Horror-Milonga
Die
folgende Beschreibung eines Milonga-Besuchs
fand ich kürzlich in einer Tango-Seite auf Facebook. Da es sich inzwischen
herumgesprochen hat, dass Journalisten ihre Quellen nicht nennen müssen (auch, wenn es sich nicht um einen Rechtsnationalen
handelt), wird man es hoffentlich verstehen, wenn ich die Herkunft der Zitate verschweige.
Eine
Tänzerin bekannte, auf der „grausamsten Milonga“ gewesen zu
sein, die sie je erlebt habe. Sie hätte gerne „Schmerzensgeld“ dafür verlangt.
Ihre
Kritik in Stichpunkten:
·
schmucklose,
unattraktive Räumlichkeiten
·
Veranstalter
und argentinische Gäste kümmerten sich nicht um die Besucher
·
geringe
Besucherzahl, Frauenüberschuss (vorwiegend aus dem Bereich mittelmäßige, ältere
Tänzerinnen, die eher nicht aufgefordert wurden)
·
Der
Veranstalter tanzte kaum mit den anwesenden Damen (die eigene Partnerin und die
jüngste, attraktivsten Tanguera ausgenommen)
·
lieblose
Anordnung der Tandas, kein Zusammenhang erkennbar
·
zu
glatter Boden – selbst Showpaar musste deshalb Vorführung abbrechen
·
Probleme
mit der Musikeinspielung dazu
·
Partner
tanzten unmusikalisch oder (für den rutschigen Untergrund) zu schwierig
Der
Schreiberin war zum Heulen zumute und verließ daher die Milonga.
Die
wenigen positiven Aspekte:
·
Kontakte
zu zwei lieben Freundinnen, mit der einen tanzte sie auch
·
ein
netter Tanguero mit einer schönen Umarmung und ohne Darstellungsbedürfnis
Die
Autorin betont, eigentlich lokale Milongas fördern zu wollen, obwohl es ihr auf
entfernteren Veranstaltungen besser gefalle. Und die Organisatoren seien
durchaus keine Anfänger, sondern an verschiedenen Orten mit Angeboten (auch für
den Unterricht) präsent. Was sie aber erlebt habe, sei „reines Business“ „ohne Herz und Gefühl“ gewesen. Sie fühlte
sich nicht wie ein „fühlender Mensch“,
sondern wie eine „wandelnde Brieftasche“
behandelt.
In
Zukunft werde sie derartige Veranstaltungen meiden – es gebe schließlich Besseres. Übrigens hatte sich dieselbe Dame vor knapp einem Jahr – in einem ganz ähnlichen Duktus – über ein von ihr besuchtes Encuentro beschwert. Also scheint es auch überregionale Veranstaltungen zu geben, die ihr nicht gefallen. Ich hatte damals davon berichtet:
http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/06/jahrelang-hochgedient.html
http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/06/jahrelang-hochgedient.html
Dem
Satiriker in mir liegt natürlich die Antwort auf der Zunge: Was heißt hier „grausamste
Milonga“? So geht es doch an vielen Orten zu!
Nein,
im Ernst:
Solche
Mängel habe ich unzählige Male
erlebt, auch in Kombination. Nun
gut: Alles auf einmal ist schon eindrucksvoll.
Im
Einzelnen:
Ich
staune immer wieder, dass Veranstalter so gar keinen Blick dafür haben, dass man
die Attraktivität der Räumlichkeiten
und Ausstattung oft mit einfachsten
Mitteln verbessern könnte. Oft würden Putzeimer
und Schrubber reichen, um den „Papp
von tausend Jahren“ vom Parkett zu entfernen. Ein paar Kerzen (nicht die gräuslich künstlichen mit Batterie), etliche
nicht wackelnde Stühle oder zusätzliche
Abstellmöglichkeiten für Getränke
dürften nicht die Welt kosten.
Ebenso
preiswert wären zusätzliche Garderobenständer
und ein neuer Satz Kleiderbügel
(kriegt man in Konfektionsgeschäften sogar gelegentlich geschenkt) – nebst zwei,
drei Stühlen in der Garderobe, damit
man die Schuhe nicht in der Hocke oder der Stellung für eine Prostata-Untersuchung
anziehen muss. Das alles hat noch gar nichts mit Professionalität zu tun, sondern einfach mit einem Minimum an
Lebensart. Bei vielen Veranstaltern bin ich froh, nicht deren heimisches Badezimmer oder das Innenleben ihres Kühlschranks kennenlernen zu müssen!
Dass
sich die Mehrzahl der Gastgeber oder deren argentinisches Personal keinen Deut
um die Gäste kümmern, geschweige
denn mit ihnen tanzen, ist
eigentlich Standard. Und wenn ein DJ
nicht stundenlang wie ein Hackstock hinter seiner Anlage sitzt und die Besucher
keines Blickes würdigt, bewerte ich
das bereits als sensationell.
