Tango Spleen Orquesta


Es verblüfft mich immer wieder, was sich in der Tangomusik jenseits des „Historien-Gedudels“ alles tut – und wie wenig ich davon auf den üblichen Milongas mitbekomme.

Gestern hörte ich mir auf einen Tipp des Tangofreunds Thomas Wanner hin (herzlichen Dank!) ein Ensemble an, dessen Name mir zwar irgendwie bekannt erschien – mehr aber nicht: „Tango Spleen Orquesta“. Kurz und gut: Ich war hingerissen und forschte daher weiter nach.

Schon die dynamische und empathische Art, wie die Gruppe alte Kracher aus der Schnulzen-Abteilung interpretiert, ist für mich sensationell. Hier „Todo es amor“ (von Alejandro Roman und Leo Lipesker aus dem Jahr 1957):


Meine Recherchen ergaben:

Die Gruppe wurde 2008 in Italien vom Pianisten, Sänger und Komponisten Mariano Speranza gegründet (ein singender Pianist – sehr ungewöhnlich im Tango). Sie gab inzwischen über 500 Konzerte in 20 Ländern. Dabei arbeitete sie mit bekannten Kollegen wie dem Opernsänger Marcelo Alvarez, dem Rockmusiker Bernardo Lanzetti („Acqua Fragile“) und der uruguayischen Tangosängerin Malena Muyala zusammen.

Sie lieferten die Musik zu zahlreichen Tangoshows wie Piazzolla Tango“ und „Tango de mí Buenos Aires“ und spielen auch eigene Titel.

Was mich besonders freut: Sie versorgen die von modernen Ensembles eher verschmähte Kategorie „Vals“ mit neuen Impulsen wie bei dem Klassiker Que nadie sepa mi sufrir“ (Enrique Dizeo und Ángel Cabral, 1936):


„Tango Spleen“ spielt in der Besetzung:

MARIANO SPERANZA (Piano, Gesang)
FRANCESCO BRUNO (Bandoneon)
ANDREA MARRAS (Violine)
ELENA LUPPI (Viola)
DANIELE BONACINI (Bass)

Gäste:
YALICA JO (Cello, Gesang)
SEBASTIANO BERTOLINI (Gitarre und Charango)
ANNA PALUMBO (Percussion)

Ihr Repertoire umfasst neben den traditionellen Stücken vor allem folkloristische Titel und Milongas. Wie rotzig sie bei Sebastián Pianas „Milonga Sentimental“ (Text: Homero Manzi, 1933) daherkommen, hat mich hingerissen:


Man kann es kaum glauben: Das ist dasselbe Stück, welches auf hiesigen Tangoveranstaltungen bis zum Überdruss in der Version von Francisco Canaro heruntergenudelt wird:


Das Wort „Spleen“ bedeutet eigentlich „Milz“ – und dieses Organ gilt ja auch als ein Zentrum unserer Stimmungslage. „Melancholie“, Weltschmerz („splénétique) und Verdruss leiten sich von diesem Wort ab. Wenn ich die Gruppe höre, denke ich jedoch mehr an „Spleen“ im Sinne von „Marotte“ oder „Verrücktheit“. Und einen an der Waffel haben diese Musiker durchaus – Gott sei Dank!

Vier CDs hat das Ensemble bislang herausgebracht:
Contatto
Canto para seguir
Tipico
Tango Spleen

Und seit gestern bin ich stolzer Besitzer eines Tonträgers mit ihren schönsten Aufnahmen, von denen ich einige sicher auf unserer nächsten “Wohnzimmer-Milonga” auflegen werde!

P.S. Ach ja neue Interessenten dürfen mir gerne eine Mail schreiben, sie erhalten dann eine Einladung: mamuta-kg(at)web.de

Kommentare

  1. Hier ein Kommentar von Uwe Konjen:


    Hallo Gerhard,

    mit Freude habe ich Deinen Artikel über das Tango Spleen Orquesta gelesen. Auch ich bin seit 2 Wochen in Besitz einer CD von der Truppe und habe sogar noch von allen Musikern die Autogramme drauf. In Innsbruck gab es das Festival “la locura”, mit 10 !!! Bands an 3 Tagen. Man konnte da fast ausschließlich zu Livemusik tanzen. Es war sensationell, u.a. weil die Milongas im “Haus der Musik” stattfanden, eine im letzten Jahr neu eröffnete Konzerthalle mit einer dementsprechend herausragenden Akustik. Es war eine schöne Bandbreite von zeitgenössisch interpretierter Tangomusik zu hören. Lies Dir mal die Bandliste durch, vielleicht ist eine Anregung dabei.

    Herzliche Grüße, Uwe

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Uwe,

      besten Dank für den Hinweis!

      Die meisten dieser Gruppen lege ich seit Jahren bei unserer "Wohnzimmer-Milonga" in Pörnbach auf. Auf meinem Blog habe ich einige davon auch schon näher vorgestellt. Bei Interesse einfach die Suchfunktion benutzen!

      Aber klar - der Live-Eindruck ist dann nochmal etwas Besonderes.

      Beste Grüße
      Gerhard

      Löschen
  2. Ein Kommentar von Ernst Kopica:

    Lieber Gerhard,

    ja du musst echt raus zu den Konzerten! Wir in Wien haben in der Roten Bar eine solche Location, ein Wahnsinn. Live-Konzerte und meist eine sehr energetische Stimmung. Relativ klein, dafür ist die Musik umso dichter bei einem. Leider ist die Zukunft unsicher, da das Theater in dem sich die Bar befindet umgebaut werden soll. Und jetzt das Innsbrucker Festival, bei dem alles vertreten war von Klassisch bis Otros Aires und Amores Tangos, einfach ein Traum!

    Lg aus Wien
    Ernst

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Ernst,

      vielen Dank! Offenbar geht inzwischen der Trend wieder zurück zu Live-Ensembles, nachdem es längere Zeit umgekehrt war.
      Das freut mich natürlich besonders, da ich jahrelang für die modernen Tangogruppen geworben und sie auch in Pörnbach aufgelegt habe.
      Klar besuche ich - wenn es einigermaßen passt - auch solche Auftritte.
      Und in meiner unmittelbaren Nähe gibt es ja auch ein ziemlich rühriges Duo...

      Herzliche Grüße
      Gerhard

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.