Warum ich nicht mehr auswärts spiele


Die derzeitigen Debatten zur zeitgenössischen Musik auf den Milongas treiben offenbar zunehmend die Veranstalter um. Es ist ja auch seltsam: Jahrelang schienen ihre Gäste damit zufrieden zu sein, einmal in der Woche beinahe identische Musikprogramme geboten zu bekommen, die mindestens 60 Jahre alt waren. Und nun plötzlich wollen sie mehr, strömen in Scharen zu Events mit der Live-Musik junger, ambitionierter Ensembles! Nach meiner Wahrnehmung – nicht nur im Internet – macht das immer mehr Organisatoren nachdenklich.

Das führt schon so weit, dass ich selber gefragt werde, ob ich denn nicht da oder dort einmal auflegen wolle. Obwohl ich mich bei solchen Angeboten durchaus geehrt fühle, ist meine Antwort stets: nein. Wieso?

Mit mangelndem Respekt vor denen, welche Milongas veranstalten, hat das nichts zu tun. Ich meine, jeder verdient Wertschätzung, wenn er etwas unternimmt, von dem man nicht reich wird, oft genug sogar draufzahlt, und sich mit seltsamen Wünschen und Ansprüchen der Besucher herumschlagen muss – egal, welches Musikprogramm oder komische Regularien er favorisiert.

Warum ich dennoch als DJ „Auswärtsspiele“ inzwischen ablehne, hat schon einmal nichts mit Geld zu tun. Obwohl ich durchaus dafür bin, die Aufleger angemessen am Gewinn zu beteiligen (wenn denn einer entsteht), habe ich noch nie ein Honorar gefordert – und in den seltenen Fällen, wo ich trotzdem eines bekam, an die Deutsche Welthungerhilfe gespendet (wie seit 33 Jahren meine Zauber-Gagen).

Etwas schwerer wiegen schon die technischen Aspekte: Während es früher auf jeder Milonga einen halbwegs passablen CD-Player gab, darf man heute meistens sein Notebook an die hauseigene Anlage stöpseln. Ich habe jedoch keine Lust, mich im hohen Alter noch mit der Wissenschaft von den Musikdateien zu beschäftigen – vor allem, weil nach meiner Überzeugung die Silberlinge auch nicht schlechter klingen. Und – noch altmodischer – ich möchte als „Plattenreiter“ schon noch mit den Scheiben hantieren anstatt lediglich eine Maus zu schubsen.

Mein entscheidender Grund aber:

Veranstalter, die (oft wegen zurückgehender Gästezahl) ihre Musik mit ein paar modernen Titeln aufpeppen wollen, zeigen meist alles Mögliche, aber keine Konsequenz: „Wir machen dir keine Vorschriften, was du auflegen sollst“, hört man dann oft in einem Atemzug mit „zu modern sollte es natürlich nicht sein“.

Und selbst wenn der letzte Satz nicht laut ausgesprochen wird, kann man sich auf eines verlassen: In einer vormals traditionellen Milonga steht nach den ersten zwei, drei Tandas ein strammer Konservativer am Pult und fragt: „Spielst du keine traditionellen Tangos?“

Und es nützt überhaupt nichts, wenn die Musikrichtung vorher angekündigt wurde. Erstens müsste man dazu lesen können (und wollen), und zweitens stellen sich manche Zeitgenossen wohl unter „gemischter Musik“ ein Potpourri von Aufnahmen zwischen 1930 und 1950 vor.

Worauf man ebenfalls warten kann: Wenn sich dann zwei oder drei Leute beschwert haben und man sich dadurch nicht beeindrucken ließ, rennen die umgehend zum Veranstalter, welcher in Kürze beim DJ auftaucht und herumscharwenzelt: „Äh, weißt du, da haben sich jetzt schon einige beschwert – könntest du nicht vielleicht doch… Wir wollen ja keine Gäste verlieren.“ Aus realem Erleben habe ich schon mitbekommen, wie DJs dann ihr gesamtes Programm umwarfen und auf traditionellere Linie brachten. Übrigens gilt das auch für die andere Fraktion: „Könntest du nicht etwas moderner auflegen – wir sind ja dafür bekannt…“ habe ich auch bereits vernommen.

