Ganz privat

„Den Unterschied zwischen Beruf und Berufung nennt man Gehalt.“ (Text aus meinen Zauberprogrammen)

Immer mal wieder werde ich, auch beim Tango, von Leuten mit der Frage konfrontiert, ob ich sie noch kenne. Leider gehört das Merken von Gesichtern oder Namen nicht zu meinen Kernkompetenzen. Öfters stellt sich dann heraus, dass die Betreffenden früher zu meinem beruflichen Umfeld gehörten, also etwas mit den Schulen zu tun haben, an denen ich unterrichtete.

Nun gehe ich eigentlich nicht zum Tango, um an meine frühere Erwerbstätigkeit erinnert zu werden. Ich war 34 Jahre als Lehrer tätig und habe das gern gemacht, obwohl ich darin nie den Traumberuf, sondern eher eine gesicherte Anstellung sah. Für viele unvorstellbar, eine soziale Tätigkeit verlange doch jede Menge Idealismus! Ich meine, ein wenig Professionalität könnte auch nicht schaden…

Gelegentlich antworte ich auf solche Fragen, ich sei mit meiner schulischen Tätigkeit auch mental an dem Tag fertig gewesen, als ich die Schlüssel im Sekretariat abgab. Die Arbeit mit meinen Schülern, also das eigentliche Geschäft, fand ich stets interessant – die immer schlimmeren Rahmenbedingungen jedoch bewirkten, dass ich zum erstmöglichen Termin in Pension ging.

Wer sich für Näheres interessiert:

https://gerhards-lehrer-retter.blogspot.com/2018/06/warum-ich-sicher-nicht-mehr-lehrer-wurde.html

Heute erscheint mir mein früherer Beruf Lichtjahre entfernt zu sein. Ich habe damit abgeschlossen, sogar mittels zweier Bücher. Das muss reichen! Daher würde ich es begrüßen, wenn man mich beim Tango als Tänzer und nicht als Lehrer sehen würde.

Leider ist das Gegenteil der Fall. Immer wieder spielen werte Gegner meiner Tango-Ideen auf meine erlernte Tätigkeit an – und das oft in ziemlich geschmackloser Weise. Da wird bis zur Besinnungslosigkeit das „Oberlehrer-Klischee“ bedient. Und das manchmal von Leuten, die bis heute unterrichten, nämlich Tanzen!

Wer Freude am Gruseln hat:

https://gerhards-lehrer-retter.blogspot.com/2023/06/von-berufs-wegen.html

Schlauerweise hüllen sich diese Kritiker gerne in Schweigen über ihre eigene Berufsausbildung. Viele nennen nicht mal ihren wahren Namen. Schade – ich hätte zu etlichen Erwerbstätigkeiten auch einige Klischees bereit!

Selber ist mir völlig egal, was Tangofreunde und Tanzpartnerinnen beruflich machen. Sicher, manchmal erfährt man es zufällig – aber danach zu fragen kommt mir nie in den Sinn. Wieso auch? Tanzen die dann besser oder schlechter?

Ebenso wenig mag ich es, wenn man mich beim Tango (oder früher im Beruf) als „Zauberer“ anspricht. Der Magier Finn Jon sagte dazu: „Zauberer bin ich nur auf der Bühne – hinterher nicht mehr.“

In dieser Branche gibt man gerne den Rat, man solle mit dem Publikum auch soziale Kontakte knüpfen. Also möglichst schon einige Zeit früher kommen und vor allem hinterher noch bleiben und Gespräche mit den Zuschauern suchen. Ich habe das nach Möglichkeit vermieden. Fördert es ein Theaterstück, wenn die Darsteller vor- oder nachher im Kostüm das Foyer bevölkern? Ich habe einmal eine Kriminalbühne besucht, wo die Leiche des ersten Akts in der Pause an der Bar bediente. Es hat mich irritiert.

Zudem gehen solche Gespräche selten über erwartbare Fragen hinaus: „Seit wann zaubern Sie schon?“ oder „Das Wichtigste ist wohl die Fingerfertigkeit?“ Vor allem aber schmälert es die Wirkung von Illusionen, wenn der Künstler auch als „normaler Mensch“ mit seinen Schwächen und Macken herüberkommt. Was ich für mitteilenswert halte, sage ich in der Vorstellung.

Im Wesentlichen befriedigt man die Neugier, wie der Auftretende denn „so privat“ sei. Oder, wie eine Kindergärtnerin mal meine Frau nach meinem Auftritt bei den Kleinen fragte: „Ist der privat auch so ein Macho?“ Glücklicherweise ist mir nicht erinnerlich, was sie damals antwortete…

Mein früherer Hauptberuf veranlasste Tangueras sogar zur Frage: „Bist du ein strenger Lehrer?“ Leider traute ich mich nie zu der Antwort: „Ja, klar – und wenn du nochmal einen Ocho versemmelst, versohle ich dir den Hintern!“ Wobei ich nicht sicher bin, ob alle das als Drohung verstanden hätten.

