Ganz was Neues…


Bis in die jüngste Vergangenheit galt Live-Musik bei den Konservativen im Tango eher als unerwünscht – selbst, wenn noch lebende Musiker die alten Schinken darboten: Zu groß war die Furcht, bereits kleinere Abweichungen vom Schellack-Kratz-Original könnten tänzerische Irritationen auslösen.

Dies scheint sich nun zu ändern. Gerade erreichen mich hymnische Kommentare zum Festival „La Locura“ in Innsbruck, bei dem ganze zehn Tangoensembles auftraten – und offenbar durfte man zu ihrer Musik ohne temporären Sitzzwang die ganze Zeit tanzen!

Wäre vor ein, zwei Jahren noch anders gewesen – da hätten man die guten Sachen nur konzertant erleben dürfen, und zum Tanz wären die Musiker dann wieder gezwungen gewesen, kalorienreduzierte Vierviertler zu liefern…   

Ich habe mir die Gruppen einmal angesehen:

Mit leichtem Schmunzeln durfte ich feststellen: Die meisten dieser Ensembles – mit Ausnahme von „El Muro Tango“ – habe ich längst bei unseren „Wohnzimmer-Milongas“ aufgelegt und oft auch auf meinem Blog ausführlicher vorgestellt:

Und natürlich als Musiker auf Iwan Harlans neuer CD „Tango Alemán“

Im Juni 2018 auch das „Sexteto Cristal“

Ganz aktuell habe ich das „Tango Spleen Orquesta“ vorgestellt:

„Los Milonguitas“ waren 2018 nicht nur auf meiner Playlist, sondern boten die
Musik zu einer „Tanzbarkeits-Prüfung“ per Video:

„El Cachivache“ gibt es auf einer bei mir veröffentlichten Playlist meines Kollegen Martin Polzer:

Das „Quinteto Beltango“ habe ich schon häufig gespielt, zum ersten Mal im August 2015 :

In hier meine Vorstellung von „Solo Tango Orquesta“ Anfang 2018:

„Otros Aires“ kommt auf vielen meiner Playlists vor. Ein Porträt der Gruppe habe ich Mitte 2016 verfasst:

Und natürlich darf auch Daniel Melingo nicht fehlen:

Übrigens gibt es auch eine Zusammenstellung meiner „musikalischen Specials“:
Fast 40 Künstler (mit Schwerpunkt auf modernem Tango) habe ich bislang auf der Pörnbacher Milonga präsentiert.

Selbst knochentrocken konservative DJs scheinen nun ihre Totalverweigerung jeglicher modernen Entwicklung aufzugeben. So schrieb gestern Theresa Faus auf Facebook:

„Heute brachte mir die Post die CD ‚Sin palabras‘ des Cuarteto SolTango (…) Sie ist fantastisch! Exzellente Musiker spielen im Stil der Época de oro ein wunderbares Repertoire von tollen Stücken zum Tanzen. Und zwar in gut zusammengestellten Tandas mit Cortinas, so dass man die CD, wie es früher in den Milongas in München üblich war, einfach einlegen und durchlaufen lassen könnte. (…)
Ich muss gestehen, dass ich sie bis vor kurzem nicht kannte.“

Tja, liebe Theresa, hättste mal auf meinen Blog geschaut – die Gruppe habe ich bereits Mitte 2017 vorgestellt, und ihre neue CD „Sin Palabras“ gab es ab Mitte März dieses Jahres bei uns zum Tanzen:

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich freue mich natürlich riesig über diese neue Entwicklung – und vielleicht habe ich ja mit einer Unzahl von Artikeln ein wenig dazu beigetragen.

Nur – manchmal ist die lange Leitung der Tangoszene schon bemerkenswert – zumal gelegentlich auch noch eine(r) draufsteht.

Noch heute werde ich ja gelegentlich gefragt: „Ich habe gerade gehört, du hast ein Tangobuch geschrieben. Worum geht es denn da?“ Und ich fürchte halt, so in zirka 25 Jahren, wenn meine Gattin denn doch das aktive Musizieren altersbedingt aufgibt, wird sie zu hören bekommen: „Stimmt das, was ich gerade erfahren habe? Du singst Tangos? Das würde ich mir zu gerne mal anhören!“

Schrecklicher Verdacht: Hängen noch so viele in der „EdO-Schleife“, weil das einfach noch nicht lang genug her ist? Das lässt ja hoffen!

Aber bevor sie irgendwann altersdement werden, sollten wir doch noch ganz schnell „El Muro Tango“ loslegen lassen, natürlich mit einer ollen Kamelle aus dem Jahr 1942:



Und zur Unterscheidung – wer’s noch nicht weiß: So klang das vor fast 80 Jahren…


P.S. Ich sehe gerade: Auch zu diesem Stück habe ich schon etwas geschrieben. O mei‘…

Kommentare

  1. Ganz erstaunlich, wer da plötzlich alles nervös wird! So postet Melina Sedó gerade eben auf Facebook:

    "Contemporary orchestras?

    Around the turn of the millennium, quite a few djs used contemporary orchestras (El Arranque, Fernandez Fierro...) at Milongas.
    Later most djs limited themselves to the classical orchestras. For me, that was not a big change, as I only very rarely played a contemporary band or neo/electro. Maybe once per milonga.

    Since a few years, new contemporary orchestras can again be heard at milongas or encuentros - I guess at marathons too. Theresa recommended one yesterday.
    So, just out of curiosity: who uses modern orchestras in their sets? And what are your reasons for doing so?

    I find myself in a dilemma, because I really think that contemporary tango music and musicians should be supported, but I just like the "old stuff" much better. This is why I use exclusively music from 1927-1960 and for the 50's I keep it to Biagi, Di Sarli and Pugliese. You could call me a hardliner. But you knew that already. ;-)

    So: What's your opinion?"

    Das wird sicher spannend...

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