Man tanzt Stile

 

„Der Mensch zerfällt in zwei Teile: in einen männlichen(…) und in einen weiblichen (…). Beide haben so genannte Gefühle: Man ruft diese am besten dadurch hervor, dass man gewisse Nervenpunkte des Organismus funktionieren lässt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab. (Kurt Tucholsky: „Der Mensch“, 1931)

Bekanntlich macht derzeit ein neuer Zusammenschluss von sich reden: „Pro Tango Verein – Bundesweite Interessenvertretung der Tango Argentino Professionals“.

Laut Rundmail der „Tangodanza“ versteht man unter „Professionals“ offenbar „Tangoschulen, Vereine, Tangolehrer*innen, Tango/DJs, Tangoveranstalter*innen, Tangomusiker*innen, alle Tangokulturschaffende: ob im Haupterwerb, Nebenerwerb, Honorarbasis, als Inhaberin*innen oder gemeinnütziger Verein.“

Klar, sonst bliebe es bei einer einstelligen Mitgliederzahl  

Die neueste Produktion des Vereins besteht aus einem „Pilot Film“ mit dem Titel: „Man tanzt Stille“.

Wie schon bei dem verpilcherten Video fürs Weltkulturerbe gab es um den Text erhebliche Debatten. Unseren verdeckten Ermittlern ist es gelungen, die erste Version zu ergattern, welche die Änderungsvorschläge der Tango-Demokraten (in Blau) und der Milonga-Republikaner (in Rot) enthält. Der endgültige Text ist in Schwarz gehalten. Viel Vergnügen!

Man tanzt Stille…

sagte einmal der große Tanguero Carlos Gavito.

Besser: Verschiedene Stile, das wär uns  wichtig.

Nix da, es gibt nur einen Stil, den authentischen.

Na gut, dann lassen wir „Stille“, klingt irgendwie magisch.

Das Geheimnis des Tangos liegt in diesem Moment der Improvisation:

Werden uns die Tangolehrer verübeln, die wollen doch Schritte verkaufen!

Dann legen wir es einfach dazwischen:

Es passiert zwischen Schritt und Schritt.

Es macht das Unmögliche möglich.

Man tanzt Stille.

 

Und deshalb ist jeder Tango einzigartig,

ob getanzt, gespielt, besungen oder bestaunt

„Bestaunt“ geht gar nicht, man tanzt doch nach innen!

Wenn er einmal vorbei ist, kehrt nie wieder derselbe Tango zurück.

Bei eurem EdO-Geschrammel aber der gleiche!

Kein getanzter Tango ist jemals derselbe,

Immer diese Ausgrenzungen unserer Encuentros!

kein Lächeln nach dem Tanz ist das gleiche.

 

Ein Schritt, der der gleichen Musik folgt,

wird nicht zweimal gleich getanzt.

Wieso? Muss er doch!

Eben nicht!

Noch nie haben zwei gespielte Noten gleich geklungen.

Deswegen sind wir ja gegen Live-Musik!

Kein den Raum beschallender Applaus ist jemals derselbe.

Könnte die Sprecherin etwas weniger nuscheln?

Nein.

 

Genau das macht einen leeren Raum so magisch.

Schau dir einen leeren Raum an, und du träumst davon:

Ein leerer Raum ist wie ein leeres Haus: viel versprechend.

Wer hat sich denn so einen Schwulst ausgedacht?

Die Cremer.

Dann müssen wir’s drin lassen, oder?

Der Duft eines leeren Raumes ist der Duft der Zukunft.

Ihr könntet ja während des Lockdowns endlich mal putzen…

Selber!

 

Du musst nur warten, und etwas Schönes wird kommen.

Ist das aus unserem Vereinsprogramm?

Welchem Programm?

Letztes Jahr waren unsere Räume notwendigerweise leerer als je zuvor.

„Leer“ kann man nicht steigern.

Doch. Zuvor waren sie auch schon ziemlich leer.

Und doch, dennoch, war es das Jahr der Kunst.

Wir erinnern uns an die tangotanzenden Dächer von Buenos Aires,

Wer hat denn diese Metapher verbrochen?

Die Cremer.

an den Klang der Online-Konzerte im eigenen Wohnzimmer.

Muss diese Riedl-Anspielung sein?

Die Videokunst, die jeden möglichen Raum betanzte,

die „Fünf vor Zwölf-Aktion“ und „Tango retten-Petition“,

die „Ohne Kunst wird’s still-Bewegung“.

Oh Gott, müssen wir an die ganzen Flops erinnern?

Weiß ja keiner.

 

Tango ist Kunst.

Eurer nicht!

Eurer nicht!

Tango ist Kultur – Weltkultur,

der so wenig Platz eingeräumt wurde,

die aber so viel Raum gegeben hat

in Häusern, in Köpfen, in Herzen

 

Unsere Türen sind seit Monaten verschlossen oder höchstens angelehnt geöffnet.

Die Räume sind still, manche für immer still.

Je länger ein Raum leer ist,

desto größer das Versprechen, das darin lebt.

Apropos: Wer hat denn das furchtbare Lounge-Gedudel druntergelegt?

Ist vom Harlan.

Kann das nicht raus? Wir wollen Biagi!

Kannst du Videos bearbeiten?

Scheiße.

 

Bald, wenn es uns wieder erlaubt ist,

wird alles wieder eingelöst.

Neue Räume werden entstehen.

Hier wird bald Kunst gemacht,

die uns durch die nächste Krise helfen wird.

Was für nächste Krise? Seid ihr wahnsinnig?

Na ja, soll halt optimistisch klingen.

Aber das glaubt doch keine Sau!

 

Die Räume mögen jetzt leer sein,

aber voller Versprechen.

Wir sind bereit!

Es ist Punkt 12!

Wir können aufbrechen.

Wir finden den Text zu lang.

Ja, aber der Harlan hatte noch Musik übrig.

 

Wir warten mit dir auf die neugetanzte Stille.

Zwischen Schritt und Schritt.

Auf das Geheimnis des Tangos,

das das Unmögliche möglich macht.

Könnte man nicht umgekehrt sagen: „das das Mögliche unmöglich macht“?

Haha, Hammer-Gag. Kannst aber nicht bringen. Die Kundschaft steht auf Romantik-Schmus.

Wir machen jetzt lieber ein Nagelstudio auf…

 

Und hier das Video zum Genießen!


https://www.youtube.com/watch?v=_mxiZeq9GrY

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