Warum muss man die Dinge immer vermischen? Nach einem Zauberauftritt frage mich der Manager eines großen Autoherstellers nach meinem eigentlichen Beruf – und garnierte meine Antwort mit dem Spruch: „Ach, Leerer mit Doppel-e“. Meine Reaktion: „Und Sie arbeiten bei dieser Schmiergeldfirma?“ Wir waren beide not amused. Oft dienen solche Fragen ja nur dazu, hinterher sagen zu können, man habe den Künstler ja auch „als Menschen“ erlebt. Ich versuche, auch auf der Bühne einer zu sein.

Selber vermeide ich es tunlichst, meine Idole in ihrem Alltag kennenzulernen. Leider ist mir das bei Zauberkollegen nicht immer gelungen. Es schmälert fast stets den künstlerischen Eindruck. Und bei Politikern, so fürchte ich, erst recht. Warum soll ich mir das antun? Ich möchte solche Personen für das bewundern, was sie in ihrem Job machen – und nicht wissen, welchen Unsinn sie privat anrichten. Jedenfalls, so lange dieser nicht illegal ist.

Dass ich, wie nicht alle im Tango, unter meinem Realnamen schreibe, heißt nicht, dass die Person des Autors mit der im Zivilleben übereinstimmt. Auf den Milongas versuche ich, bescheiden, nett und freundlich zu sein. Kein Veranstalter oder DJ muss befürchten, vor Ort eine Satire abzubekommen – Tänzerinnen erst recht nicht. Wer den Autor erleben will, sollte ihn lesen.

Ich kann nicht garantieren, dass ich im realen Tango alle Forderungen erfülle, die ich in meinen Büchern oder Artikeln erhebe. Ich erinnere mich an eine lang vergangene Buchlesung, bei der ich auch noch auflegen durfte (wäre heute unmöglich, da der Veranstalter die Flucht von 80 Prozent der Gäste befürchten würde). Mit beidem zusammen war ich gut beschäftigt – dennoch versuchte ich, mit einigen der anwesenden Frauen zu tanzen. Bei meiner Gattin meldete sich dann eine ältere Dame, die sich heftig bei ihr beklagte, dass ich ausschließlich mit „jungen Dingern“ tanze – im Buch stünde es anders.

Nun rätsle ich bis heute, welche Tänzerinnen die Beschwerdeführerin meinte – ich beobachtete dort keine weiblichen Wesen aus dieser Altersklasse. Aber ich habe den ausstehenden Tanz natürlich nachgeholt. Glücklicherweise muss heute niemand mehr befürchten, dass ich ihn in realen Situationen mit meinen Büchern belästige. Das eröffnet mir neue Freiheiten!

Daher, liebe Leser und vor allem Leserinnen,

forschen Sie lieber nicht nach, wie ich „ganz privat“ bin – es lohnt nicht die Mühe. Überlassen Sie das den wenigen Personen, die mir nahestehen, und bewundern Sie diese für ihre Tapferkeit!

 Auch zu diesem Thema hat Kurt Tucholsky das Nötige gesagt:

https://www.youtube.com/watch?v=RYSO31UcB5Q

https://www.aphorismen.de/gedicht/126350

Kommentare

  1. Auf dem Weg zu einem Event in Regensburg bin ich vorletztes Wochenende an der Autobahnabfahrt "Pörnbach" einfach vorbei gefahren. Mich mit einem Feldstecher ins Feld zu legen um einen Blick auf das Wohnzimmer der legendären Wohnzimmer-Milongas zu erhaschen war mir doch zu mühselig. ;-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Solltest du nochmal in der Nähe sein, darfst du dich gerne melden und die Sache aus der Nähe betrachten. Feldstecher ist unnötig!

      Löschen
    2. Aber stell die richtigen Fragen - oder besser: Stell gar keine und fahr einfach weiter! Die Gefahr, hier im Blog zu landen und verarscht zu werden, ist einfach viel zu groß!

      Löschen
    3. Private Besucher müssen nicht befürchten, auf meinem Blog zu landen. Ich kommentiere nur, was man öffentlich sehen oder lesen kann.
      Also bitte keine Fake News verbreiten, gell?

      Löschen
    4. Und darum zitieren Sie unermüdlich aus privaten FB-Gruppen, gell?

      Löschen
    5. Diese Gruppen sind völlig anders als private Treffen. Normalerweise kann sich jeder anmelden, auch unter Pseudonym. Und sie haben mindestens dreistellige Mitgliederzahlen. Wer meint, sich dort "privat" äußern zu können, ist schief gewickelt.

      Löschen
    6. Aha. Und weil Sie das so meinen, ist es auch so. Sie bestimmen also, was eine private Gruppe ist und was nicht.

      Löschen
    7. Nein, das bestimmen die Tatsachen, die Sie offenbar ignorieren.

      Löschen
    8. Tatsache ist, dass das eine private FB-Gruppe ist. Und Sie ignorieren das und klopfen sich dabei auch noch auf die Schulter. Soviel zu den Tatsachen.

      Löschen
    9. Ich ignoriere das überhaupt nicht. Nur ist nicht alles "privat", was sich so nennt. Mit einer wirklich privaten Kommunikation hat das nichts zu tun.
      Aber ich bereue es bereits, mich mal wieder auf anonyme Kommentatoren eingelassen zu haben. Daher Ende der Debatte!

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.