Spaß beiseite?

Über diesen Satz von Moderatoren macht sich Harald Schmidt gerne lustig mit der Frage: „Welchen Spaß?“

Kann, darf oder soll man beim Tango Spaß haben? Mein geschätzter Kollege Klaus Wendel hat nun zu meinen Texten einen längeren Artikel veröffentlicht:

Er stellt die Frage „Spaß statt Weiterentwicklung oder Spaß durch Weiterentwicklung?“ und betitelt sein Werk: Das Spaß-Argument – die Kapitulation der Bequemen“.

Es mag übertrieben wirken, dass ich nun schon wieder auf diesen Autor eingehe – aber in der von mir überblickten Reihe deutschsprachiger Tangoblogs ist er halt derjenige, welcher wirklich interessante Texte liefert. Und er schreibt das, was in der Szene rauf und runter geglaubt, aber kaum gesagt wird. Das macht seine Arbeiten so wichtig.

Und auch sprachlich hat er sich – vielleicht durch gewisse Beratung – erstaunlich weiterentwickelt. Toll – weiter so!

Mit den Zitaten aber hat er weiterhin Probleme: Von ihm mehrfach gebotene Sätze wie „Ich habe wenigstens Spaß“ stammen garantiert nicht von mir. Schon deshalb, weil Spaß für mich beim Tanzen bestimmt nicht das Wenigste ist, sondern das zentrale Motiv, mit dem man ein Hobby betreibt – oder betreiben sollte. Leistungsdruck verspüren viele in der Ausbildung oder im Beruf (vielleicht auch in der Familie) zur Genüge.

Es ist hierzulande nicht selten, berufliche Kriterien in die Freizeitgestaltung zu übernehmen. Dann will man auch dort „Leistung bringen“, „der Beste“ sein. Bis irgendwann ein gnädiger Herzinfarkt diesen Unsinn beendet.

Wer es bis jetzt nicht bemerkt haben sollte: Ich schreibe nie für Berufstänzer, sondern ausschließlich für Leute, die im Tanzen ein entspannendes und anregendes Hobby suchen, bei dem sie – sorry – Spaß haben möchten und dürfen.

Dabei mache ich mich überhaupt nicht über Können lustig, im Gegenteil: Ich bewundere es. Ich denke nur laut darüber nach, welchen Preis es manchmal hat.

Und daher sage ich: Lasst euch nicht mit Sätzen einschüchtern wie Ich habe aufgegeben. Ich will nichts mehr lernen, nichts mehr verbessern, nichts mehr hinterfragen. Ich will einfach bleiben, wo ich bin – und das bitte ohne Kritik“. Mit diesen Unterstellungen will man euch nur ein schlechtes Gewissen einimpfen und möglichst zur Buchung des nächsten Tangokurses verleiten!

Es steht jedem und jeder frei, wieviel Zeit, Kraft und Energie er oder sie in die Tangoausbildung (ein schreckliches Wort) investiert (noch schrecklicher). Klar, wer wenig übt, darf dann nicht glauben, ein zweiter Pablo Verón zu werden – und manche, die ihn kennen, wollen das auch gar nicht…

https://jochenlueders.de/?p=17055

Er oder sie muss sich dann aber nicht als „bequem“ abkanzeln lassen. Man sucht deshalb nicht den „Stillstand“ oder betreibt eine „Kapitulation vor jeder Form von Qualität“. Von mir aus dürfen alle so viel üben und Unterricht nehmen, wie es ihnen richtig erscheint. Aber nicht deshalb, weil sie sich sonst faul und unnütz vorkommen! Und bevor der eigene Tango in Verbissenheit und Frust endet, sollten sie einmal überlegen, ob sie noch auf dem geeigneten Weg sind. Auch, wenn das ihr Tangolehrer anders sehen sollte…

Ich glaube, dieser Druck lastet heute in unserem Tanz vor allem auf den Frauen, die oft in einen gnadenlosen Leistungswettbewerb getrieben werden, da sie meinen, nur die Besten und besonders Herausgeputzten würden aufgefordert. Nicht selten stimmt das leider auch! Reihenweise werden da seelische Verwüstungen angerichtet, von denen Tangolehrer, Schuh- und Kleiderverkäufer profitieren. Die Tänzerinnen eher nicht.