Um nicht missverstanden zu werden: Klar wird jeder Plattenaufleger darauf achten, wie sehr sein Programm ankommt, die Besucher zum Tanzen animiert. Aber klar ist auch: Wenn man auf einer Veranstaltung die Besucher jahrelang auf eine bestimmte Musikart konditioniert hat, bleiben Friktionen nicht aus – was der Bauer nicht kennt, irritiert ihn zunächst.

Und, was noch schlimmer ist: An manchen Orten werden solche DJs dann zweimal im Jahr engagiert, während man die restlichen 50 Wochen das sattsam bekannte Geplürre bietet. Nein, liebe Leute – wir sind weder ein Feigenblatt noch gar ein Blatt für Feige!

Daher sage ich jedem Veranstalter, der einen DJ mit einem etwas anderen Spektrum als bisher engagiert, voraus: Das wird ohne Verwerfungen nicht abgehen, man wird einige Gäste verlieren – gerade aus dem traditionellen Sektor. Da ist man ziemlich beschwerdefreudig und spricht sofort Drohungen aus. Sehr wahrscheinlich aber wird man mit der Zeit neue Besucher gewinnen, die vielleicht weggeblieben sind, weil sie das bisherige Gedudel nicht mehr aushielten.

Daher kann ich jedem Organisator nur raten, nicht nur A, sondern auch B zu sagen. Man hat nämlich einen Menschen engagiert und keinen Datenstick. Und der hat es zumindest einen Abend lang verdient, dass man hinter ihm steht, statt ihn bei der kleinsten Beschwerde zu verunsichern. Ich würde zu solchen Besuchern sagen: „Wisst ihr, wir gehen davon aus, dass unsere Gäste die Offenheit und Toleranz mitbringen, sich einen Abend lang mit eher ungewohnter Musik zu befassen. Hinterher könnt ihr gerne mit unserem DJ sprechen. Aber bis dahin lasst ihn in Ruhe!“

Ich dürfte einer der ganz wenigen aus dieser Gruppe sein, die Engagements ablehnen. Es gibt auf meinem Blog inzwischen zirka 60 Playlisten von mir, das sollte reichen. Und wer meine Musik direkt erleben möchte, darf sich um eine Einladung nach Pörnbach bemühen. Ich liebe Alleinstellungsmerkmale!

Ich kann daher nur an alle Kolleg(inn)en appellieren, souveräner aufzutreten anstatt ihre Seele zu verkaufen. Wer einen DJ nicht als Künstler, sondern lediglich als Lieferanten traditionell lizensierter Programme oder gar als Jukebox auffasst, hat ihn nicht verdient.

Selbstredend wird man sich mit dem Veranstalter vorher absprechen daran sollten sich beide Seiten gebunden fühlen und nicht bei den geringsten Problemen wieder alles in Frage stellen. Zudem würde ich mich über DJs freuen, die auch einmal sagen: Sorry, das ist nicht meine Linie, sucht euch bitte jemand anderen!" Die Realität sieht anders aus: Es gibt viel mehr DJs als Einsatzmöglichkeiten - viele sind hinter den Gigs her wie der Teufel hinter der armen Seele. 

Dann gäbe es unter den Auflegern wieder unabhängige, selbstständige Geister wie weiland den von mir porträtierten Félix Picherna, die eine hundertprozentig individuelle Linie verfolgen – und nicht die farblosen, austauschbaren Regelbefolger von heute. Der Tango würde das, was ihm dringend nottäte: bunter und interessanter.

Aber das soll mal die jüngere Generation richten: Aus dem Ingolstädter Bereich empfehle ich gerne Sabine Redl-Thorbeck und Christoph Bos. Auf Wunsch kann ich gerne einen Kontakt vermitteln. Und auch der Münchner DJ Jochen Lüders ist zwar leicht beleidigt, bietet aber ebenfalls interessante Mischungen von alten und neuen Aufnahmen (soweit ich das beurteilen kann, persönlich darf ich seine Milongas ja nicht besuchen).

Wir Anhänger eines moderneren Tango sind ja durchaus nett und bescheiden und essen brav – wie Oliver Twist aus Charles Dickens Roman – unser EdO-Tellerchen leer. Wenn wir dann aber ein bisschen mehr wollen, wäre es eine schlechte Idee, uns in den Kohlenkeller zu sperren. Das hatte schon vor 180 Jahren keinen Erfolg – geschweige denn heute!

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