Die vertikale Kommunikation im Tango
Mir war von vornherein bewusst, dass meine Rezension des Films „Tanze Tango mit mir“ auf ziemliche Ablehnung stoßen würde. Wenn süßlicher Tangokitsch nicht von einer (tendenziell weiblichen) Mehrheit goutiert würde, wären die Verhältnisse im Tango nicht so, wie sie sind. Aber oft machen mir halt Abweichungen vom Mainstream großen Spaß. Hier besonders!
Zufällig sah ich gestern in der ARD und im Bayerischen Rundfunk Beiträge zur Ankündigung dieses Epos – inklusive Interviews mit Darstellern. Interessanterweise war stets nicht von der eigentlichen Geschichte die Rede, sondern vom Tango. Dabei fielen wieder mal Sprüche fürs Phrasenschwein wie „Sinnlichkeit, Leidenschaft und Melancholie“.
Für mich geht es aber im Kern um einen Mann, mit dem seine private Umgebung ausschließlich vertikal kommuniziert: Seine Frau nölt ihn ständig an, weil er aus ihrer Sicht nichts auf die Reihe kriegt. Töchterlein fühlt sich unverstanden und pfeift auf seine Ratschläge. Und für die Schwimmnudel-Schwiegermama ist er bestenfalls der Taxifahrer für ihre Besuche der Badeanstalt. Ich finde diese Geschichte interessant und gut dargestellt.
Der Tango ist eigentlich nur das Vehikel, welches zeigt: Man kann auch horizontal kommunizieren (oder, um Missverständnisse zu vermeiden: symmetrisch). Sowohl Tangolehrerin als auch Tanzpartnerin nehmen den geplagten Mann ernst und üben mit ihm auf Augenhöhe (im Paartanz eh keine schlechte Idee). Die Trainerin richtet nicht nur sein Gestell gerade, sondern baut ihn seelisch auf: Er sei der König, welcher die Frau führe. So wird sein zerknülltes Ego wieder lebenstauglich.
Der Kern meiner Kritik besteht darin, dass diese Art der Kommunikation im Tango eher die Ausnahme ist. In Wahrheit besteht dort oft eine herbe Rangordnung. Ein mäßig begabter Anfänger mit psychischen Problemen muss schon sehr viel Glück haben, wenn es ihm so ergeht wie Frank Lehmann im Film. In der Realität dürfte sein Ego im Tango endgültig geschreddert werden.
Aber gut, wenn man denn gern Märchen anguckt… Ich kenne nur in der Wirklichkeit viele tragische Fälle, wo es die Lehmänner*innen auf den Milongas endgültig zerlegt hat.
Lustigerweise habe ich gerade ein Beispiel einer solchen realen Tango-Kommunikation entdeckt: Auf Thomas Kröters Blog meldete sich gestern zum Gastbeitrag von Klaus Wendel über die „Umarmung“ ein berühmter Kommentator: Der Tangoautor und Tänzer Eckart Haerter, zweifellos ein „Urgestein“ in unserer Szene. Wer ihn (was natürlich unverzeihlich wäre) nicht kennen sollte: Ich habe mich schon einmal lobend über seine Ansichten zum Erlernen des Tango geäußert.
http://milongafuehrer.blogspot.com/2017/06/doppelblindstudie.html
Nachfolgend nun der gesamte Verlauf seines Dialogs mit Kröter (in Schwarz und kursiv). Der Subtext dazu, welcher sich mir dabei aufdrängte, ist jeweils in Rot und kursiv gehalten:
Eckart Haerter:
Herrlich! Mit großem Amüsement habe ich diese Diskussion verfolgt.
Tja, lustig, worüber sich Flachpfeifen wie ihr euch noch unterhalten müsst…
Übrigens Gruß an Kollegen Klaus Wendel, den ich, glaube ich, vor mehr als 30 Jahren zum letzten Mal gesehen habe.
Ich bin ja schon ewig beim Tango und kenne die Leute alle. Kontakte mit den meisten sind aber unter meiner Würde.
Zur Tanzhaltung im Tango Argentino nur soviel:
Ich erklär‘s ganz einfach, damit es euch nicht überfordert!
Jedes gute Tangotanzpaar passt seine Haltung fließend den getanzten Schritten und Figuren an. So kann man einen Tango eng tanzen, offen tanzen oder aber mit ständigen Wechseln zwischen eng und offen.
Mir schon klar, dass genau dies bereits weiter oben beschrieben wurde – aber da fehlten natürlich noch die höheren Weihen der absoluten Expertise.
Und so haben Ulrike und ich auch immer getanzt – mit großem Erfolg übrigens (besonders in den Ursprungsstädten am Rio de La Plata).