Für
eine ungleiche Geschlechterverteilung
kann der Organisator natürlich nichts. Er sollte dann allerdings mit tänzerischem Engagement dafür sorgen,
dass möglichst viele herumsitzende Frauen aufs Parkett kommen – durch eigenes Bemühen und diskrete Hinweise an männliche Bekannte. Dass die Gäste
zufrieden heimgehen, steht auf Platz eins der Prioritätenliste für Veranstalter. Wer das ignoriert, hat es nicht
verdient, auch nur einen Cent Gewinn zu machen!
Zur
genaueren Art der Musik äußert sich
die Schreiberin nicht. Ich nehme einmal an, dass es sich – wie meistens – um
lieblos aneinandergereihte traditionelle Playlists aus dem Internet handelte. Es
ist jedoch unter den Veranstaltern ein offenes Geheimnis, dass durchschnittliche
Besucher kaum etwas von Tangomusik verstehen. So lange sich das nicht ändert,
müssen sie sie nicht wundern, wenn man ihnen jeden Dreck andreht!
Was
den Boden betrifft: Bei den gut 3000
Milongas, die ich bisher besuchte, waren ernsthafte Probleme mit dem Untergrund
die rare Ausnahme (schätzungsweise
in einem oder zwei Prozent der Fälle). Und da war er meist zu stumpf (besonders bei Open Air-Events mit den berüchtigten
Planen oder Gummimatten). So wird das Drehen vor allem für Frauen natürlich
schwierig. Bei zu glattem Boden
reicht es, bei Regen kurz vor die Tür zu gehen oder die Sohlen in mit einem
Schuss Mineralwasser anzufeuchten – hält mindestens eine halbe Stunde. Den Rest
besorgt im Verlauf des Abends die Luftfeuchtigkeit (offene Fenster sind ja eher
die Ausnahme).
Weiterhin
rutscht man halt weniger weg, wenn man beim Drehen nicht schräg herumeiert – und den Damen sei gesagt: Solange ihr die
zierlichen Sohlen nebst hohem Absatz und einigen dünnen Riemchen für Schuhe haltet, habt ihr eben ein selber
gemachtes Problem!
Die abgebrochene Tanzshow
halte ich persönlich für einen Segen… Nein, ernsthaft: Offenbar ist für solche
Paare der Begriff „Probe“ ein
Fremdwort. Andernfalls hätte man rechtzeitig den Reibungskoeffizienten des Parketts
sowie die Schwierigkeiten bei der Musikeinspielung erkennen können. Man hat dann wohl eine improvisierte Vorstellung gegeben. Dennoch war das sicherlich nicht nur
unprofessionell – selbst guten Amateuren
dürfte so etwas nicht passieren!
Für
die Qualität der Tanzpartner kann
man den Veranstalter nicht haftbar machen – es sei denn, sie hätten bei diesem
gelernt. Und wer nun wie musikalisch oder selbstdarstellend tanzt, ist sehr vom
persönlichen Blickwinkel und den eigenen Fertigkeiten abhängig. Anstelle der
Schreiberin würde ich mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen…
Mein
Fazit:
Ich
habe im Lauf der Jahre schon hunderte solcher Klagen gehört (wenn auch nicht oft in einer solch eindrucksvollen
Zusammenstellung). Nicht an allem sind natürlich Veranstalter oder gar Gäste
schuld – öfters fehlt auch ein Quäntchen Selbstkritik.
Dennoch
bestätigt die Fülle solcher Eindrücke schon meine Überzeugung: Milongas werden
häufig dilettantisch und ohne Fingerspitzengefühl organisiert.
Die Basis der oft behaupteten, aber selten zu erlebenden Professionalität wäre die Einsicht, dass auch im Tango der Kunde König zu sein hat anstatt sich
wie eine „wandelnde Brieftasche“ zu
fühlen. Und viele Verbesserungen
würden wenig oder gar nichts kosten. Dennoch gilt ebenfalls: Einstellige Eintrittspreise fördern
solche Entwicklungen noch.
Was
mich jedoch wenig überzeugt: Klagelieder dann lediglich in geschlossenen Gruppen (also mit relativ wenigen Lesern) zu
veröffentlichen. Daher habe ich mir erlaubt, das Thema auf meinen Blog zu
ziehen.
Weiterhin
bekundet die Schreiberin ihre Absicht, diese Milonga fortan nicht mehr zu besuchen. Ich
fürchte, dadurch allein wird sich wenig
bis nichts ändern. Immerhin sollte ihr das aber die Furcht nehmen, Kontakt mit dem Veranstalter zu suchen und solche Punkte anzusprechen – selbstverständlich in einer
respektvollen, angemessenen Weise. Ich meine, es könnte das Verständnis auf beiden Seiten erhöhen.
Aus
eigener Erfahrung weiß ich allerdings, dass man dabei auch auf taube Ohren stoßen kann. In dem Fall
muss man halt öffentlich kritisieren.
Es gibt heute Bewertungsportale für
alles und jedes. Nur im Tango hält man ein solches Vorgehen für Majestätsbeleidigung beziehungsweise
fürchtet, dafür in Acht und Bann
geschlagen zu werden.
Lassen wir die Untoten im Tango endlich aussterben:
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