielen. Und in der Regel wurde es dann eine sehr schöne Tanzrunde.
Heute bin ich auch nach längerem Beobachten meist so klug als wie zuvor. Bestenfalls habe ich eine schwache Ahnung davon, dass die eine oder andere Tanguera vielleicht mehr könnte als die Aktionen, welche ihr von gemütlich einhertappenden Partnern abverlangt wurden.
Um nicht als arrogant sowie elitär zu gelten, probiere ich es meist früher oder später mal, nicht nur meine Begleitung aufzufordern. Und so lange ich das Übliche tanze (und das kriegte ich noch nachts um vier bei Vollrausch und in Pantoffeln hin), passt das einigermaßen. Aber wehe, ich schlage eine kleine rhythmische Variation, einen etwas unerwarteten Stopp oder eine coolere Drehung vor: Dann bricht sofort Panik aus – Hilfe, das habe ich nicht gelernt! Schließlich muss man ja jedes Tangostück im Grundrhythmus und mit dem üblichen „Werkzeugkasten" abschreiten…
In den besseren Momenten gelingt es mir dann, die Tänzerinnen aus ihrem Einerlei zu holen, ihnen die Erfahrung zu vermitteln, dass die Musik (selbst die oft sehr übersichtliche historische) halt einige Abenteuer bereithält. Und manche bieten mir dann Dinge, von denen sie noch gar nicht wussten, dass sie diese dabeihatten! Freilich nur so lange, bis sie in den Armen des nächsten Fozzie-Bärs landen.
Manchmal folgen aber Bekenntnisse der Art, dass man diese andere Art des Tanzens auch erlernen möchte. Ich habe mich über 20 Jahre lang bemüht, solche Wünsche nach Möglichkeit zu erfüllen. Leider merken in der Folge viele Tänzerinnen und auch Tänzer, dass dies nicht in kurzer Zeit oder gar durch Handauflegen des Gurus zu machen ist. Weiterhin werden solche Wünsche gerne zum Gesamtkatalog ausgedehnt: Angefordert werden dann regelmäßige Informationen über interessante Veranstaltungen, am besten die Mitnahme im Auto sowie eine mehrfache Aufforderungs-Garantie.
Ebenfalls sehr ungünstig wirkt sich die Erkenntnis aus, dass man sich beim Tanzen zu allererst und sehr intensiv um den eigenen Körper kümmern sollte: Eine gewisse sportliche Fitness wäre nicht hinderlich, um die eigene Balance zu verbessern, Aktionen ohne Gewackel auszuführen und die Schritte pointiert, aber sanft zu setzen. Zudem käme eine Entspannungstherapie wie Yoga oder autogenes Training in Betracht. Und mal eine halbe Stunde am Tag auch komplexere Tangomusik zu hören. Zu alledem braucht man weder einen Partner noch gar begnadeten Instruktor – hilfsweise täte es auch ein Besenstiel (kommt ja den Verhältnissen auf üblichen Milongas nahe).
Die nächste schlechte Nachricht: Das Ganze kostet sehr viel Zeit. Vielleicht spürt man zwar schon nach einigen Stunden gewisse Verbesserungen – aber wer mit diesen schon zufrieden ist, verliert sie auch bald wieder. Tango ist kein Tanz, den man mit einem „bisschen Probieren“ wirklich attraktiv hinbekommt.
Das ist dann der Moment, an dem sich – gerade bei Männern – die „körperlichen Beschwerden“ einstellen: Klar, die alte Sportverletzung im Knie rührt sich wieder. Oder man hat sich bei der Gartenarbeit den Knöchel verstaucht. Das hindert zwar nicht an der Buchung des nächsten Skiurlaubs – aber Tango? Da sollte man doch lieber ein halbes Jahr aussetzen – vielleicht später mal wieder…
Ich habe dem Phänomen der „Unfaller“ einen eigenen Artikel gewidmet:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/10/tanzen-bis-zum-unfallen.html
Vorbei sind die Zeiten, von denen ein bayerisches Volkslied erzählt:
„Wann i zum Tanzen geh,
tuat ma koa Fuaß net weh,
wann ich dann arbat’n muass:
Aus is‘ mit’m Fuaß!“
Heute ist es eher umgekehrt!
