Liebes Tagebuch… 70

Wenn ich mich in Artikeln mal wieder über schrecklich langweilige „traditionelle“ Milongas mopse, erhalte ich in letzter Zeit öfters Rückmeldungen dieser Art: Also, in der oder jener Gegend sei das kein Problem, da gebe es durchaus auch diverse Veranstaltungen mit modernem oder zumindest gemischtem Musikprogramm.

Tja, wenn dem so ist, soll es mich freuen! Ich kenne halt die Events in selbiger Region nicht, und sehr weite Tangoreisen unternehme ich nicht mehr. Vielleicht zum Glück – und meine persönliche CO2-Bilanz wird sicherlich zur Rettung des Planeten beitragen…

Neulich besuchten wir eine Milonga, bei der man uns „gemischte“ Tangomusik anpries. Wahrlich, es stimmte! Das Programm bestand tatsächlich aus einer Mischung aller Schrecklichkeiten, welche die traditionelle und moderne Tangomusik zu bieten hat: Nach einem ausführlichen Beginn mit schrammeligen Klängen gab es längere Tandas mit Walzern nach dem Motto: aus jedem Dorf ein Hund. Dann ein paar Repertoire-Hits mit dem festen Bestreben, zu jedem Titel eine möglichst unattraktive Version zu finden. Auch eine Milonga-Runde mit den meistgespielten Aufnahmen dieses Universums war dabei.

In der Folge glitt das Ganze zu einer Lounge-Party ab: Serienweise irgendwelche öde Pop-Balladen. Lustigerweise blieb der DJ dabei, Cortinas einzuspielen, welche jedoch von der restlichen Musik kaum noch zu unterscheiden waren. Dem Tango war in der Folge nur weniges zuzuordnen.

Ich konnte eine meiner Begleiterinnen nur unter Aufbietung meines gesamten Rest-Charmes dazu bewegen, die Veranstaltung nicht fluchtartig zu verlassen.

Unvermittelt suchte eine Tanguera das Gespräch mit mir, die ich schon lange – als DJane und sehr gute Tänzerin – kenne. Den Verlauf der Unterhaltung habe ich so in Erinnerung:

„Du, ich lese ja deine Blogartikel immer wieder gerne – sie sind wirklich witzig. Du weißt aber, dass ich eher auf traditionelle Tangomusik stehe – und du bist ja ein Fan von modernen Stücken. Wie gefällt dir denn das Musikprogramm heute Abend?°

„Ehrlich gesagt: nicht sehr. Das laufende Stück beispielsweise erinnert mich an einen Krimi, bei dem ich schon nach fünf Seiten weiß, wer der Mörder ist. Keine Spannung, keine musikalische Entwicklung. Oder soll das die Cortina sein? Kann man halt nicht von den anderen Stücken unterscheiden.“

So weit ich Sie bei dem übersteuerten Krach verstehen konnte, schien sie ähnlicher Meinung zu sein. Mir wäre es wirklich lieber gewesen, sie hätte an diesem Abend aufgelegt – strictly traditional – aber wenigstens gekonnt!

Ich fügte hinzu: „Ich lasse mich auch in der Musik von keiner Seite vereinnahmen, sondern verfolge stets meine persönliche Linie. Es gibt tolle historischen Aufnahmen, und ebenso wunderbare Beispiele aus dem modernen Tango. Das Gegenteil auch!“

Mir erscheint es fraglich, ob Veranstalter sich DJs mal einen Abend lang anhören, bevor sie diese engagieren. Oder sich zumindest eine Stunde Probe-Musikprogramm schicken lassen. Wäre in unserer digitalen Welt kein Problem! Oder reicht es schon, dass der Betreffende mal da oder dort aufgelegt hat, um ihn eines weiteren Einsatzes für würdig zu befinden?

Dabei waren die Gäste auf dieser Milonga wirklich sehr nett und freundlich. Sie hätten Beseres verdient gehabt!

Immer wieder erlebe ich beklemmende Situationen, bei denen ich mir denke: „Ja, hört denn das keiner?“ Nun hat meine HNO-Ärztin bei mir ja schon längst eine „gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit“ festgestellt. Und irgendwo zu Hause liegen Hörgeräte herum. Zu den Milongas werde ich sie mit Sicherheit nicht mitnehmen!

Ich fürchte, die meisten Menschen mit musikalischem Gespür wurden durch jahrelange öde Beschallung längst aus dem Tango vertrieben.

Dazu fällt mir der hinreißende Sketch von Loriot ein, in dem er als Gewinner eines Preisausschreibens („Salamo ohne“) in einem Konzert sitzt und es im Lauf der Ereignisse fertigbringt, Evelyn Hamann ein Bonbon auf die nackte Schulter zu pappen. Als der Pianist mit seinem Programm beginnt, fragt eine Besucherin ihren Begleiter: „Ist das Schubert?“ Dessen Antwort: „Nein, der Gewinner eines Preisausschreibens!“

Da die wunderbare Szene leider nicht öffentlich zu verlinken ist, hier dafür die Sache mit dem Kunstpfeifer. Passt zum Thema und könnte auch im Tangobereich spielen: 

https://www.youtube.com/watch?v=4oYviR7iKNg

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