Weltkulturerbe Frauenrechte?

 

Ich möchte zum heutigen Weltfrauentag drei weibliche Personen vorstellen, die ich in einem Artikel der Zeitschrift „Brigitte“ (von 2017) gefunden habe. Der Titel des Textes: „Verzeihen Sie die Störung, aber wir werden ermordet!“ 

Raquel Hartwig lebt in ständiger Angst vor ihrem Ehemann. Er hatte versucht, sie zu erschießen, was nicht gelang, da sie zuvor heimlich die Patronen aus der Waffe entfernt hatte. 10 Jahre hatte sie Beleidigungen, Schläge und Vergewaltigungen ertragen. Wo sollte sie auch hin? Ihren Beruf hatte sie wegen der Eifersucht des Gatten aufgeben müssen.

Inzwischen hat sie ein richterliches Kontaktverbot erwirkt, das ihren Mann wenig beeindruckte: Er zerriss es vor den Augen der Polizisten, die es überbrachten. Achtmal zuvor hatte Raquel Anzeige erstattet – vergeblich: „Dir gefällt das doch, dass er dich schlägt“, so einmal der Kommentar eines Beamten.

Letztlich half ihr Facebook: Dort postete sie ein Bild ihres Mannes plus dessen Namen – und auch ihr eigenes, von Schlägen entstelltes Gesicht. Da schalteten sich Nachbarn und die Presse ein. 

Die Fenster ihrer Wohnung hat sie vergittern lassen. Ob es ihr hilft?

Marcela Morera hat ihre 23-jährige Tochter Julieta verloren. Ihr Freund war krankhaft eifersüchtig, isolierte sie von ihren Freunden. Bei einem häuslichen Streit schlug und trat er sie tot. Ein weiteres Motiv: Julia war schwanger, und ihr Partner wollte das Kind nicht.

Für die Mutter brach eine Welt zusammen. Durch ihr Engagement in Frauenhäusern fand sie wieder ins Leben zurück. 

Mónica Cuñarro ist Generalstaatsanwältin. Um diesen Posten musste sie hart kämpfen. Sie erinnert sich noch an ihr Bewerbungsgespräch: Mehr als zwei Dutzend Männer waren im Raum, „dann fragte mein künftiger Chef in die Runde: ‚Wozu taugt eine weibliche Staatsanwältin?’, und antwortete auf seine eigene Frage: ‚Um sich die Nägel zu lackieren.’" Die Männer lachten.

Die Justiz war und ist männlich dominiert. Frauenmörder kommen mit der Ausrede „Verbrechen aus Leidenschaft“ oft mit wenigen Jahren Gefängnis davon – und kriegen hinterher sogar das Sorgerecht für die Kinder. 

Cuñarro machte von sich reden, als sie 2016 für den Mord an einer Frau eine lebenslängliche Haftstrafe durchsetzte. Seitdem wird sie beschimpft und bedroht – auch aus den Reihen der Sicherheitskräfte. Wohl auch deshalb, weil sie korrupte Polizisten einsperrte. Dennoch sieht sie noch einen weiten Weg:

„Wir haben zwar die Gesetze, die Paragrafen etc., aber der Justizapparat ist extrem frauenfeindlich. Zehn Richtern steht eine Richterin gegenüber, in der Provinz noch weniger. Eine Richterin, die doppelt so hart kämpfen muss für ihren Posten, die oft unter Druck gesetzt wird, die Regeln der Macho-Kultur zu adaptieren. Gesetze allein reichen nicht, es braucht eine Politik, die auf allen gesellschaftlichen Ebenen den Respekt vor den Frauen und die Gleichberechtigung stärkt.“

Die schlechten Vorbilder kommen von ganz oben. „Alle Frauen mögen Komplimente", sagte etwa Mauricio Macri, früher Bürgermeister von Buenos Aires und bis 2019 argentinischer Staatspräsident. „Es ist in Ordnung zu sagen: Was für einen tollen Arsch du hast!"

