„Da kann der Einzelne doch nichts machen…“
Über
die für mich herausragende „Mutter des Grundgesetzes“, Dr. Elisabeth Selbert, habe ich schon einige Male berichtet:
Bekanntlich
ist es vor allem ihrem Engagement zu verdanken, dass im vom Parlamentarischen
Rat am 8.5.1949 beschlossenen Grundgesetz
der Artikel 3 (2) schlicht und unmissverständlich lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Die
Bauchschmerzen der anderen 64 Ratsmitglieder bei dieser Entscheidung sind
durchaus verständlich: An vielen Stellen des Bürgerlichen Rechts war die männliche
Dominanz festgeschrieben: Frauen durften ohne Genehmigung des Gatten weder
ein Konto eröffnen noch eine Arbeitsstelle antreten, in Erziehungsfragen hatte
der Vater das letzte Wort, und starb er, gingen Finanzen und Kinderbetreuung
nicht automatisch auf die Mutter über – stattdessen wurde ein Vormund bestimmt.
Das alles nun ändern?
Das alles nun ändern?
Bis
1953, so bestimmte es der Artikel
117 Grundgesetz, sollten diese Vorrechte fallen. Die Adenauer-Regierung brauchte
jedoch bis 1957, bis man sich zu einem halbherzigen „Gleichberechtigungsgesetz“ bequemte. Und es wäre vermutlich noch
länger hinausgeschoben worden, hätte nicht eine andere Institution dem
Gesetzgeber Dampf gemacht: das Bundesverfassungsgericht.
Immer öfter wählten Frauen den Weg der Verfassungsklage,
um ihre neuen Rechte direkt einzufordern, mehrheitlich mit Erfolg.
Doch
auch dort war ja – wie im folgenden Bild zu sehen – die „Männer-Quote“ erdrückend: Scheffler war die einzige Frau.
Und
wieder war es – wie schon im Parlamentarischen Rat – genau eine einzelne Frau (im Bild vordere Reihe, Dritte
von rechts), die ihren Richterkollegen mächtig Druck machte: Erna Scheffler – und ich gestehe, dass
mir diese Pionierin bis vor kurzem völlig unbekannt war. Es dürfte sich um eine
der unterschätztesten Persönlichkeiten
unseres Landes handeln!
Dr. Erna Scheffler (1893-1983) besuchte
die Höhere Töchterschule und legte dann, da man dort als Mädchen kein Abitur
machen konnte, ihre Reifeprüfung als
Externe an einem Knabengymnasium ab.
Ihr
anschließendes Jurastudium beendete
sie 1914 mit der Promotion. Da ihr
als Frau damals auch das Staatsexamen verwehrt war, arbeitete sie zunächst als
Hilfskraft bei der Sozialfürsorge und in Anwaltskanzleien. 1922 endlich durfte
sie das Erste, 1925 das Zweite Juristische Staatsexamen
ablegen und war dann als Anwältin, ab 1930 als Amtsrichterin tätig.
Bekanntlich
wollten die Nazis Frauen von der Justiz fernhalten – bei ihr wurde es sogar
schlimmer: Sie galt als „Halbjüdin“
und durfte daher ab 1933 nicht mehr als Richterin tätig sein. Ihren späteren Ehemann Ernst Scheffler konnte sie erst 1945 heiraten. Sie
arbeitete wieder als Richterin und wurde 1951 als erste Frau ins Bundesverfassungsgericht berufen, dem
sie bis 1963 angehörte. Ausschlaggebend dafür war wohl ihre viel beachtete Rede
zur Gleichberechtigung beim Deutschen
Juristentag 1950.
Wie
die nur 1,58 m große – „Klein Erna" genannte – Verfassungsrichterin mit eher großmütterlicher
Ausstrahlung ihre 7 Kollegen im Ersten Senat auf die Spur brachte, unterliegt
leider dem Beratungsgeheimnis. Fest steht, dass sie brillant und entschlossen
argumentieren konnte. Sie griff die Kirche
an, wo sie nur konnte, und verglich die Situation der Frauen schon mal mit der Sklaverei. Einem Richter, so wird
erzählt, knallte sie einmal einen Stoß Akten vor die Füße. Das Adenauersche „Gleichberechtigungsgesetz“ nannte sie „tragisch, wenn nicht lächerlich“.