Der Kollege schreibt: „Alles, was Qualität hat, entsteht durch den Wunsch, etwas zu verbessern, nicht durch das Beharren auf dem Ist-Zustand.“ Schön, dass dann in der Tangomusik verbissen das Schaffen der 1940er Jahre verteidigt wird!

„Erst wenn man versteht, wie eine Bewegung funktioniert, wann sie musikalisch Sinn ergibt und wie sie im Paar geführt und gespürt wird, entsteht wirklicher Spaß. Davor ist es bloß Bewegung mit Musik – nicht mehr und nicht weniger.“

Merke: Ob Sie wirklichen Spaß haben, beurteilt Ihr Tangolehrer. Sonst ist es nur Bewegung mit Musik. Und das reicht nicht. Welch eine unglaubliche Anmaßung! Und es ist keine Kapitulation, wenn man Sinnloses meidet. Im Gegenteil!

Der Autor sieht als „Grundprinzip menschlicher Entwicklung“ den „Drang, etwas besser zu machen“. Als Biologe darf ich aber hinzufügen: In der Evolution sind diese Motive eindeutig – Nahrung und Sex. Fuck it or eat it. Ein guter Beweis hierfür sind teure Festivals…

Tango, so offenbar das Mantra, wird über die Birne gesteuert: „Erst wenn man versteht, wie eine Bewegung funktioniert, wann sie musikalisch Sinn ergibt und wie sie im Paar geführt und gespürt wird, entsteht wirklicher Spaß.“

Ich weiß nicht, ob man beim Tango nach irgendeinem „Sinn“ sucht oder schon wieder mal was verstehen" muss. Eher fühlt es sich gut an, mit jemandem zu tanzen, ihn und die Musik zu spüren. Ich habe Paare erlebt, die in technischer Hinsicht wirklich gruselig tanzen. Ebenfalls erinnere ich mich an Frauen, die komplette Anfängerinnen waren  und mit denen ich trotzdem tanzte:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/09/abschied-von-einer-lieblingstanguera.html

Die Liste der „Fehler“ war in beiden Fällen ellenlang – aber der Spaß, den sie oder wir miteinander hatten, ebenso. Auf der anderen Seite denke ich an Tänzerinnen, die musikalisch und technisch wirklich hervorragend agierten – leider aber wie ein Kühlschrank auf Stilettos. Freude ist nicht abhängig von technischer Tanzausbildung.

Abschließend eine Geschichte, die ich vermutlich schon einmal erzählt habe. Aber sie passt hervorragend zum Thema:

Auf einer unserer früheren Lieblingsmilongas gab es meist vorher Tangounterricht. Über Stunden beobachtete ich hernach ein Paar reiferen Alters, bei dem der Mann seine Partnerin verbissen durch die aktuell behandelten Schrittfolgen quälte. Es funktionierte fast gar nicht, was ihn aber nicht daran hinderte, es weiter zu versuchen.

Ich sagte leise zu meiner Begleiterin: „Man müsste eigentlich hingehen und ihn bitten, mit dem Quatsch aufzuhören. Warum führt er nicht ganz einfache Sachen, damit sie endlich mal runterkommt?“

Glücklicherweise entschwand der Herr irgendwann. Später trafen wir in der Garderobe seine Partnerin, die uns Komplimente für unser Tanzen machte. Wie lange wir beide schon beim Tango seien? Schließlich stellte sie uns eine Frage, die sie wohl schon länger beschäftigte: Wie lange wir gebracht hätten, bis wir Spaß am Tango entwickelten?

Wir guckten einander ziemlich entgeistert an: Na ja, vom ersten Moment an – sonst hätten wir diesen Tanz doch gleich wieder aufgegeben!

Ich nehme an, dass uns die Dame damals nicht geglaubt hat. Ich habe sie jedenfalls schon lange nicht mehr gesehen. Den Grund kann ich mir denken…

Daher rate ich allen, die mit dem Tango anfangen: Bitte diesen Tanz nicht mit dem Paradies verwechseln! Natürlich kostet er Zeit, Mühe und auch etwas Geld. Aber wenn der Spaßfaktor unter 50 Prozent sinkt, läuft irgendwas falsch!

Daher zum Schluss politisch durchaus unkorrekt:

 

https://www.youtube.com/watch?v=h7Q3MR94-XU

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