Frauen dagegen erinnern sich in solchen Situationen gerne an ihre Verpflichtungen für Kinder, Küche und Kirche: Sie würden ja soo gerne mehr üben oder gar zum Tanzen gehen – wenn da nicht der Elternabend, das Geburtstagsmenü für die Oma oder der katholische Familienkreis wären…
Da kannst du noch so viele rote Teppiche ausrollen: Betreten verboten!
Wahrlich, das „Tanz-Gen“ schlummert in weit weniger Menschen, als es die Tangolehrkräfte propagieren! Man muss von der Bewegung auf dem Parkett schon derart angefixt sein, dass man das Klassentreffen, den Besuch bei der Erbtante oder den Wichtel-Event auch mal storniert. Sonst wird das nix!
Machen wir einen einfachen Test – sehen Sie sich dieses Video in voller Länge an:
https://www.youtube.com/watch?v=9UY1seXdnIc
Welche Aussage kommt Ihrer Reaktion am nächsten?
· Interessiert mich nicht – ist kein Tango.
· Zu altbacken!
· Könnte ich nie lernen!
· Ich roll jetzt den Teppich weg und probiere es!
Klar, der Song „Let’s face the music and dance“ von Irving
Berlin aus dem Film „Follow the fleet“ stammt aus dem Jahr 1936
– wie viele Tangoaufnahmen, welche auf den üblichen Milongas gespielt werden.
Die Tanzszene wurde übrigens in einem Take ohne Schnitte aufgenommen. Und man
sollte nicht vergessen: Tanzen ist eine ganz allgemeine Fähigkeit – ob es
sich nun um Slowfox oder Tango handelt. Und, meine Damen, haben Sie es bemerkt? Ginger Rogers kann auch allein tanzen!
Sorry, aber wenn Sie dieser Song nicht aufs Parkett zieht – begraben Sie die Idee, tanzen zu wollen! Alternativ können Sie natürlich einen Kurs belegen, um korrekte Schritte zu Musikbegleitung zu üben. Oder rhythmische Sportgymnastik.
Damit man mich nicht missversteht: Wem es reicht, beim
Tango schleppenden Schritts ums Karree zu wackeln – bitte sehr, nichts
dagegen! Eventuell könnte man mir ab und an aus dem Weg gehen. Man soll sich nur nicht einbilden, einen „Improvisationstanz“ höherer
Güte zu vollführen. Und vor allem: dann nicht jammern! Oder gar lächerliche
Ausreden bemühen. Beliebt bei Ehepaaren ist die Verwechslung von Singular und Plural: „Wir haben an dem Termin keine Zeit!"
Die Leidenschaft zu tanzen begleitet mich nun 55 Jahre. Ich hätte es mir nie vorstellen können, mich im Alter von 72 über die Zögerlichkeit und den mangelnden Elan in einer Szene zu mokieren, welche sich zu Unrecht für die Crème de la Crème der Bewegungskultur hält.
Im vorgerückten Alter bilde ich mir natürlich nicht ein, auf dem Parkett artistische Höchstleistungen hinzubekommen. Fest steht aber: Wenn ein altes Zirkuspferd die Kapelle spielen hört, trabt es an. Das Motto gilt für mich nach wie vor:
„Lasst uns der Musik ins Auge sehen und tanzen!“ – „Let’s face the music and dance!“
Für die Zauderer noch einen meiner Lieblingswitze:
Der Kunde verlangt in der Apotheke Kondome sowie Reisetabletten. Darauf meint der Apotheker: „Wenn’s Ihnen dabei schlecht wird, dann lassen Sie’s doch!“
Harald Fitz, 97J - seit Lockdown Tango Absenz vom Parkett ... Als ehem. noe 'Tango Harry' fast 'Öffentl.Person' mit very adv. Leading/Following-Feeling in Open Embrace, bin ich begeistert von diesem historischen Film-Highlight ! 👍💃🍀⚘- Viele diese frei und z.T. improvisiert gestanzten Schrittfolgen
AntwortenLöschenfindet man in modifizierter Form auch bei den
Lieber Harald,
Löschensorry, ich habs übersehen, auf Deinen Kommentar zu antworten!
Ja. so alt können wir gar nicht werden, dass uns solche Filmszenen nicht faszinieren.
Liebe Grüße nach Wien
Gerhard