Dies alles geschieht in einem Land, das den deutschen Bewahrern des „Weltkulturerbes“ immer noch als Blaupause für korrektes Verhalten beim Tango erscheint. Zirka alle 30 Stunden wird in Argentinien eine Frau ermordet – meist von ihrem (Ex-)Partner.   

Quellen:

https://www.brigitte.de/aktuell/gesellschaft/argentinien---verzeihen-sie-die-stoerung--aber-wir-werden-ermordet---10934440.html

https://www.deutschlandfunk.de/argentinien-gewalt-gegen-frauen-gehoert-zum-alltag.1773.de.html?dram:article_id=369824

Ich habe über die argentinische Fraueninitiative „Ni una menos“ berichtet – und auch über Feministinnen, die sich mit dem alltäglichen Machismo auf den Milongas nicht mehr abfinden wollen. Dafür erntete ich aus Richtung Berliner Tango Macho-Kommentare: Von „Kittelschürzen und Gummistifeln“ war die Rede, die man beim Tango nicht sehen wolle. Man „verbitte sich jede Missionierung“.

http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/10/ni-una-menos-nicht-noch-eine-weniger.html

http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/10/wo-der-mann-noch-macho-sein-kann.html

Warum also in die Ferne schweifen? 

„Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten“, so das Bundesfamilienministerium in einer Meldung vom 10.11.20.

Die Statistik der Gewalttaten gegen Frauen (versuchte und vollendete) 2019:

Vorsätzliche, einfache Körperverletzung: 69.012 Fälle

Gefährliche Körperverletzung: 11.991 Fälle

Bedrohung, Stalking, Nötigung: 28.906 Fälle

Freiheitsberaubung: 1514 Fälle

Mord und Totschlag: 301 Fälle

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/haeusliche-gewalt-80642 

In Deutschland wird also zirka alle 29 Stunden versucht, eine Frau umzubringen. Geklappt hat es 2018 in 122 Fällen, also alle drei Tage. Immerhin sind wir damit 2,4 Mal besser als das Tango-Mutterland.

https://www.zeit.de/2019/51/frauenmorde-gewalt-partnerschaft-bundeskriminalamt

Aber man muss ja Frauen nicht gleich umbringen – in den meisten Fällen reicht es bereits, sie schlechter zu bezahlen und ihnen, privat und beruflich, beizubringen, dass sie nichts zu melden haben. Die meisten Opfer trauen sich nicht, dagegen öffentlich aufzubegehren.

Mich haben schon viele Nachrichten erreicht, in denen Tangotänzerinnen mir ihr Leid klagten: Sie würden (oft auf Grund ihres Alters) auf den Milongas ignoriert, auf bestimmte Verhaltensmuster bzw. Kleidungsvorschriften festgelegt oder müssten sich männliche Zudringlichkeiten bieten lassen. Fast immer folgt dann der Satz: „Ich möchte anonym bleiben“.

Erst vor wenigen Tagen erhielt ich die Mail einer fast 60-jährigen Tanguera, die mir ihre Erfahrungen auf Münchner Milongas schilderte. Sie überlege sich, ob sie nicht das Tanzen an den Nagel hängen sollte – würde ihr viel Reisegeld und Frust ersparen. 

Unter anderem habe ihr ein „guter Tangofreund“ die Situation so erklärt: 

„Ihr Frauen (vor allem die Älteren) müsst devot/demütig sein und nehmen was kommt, aussuchen könnt ihr euch nicht leisten, sonst bleibt ihr halt sitzen und es gibt nicht mal einen Gnadentanz."

Was mich lediglich wunderte: Warum nennt sie diesen Herrn einen „guten Tangofreund“? Ich hätte „bornierter Vollidiot“ passender gefunden!

Daher, liebe Tangofrauen: Es wird sich nichts ändern, solange ihr nicht den Mut habt, Ross und Reiter zu nennen. Zumindest mal die Milongas öffentlich zu erwähnen, wo sich solche Herrschaften bevorzugt herumtreiben. Ich wäre da gerne behilflich.

Und nein: Das Getue mit den Gendersternchen nützt da gar nichts…

Zur Hintergrund-Information:

https://www.youtube.com/watch?v=OpE3aWyG-As

Kommentare

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