Besonders nervte sie die „Zölibats-Klausel“,
nach der verheiratete Beamtinnen aus dem Dienst entlassen werden konnten: Der Mann
sollte eben verdienen, die Frau am Herd verweilen…
Erna Scheffler war an etlichen
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beteiligt, welche den Artikel 3
(2) in die Realität umzusetzen halfen. Ihre Sternstunde aber hatte sie am 29.7.1959 beim Urteil zum Stichentscheid: Bis dahin hatte der
Mann bei Erziehungsfragen das letzte Wort und die alleinige
Vertretungsvollmacht für das Kind. Nun stand fest: Diese Bestimmungen sind
verfassungswidrig. Und da der Senatspräsident sich krankgemeldet hatte, durfte
die Richterin selbst das Urteil verkünden – mit einem Lächeln, wie die
Presse anmerkte.
Ein kurzes Interview mit der Juristin ist noch erhalten:
https://www.swr.de/swraktuell/bw/karlsruhe/erna-scheffler-1893-1983/-/id=1572/did=17371500/nid=1572/2136gx/index.html
Ein kurzes Interview mit der Juristin ist noch erhalten:
https://www.swr.de/swraktuell/bw/karlsruhe/erna-scheffler-1893-1983/-/id=1572/did=17371500/nid=1572/2136gx/index.html
Wie
sehr dies gewissen Kreisen missfiel, kann man an der Reaktion des
katholisch-konservativen „Rheinischen
Merkur“ ersehen:
Mit ihrer
Entscheidung seien die Hüter der Verfassung dem „Trend‘ dieser Zeit“ gefolgt,
„die vaterlose Gesellschaft als Leitidol zu etablieren“. Statt die Familie als
„Keimzelle aller irdischen Gemeinschaft“ zu schützen, hätten sich die Richter
einer Argumentation bedient, die den Geist „verstaubte[r] Geltungskämpfe aus
der Ära der Suffragetten“ atme.
Das Urteil entspreche
insofern „jene[n] wilden Anfangszeiten des Sozialismus, als anarchistisch
lebende Berufsrevolutionäre sich der Frau gegenüber dadurch entpflichteten,
dass sie deren unbeschränkte Freiheit und Gleichheit proklamierten“. Man könne
sich leicht vorstellen, „wie vergnügt man sich in der Sowjetzone die Hände über
diese formaldemokratische Einebnung der Familie reiben wird“.
Ist
also das, was wir heute als „Gleichberechtigung“
erleben, das Werk von genau zwei Frauen?
Sicher nicht – jedoch haben sie im entscheidenden Moment die Weichen gestellt. Ohne sie hätte sich
die Entwicklung um Jahre, vielleicht Jahrzehnte, verzögert.
Worauf
es mir vor allem ankommt: Sie taten dies mit einer unglaublichen Courage, obwohl sie oft genug allein dastanden, kaum Unterstützung hatten.
Ich
habe Elisabeth Selbert und Erna Scheffler nicht nur vorgestellt,
weil ich sie für höchst bemerkenswerte und leider verkannte Persönlichkeiten halte, sondern um einen der dümmsten Sätze zu attackieren, die ich kenne:
„Da
kann der Einzelne doch nichts machen.“
Man
verkennt dabei halt, dass unsere Gesellschaft aus vielen Einzelnen besteht, die dann alle nichts machen können…
Daher
behaupte ich als Antithese:
„Nur
der Einzelne kann etwas machen.“
Auch „die Einzelne“, und das wäre gerade bei dem Thema bitter nötig!
Auch „die Einzelne“, und das wäre gerade bei dem Thema bitter nötig!
Grafik: www.tangofish.de |
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