Die drei deutschen Geisteskrankheiten
Derzeit übt sich unsere Journaille wie selten zuvor in wüsten Tiraden gegen die Regierenden. Sie kennt kaum noch Parteien – nur noch Versager. Und dies angesichts einer so locker zu beherrschenden Krise wie der Corona-Pandemie!
Da ich ob des normierten Angebots nicht lange suchen mochte, hier ein Ausschnitt eines Textes, den René Engel im „Volksverpetzer“ veröffentlicht hat. Mit durchaus nicht schwindendem Selbstbewusstsein nennt er ihn: „Unsere Geduld ist an einem absoluten Nullpunkt: Offener Brief an die Regierungen“.
„Wenn ich nicht das Gefühl habe, dass die Personen, denen ich am Wahltag meine Stimme gegeben habe, in meinem Sinne oder zumindest größtenteils logisch handeln und meine körperliche und seelische Unversehrtheit hohe Priorität bei ihnen genießen, dann passiert etwas. Mit der letzten Ministerpräsident*innenkonferenz haben Sie den Menschen das Bild vermittelt: Wir haben kapituliert. Denn Sie gehen ja selbst nicht mehr davon aus, dass die jetzigen Maßnahmen ausreichend sind: Herr Kretschmer lädt die Verantwortung auf die Bürger*innen ab, Herr Söder gleich direkt auf Gott.
Sie lassen die Situation nun offenbar einfach laufen, was entweder zur Durchseuchung der Bevölkerung oder in zwei bis vier Wochen zu einem kompletten Lockdown führen wird. Und ALL DAS wurde von seriösen Wissenschaftler*innen genau so vorhergesagt, seit Wochen und Monaten, wieder und wieder.
Aus Ihren Kreisen hörten wir jetzt mehrmals ‚Wir können nicht so weitermachen‘ – zumindest das ist korrekt. Sie wurden gewählt, um zu führen. Jetzt ist ein Moment, in dem es guter Führung bedarf. Also führen Sie, verdammt nochmal."
https://www.volksverpetzer.de/kommentar/geduld-nocovid/
Was der geharnischte Engel natürlich nicht hinzufügt: „Führen Sie, damit wir dann wieder über die Anordnungen maulen können!“
Die größte Geisteskrankheit, unter der das deutsche Volk – nicht erst seit Corona – leidet, besteht in einem gagaesken Reaktionsmuster: Wir wollen die totale Anarchie – aber mit einem starken Anarchen.
Ah ja, die Verantwortlichen sollen nunmehr also konsequent führen… Schon das Genöle vergessen, mit dem seit einem Jahr täglich mindestens hundert Lobbyisten täglich vor die Mikrofone eilen? Hilfe, der Lockdown macht die Wirtschaft kaputt, die Schülerinnen und Schüler müssen alle zum Psychiater (die Eltern sowieso), die Künstler darben, das deutsche Volk leidet an Kulturverlust (für mich der größte Gag). Und nicht mal Tango tanzen kann man!
Und selbst wenn wir von den Tausenden Bekloppter absehen, die sich an den Wochenenden gegenseitig und die Polizisten anstecken, um für ihre Freiheitsrechte, ihren Anspruch auf Bildungsferne sowie gegen die jüdische Weltverschwörung zu kämpfen: Es gab doch bislang keine Verordnung, gegen die nicht irgendein Prozesshansel bis hin zum Bundesverfassungsgericht zu Felde zog – und gelegentlich sogar gewann!
Dass ein Gemeinwesen nicht nur von Grundrechten, sondern auch von Grundpflichten lebt, wird immer mehr vergessen. Am absoluten Nullpunkt ist vor allem der Verstand.
Ist es den Bundesländern und Kommunen eigentlich zu verdenken, dass sie – noch dazu in einem Superwahljahr – nun keine Lust mehr haben, sich gegen den wachsenden Volkszorn zu stemmen, um anschließend nicht wiedergewählt zu werden? Sich dann lieber auf irgendwelche Teststrategien einlassen, die zumindest im Ansatz gar nicht so schlecht funktionieren? Nicht jeder Kommunalpolitiker ist ein solcher Sturschädel wie der Tübinger OB Boris Palmer, der konsequent seine Linie durchzieht, obwohl man ihm vor einem Dreivierteljahr noch vorwarf, er wolle alte Menschen bedenkenlos an Corona sterben lassen. Inzwischen weiß man: Er hat wohl hunderten das Leben gerettet. Erkennt das jemand an? Eventuell sogar ein grüner Spitzenpolitiker? Stattdessen bearbeitet die Staatsanwaltschaft eine dreistellige Zahl von Morddrohungen gegen den Sohn des „Remstal-Rebellen“.