Falls es jemand von euch Spastis noch nicht wissen sollte: Wir haben den Tango an der Quelle geschlürft und ein riesiges Renommee erworben – in BUENOS AIRES UND MONTEVIDEO!!
Und zur Verdeutlichung noch ein Zitat (sinngemäß aus dem Gedächtnis auf Deutsch) vom Kollegen Alberto Paz, der in den USA tätig ist: „Es gibt nur eine Form des Tangos, nämlich die, wie Du ihn tanzt”.
Ich übersetz es lieber, da ihr Nulpen wahrscheinlich kein Spanisch könnt. Und ich kenne natürlich international tätige Kollegen. So, und nun bedankt euch gefälligst für diese wertvolle Tangoweisheit!
PS: Habe diese Seite eben durch reinen Zufall entdeckt, auf der Suche nach einer ISBN.
Nicht, dass du armseliger Blogger glaubst, ich würde dich kennen oder gar absichtlich nach deinen Texten suchen. Du kannst von Glück sagen, dass du mir überhaupt per Zufall aufgefallen bist! Anrede und Grußformel braucht’s nicht – sonst fühlt ihr euch noch ebenbürtig…
Thomas Kröter:
Ein toller Zufall, lieber Eckart Haerter.
Ja, ist mir schon klar, dass ich Nichtswürdiger nur durch Glück der Gnade teilhaftig wurde, vor deinen Augen zu erscheinen.
Klaus Wendel wird bestimmt noch selbst antworten.
Auch mein Mitarbeiter wird sich noch angemessen bei Dir…, äh Ihnen bedanken!
Deine/Ihre Übersetzungen haben übrigens einen Ehrenplatz unter meinenTangobüchern… Die „Ecken” hab ich vor Jahren mal in der „Tangodanza” besprochen: http://kroestango.de/aktuelles/die-neue-tangodanza/
Selbstverständlich stehen die Werke Eurer Heiligkeit auf meinem Hausaltar gleich neben dem Gardel-Bild.
Eckart Haerter:
Hallo Thomas, dann vielen Dank nachträglich für Deine Rezension.
Hab deinen Quark natürlich nicht gelesen, aber wenn du mich dabei gelobt hast, okay…
Hat mich gefreut,
dich hier wieder zu treffen.
Herzlichen Gruß – Eckart
Scheint ja ein glühender Bewunderer von mir zu sein – ich schenk ihm mal als besondere Anerkennung eine Grußformel. Und tu so, als ob ich ihn kenne!
Thomas Kröter:
Vielen Dank. Ich hoffe, in Dir nun einen jener Leser gefunden zu haben, die hier ab und an reinschauen. Wenn Du Hinweise hast oder (sachliche) Fehler findest… feel free! Gruß zurück.
Ich würde mich glücklich schätzen, Dero Gnaden – falls denn Hochwohlgeborens Zeit es erlaubt – hinkünftig als gestrengen Kritikus meiner unmaßgeblichen Zeilen begrüßen zu dürfen – und selbstredend sind mir Korrekturen Befehl!
Quelle: http://kroestango.de/aktuelles/seid-umschlungen-milongueres/#comments
Hinweis: Die roten Subtexte sind natürlich unverschämte Unterstellungen unter dem Deckmantel der Satire. Beide Beteiligten würden das tangotypische Standard-Argument einsetzen: Sie seien „missverstanden“ worden!
Wenn ich mir den Dialog durchlese, wird mir überdeutlich klar, was ich im Tango seit vielen Jahren falsch mache: Ich kommuniziere auch mit Berühmtheiten (ob nun wirklichen oder gefühlten) auf Augenhöhe. Was natürlich eine Nichtbeachtung ihres Ranges darstellt. Daher schlagen diese Zeitgenossen nicht nur ein Rad – ich bekomme zusätzlich noch etliche Flederwische um die Ohren.
Trotz dieser Risiken und Nebenwirkungen rate ich auch Anfängern im Tango, sich nicht auf ein Unterordnungsverhältnis einzulassen. Die hohen Herrschaften kochen nämlich auch nur mit Wasser – und manchmal lassen sie sogar das noch anbrennen!
P.S.
Es geht doch auch anders: Hier einmal ein Tanzlehrer,
welcher mit seinem Schüler tanzt und ihn ernst nimmt! Na gut, die Kommunikation... aber sehen Sie selbst...
https://www.youtube.com/watch?v=Xeiev2GJFyA
Was sich doch auf der Seitenlinie bzw. im Bandenraum des Tango so alles angesammelt hat.
AntwortenLöschenLieber Manfred Schreiber,
Löschen"Bandenraum" finde ich im Tango-Zusammenhang eine tolle Bezeichnung!