Das Tragische an den modernen Medien: Jeder „Aufreger“ umrundet innerhalb von Sekunden den Globus. Der Konsument passt sich an und beurteilt jede Lage nur aus dem Moment heraus. Was letzte Woche oder gar vor Monaten war, ist uninteressant. Nur so ist erklärbar, dass viele heute Dinge verlangen, gegen die sie vor einiger Zeit noch Sturm gelaufen wären – und es, bei passender Situation – auch wieder tun werden.
Nirgends wird das schöner deutlich als bei den Impfstoffen: Noch vor einem halben Jahr schien es das größte Problem der Deutschen zu sein, nicht zwangsweise etwas gespritzt zu bekommen, das die Gene verändert (was doch bei manchen Menschen die letzte Hoffnung wäre). Nun aber fordert Volkes Stimme ultimativ die sofortige Injektion, welche ihnen die unfähigen Politiker verweigern, da sie nicht gleich die zehnfachen Mengen auf dem Weltmarkt bestellten. Wären die geliefert worden, hätten die Volksvertreter das umgekehrte Problem gehabt: Wie kann man nur so viel Geld sinnlos zum Fenster rausschmeißen?
Und wenn es mal Probleme mit Impfreaktionen gibt (auf diesem Sektor nicht ganz unerwartet), gibt es auf jeden Fall Haue vom Volk: Egal, ob man dann vorsichtshalber Einschränkungen beschließt oder nicht. Es ist auf jeden Fall furchtbar und unverantwortlich.
Im Übrigen denken wir ja an Demo-Freitagen global: Da muss der ganze Erdball vor dem Klimawandel gerettet werden. An den restlichen sechs Wochentagen hingegen gilt: Soll die restliche Welt doch verrecken – Hauptsache, wir Deutschen haben genug Impfstoff!
Dazu kommt die zweite deutsche Geisteskrankheit: Der Germane muss verreisen – koste es, was es wolle. Ein Spaziergang am nächsten Gänseweiher reicht da nicht. Es müssen schon die überfüllten und verdreckten Strände in südlichen Ländern sein, wo man sich zu hohen Preisen minderwertige Nahrungsmittel einverleibt und weinähnliche Getränke aus Eimern säuft. Oder sich am Alpen-Ballermann zudröhnt. Die Lactose-Intoleranz kann man ja hinterher wieder pflegen.
Klar kann ich verstehen, dass die Menschen manchmal einen Kulissenwechsel wollen. Aber hallo: Wir leben in einer Katastrophe! Seien wir froh, dass die Reisetätigkeit heute nicht in Truppentransporten besteht. Oder es in Viehwagons ins Lager geht…
Aus meiner Sicht die dritte deutsche Geisteskrankheit: Wenn wir dann schon zu Hause bleiben, muss andauernd gefeiert werden. Aber nicht etwa spontan, weil sich ein wirklicher Anlass ergibt, nein: lieber zu ritualisierten Anlässen wie dem Geburtstag der Tante, dem Hochzeitstag der Schwester, zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten oder anderen längst säkularisierten Festen. Da läuft dann eine jahrzehntelang geübte Verwandtschafts-Routine ab: Alle jammern zwar, aber zu den Feiertagen muss das feste Besuchsprogramm abgespult werden.
Anschließend können wir dann wieder jammern, dass die Inzidenzen steigen – oder jammern lassen. Die Medien besorgen das für uns zuverlässig. Hauptsache, wir wenden unseren starren Blick nicht von den Politikern ab: Die müssen uns doch gefälligst sagen, was wir derzeit genau dürfen.
Echt, brauchen wir das? Es sollte sich doch innerhalb eines Jahres herumgesprochen haben, was einigermaßen gegen eine Weitergabe des Virus schützt. Grob gesagt: Direkte Kontakte und Mobilität einschränken. Müssen uns das die Herren Laschet und Söder noch näher erklären? Oder ein Gesamtbeschluss der Bundesländer? Oder die Kanzlerin höchstpersönlich?
Vielleicht
sollten wir uns klarmachen, dass unsere geistigen Verwirrungen weniger von den Fehlern der Politik herrühren, sondern
von unserer Hilflosigkeit, eine
Katastrophe als das anzuerkennen, was sie ist: katastrophal. Und dass wir die Verantwortung fürs eigene Leben nicht abschieben können.
Ich
fürchte, es bleibt da nur ein Satz, den der unerschrockene Boris Palmer neulich auf Facebook formuliert hat:
„Bleibed drhoim, ihr Seggel!“
P.S. Und wer noch ein wenig Corona-Monopoly spielen möchte:
https://www.youtube.com/watch?v=2KGefhhYWW4
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