In Sachen Ecke und Harden

 

„Der deutsche politische Mord der letzten vier Jahre ist schematisch und straff organisiert. Die Broschüre: ‚Wie werde ich in acht Tagen ein perfekter nationaler Mörder?‘ sollte nicht auf sich warten lassen. Alles steht von vornherein fest: Anstiftung durch unbekannte Geldgeber, die Tat (stets von hinten), schludrige Untersuchung, faule Ausreden, ein paar Phrasen, jämmerliches Kneifertum, milde Strafen, Strafaufschub, Vergünstigungen – ‚Weitermachen!‘“

(Kurt Tucholsky: Prozess Harden, 1922)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1922/Proze%C3%9F+Harden

Am 3.7.1922 wurde der jüdische Journalist, Publizist und Schauspieler Maximilian Harden auf offener Straße von zwei bezahlten deutschnationalen Spinnern hinterrücks überfallen und niedergeschlagen. Er erlitt schwere Kopfverletzungen und schwebte in Lebensgefahr. Zwei der drei Täter wurden zu geringen Freiheitsstrafen verurteilt, da das Gericht eine Mordabsicht verneinte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Maximilian_Harden

Kurt Tucholsky war von dem Urteil entsetzt und schrieb einen seiner erbittertsten Artikel über die deutsche Justiz und ihre Blindheit auf dem rechten Auge.

Am letzten Freitag wurde der Europa-Spitzenkandidat der sächsischen SPD, Matthias Ecke, von vier jungen Männern beim Anbringen von Wahlplakaten attackiert und niedergeschlagen. Er erlitt schwere Schädelverletzungen, musste operiert werden und liegt noch im Krankenhaus. Die Täter konnten bald ermittelt werden. Sie sind nun wieder auf freiem Fuß.

Das liegt an den Haftgründen der Strafprozessordnung. Die Herrschaften haben alle einen festen Wohnsitz, Fluchtgefahr wird nicht angenommen. Durchaus logisch, da wohl alle vier keine harten Strafen zu erwarten haben. Die drei Siebzehnjährigen werden eh nach Jugendstrafrecht abgeurteilt. Das ist auch beim Achtzehnjährigen zu vermuten, da dies üblicherweise bis 21 Jahre ausgedehnt wird – falls es sich um „jugendtypisches Verhalten“ handelt. Und das liegt beim Verprügeln von Sozialdemokraten klar auf der Hand. Zudem wird man wohl eine schwere Kindheit feststellen…    

https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__112.html

Nun könnte man allerdings argumentieren: Wer einem Wehrlosen mit Füßen gegen den Kopf tritt, nimmt dessen Tod billigend in Kauf. Bei Totschlag oder gar Mord wären dann bis zu 10 Jahre Jugendstrafe drin. Dann sähe es mit der Fluchtgefahr möglicherweise anders aus, zumindest für den Haupttäter gäbe es vermutlich U-Haft.

Doch das ist wohl nicht zu befürchten – es wird eine Verurteilung wegen Nötigung und gefährlicher Körperverletzung (bzw. Beihilfe dazu) geben. Dafür gibt es dann bis zu 5 Jahre oder eine Geldstrafe. Ich schätze, der Haupttäter wird mit einem Jahr auf Bewährung davonkommen, die drei anderen mit deutlich weniger.

Für mich ist es schwer erträglich, wenn in der Politik nach solchen Ereignissen die üblichen Reflexe abgearbeitet werden. Dann werden eine konsequente Ahndung und „harte Strafen“ verlangt.

Ja, verdammt nochmal – dann macht es halt!

Sicher, wir haben eine unabhängige Justiz, und das ist gut so. Aber auch eine – so mein Eindruck – die bei rechten Straftätern eine erstaunliche Milde walten lässt. Das hat vor zirka hundert Jahren schon Tucholsky ziemlich fuchtig gemacht. Justizia kann nämlich auch anders:     

„Man muss so ein Stück Elend von Proletarier in jenen unzähligen anonymen Prozessen sehen, in denen keine Presse zugegen ist, um die sich kein Mensch kümmert, in deren Verhandlungssälen sich nur ein paar Kriminalstudenten anwärmen – man muss sehen, wie sich da die Katerschnurrbärte sträuben, mit welch apodiktischer Gewissheit die Urteile heruntersausen, wie da Vorsitzender und Staatsanwalt in schöner Gemeinsamkeit auf ihren Opfern herumhacken. ‚So, Sie wissen nicht mehr, wo Sie in der Nacht jewesen sind? Na, da will ich mal Ihrem Jedächtnis 'n bisschen aufhelfen!‘ Davon war bei diesem Gericht nichts zu spüren. Angst? Es wäre keinem zu verdenken.“

Wo bleiben die – juristisch durchaus möglichen – Schnellverfahren, wo man Hass, Hetze, Bedrohung und gar tätliche Angriffe umgehend zumindest mit einigen Wochen Haft bestraft? Und zwar ohne Bewährung, was im Sinne der Generalprävention durchaus legal wäre!

Den rechten Brigaden geht es, wie weiland den Klopper-Truppen der SA, um die Einschüchterung demokratischer Kräfte – vom Abgeordneten über Bürgermeister und Stadträtinnen und bis hin zu Wahlhelfern. Und die kann die Polizei nicht alle beschützen. Wer will sich schon weiter politisch engagieren, wenn man bedroht wird, einem Scheiben eingeworfen werden oder gar das Auto angezündet wird?

Langwierige Verfahren, die im Endeffekt nur mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe enden, transportieren letztlich die von Tucholsky vor hundert Jahren schon angesprochene Botschaft: „Weitermachen!“

Abschrecken könnte das Signal: „Wer prügelt, sitzt!“

Um aus meiner weit harmloseren Bonsai-Welt des Tango zu berichten: Ich habe viele Jahre lang gestaunt, welch bösartige Angriffe viele auf ihrem Facebook-Profil stehen ließen – und über die Vorwürfe gegen mich, da ich dies nicht tat. Nicht den anderen wurde Hass und Hetze vorgehalten, sondern mir „Zensur“.

Ich habe mich davon nicht beeindrucken lassen und Leute konsequent gesperrt, die meinten, mir auf Facebook dumm kommen zu sollen. Und Kommentare nicht veröffentlicht, die menschlich abwertend waren. Das passt den Herrschaften dann überhaupt nicht, weil sie sich mit ihren Botschaften nicht wichtigmachen können. Erst recht nicht, wenn ich mich in einem Artikel damit auseinandersetze.

Muss man mit allen Vollidioten den Dialog suchen? Ich finde, das ist nur dann sinnvoll, wenn es denen um mehr als dümmliche Provokation geht. Die anderen würden es nur als Bestätigung ihrer destruktiven Absichten empfinden.

Die Weimarer Republik ging zugrunde, weil sie von den Demokraten zu wenig verteidigt wurde. Weil man meinte, mit Antidemokraten diskutieren zu können. Und damals wie heute herrscht die Arbeitsteilung zwischen den hetzerischen Reden der Herren im weißen Kragen und dem, was brutale Schläger daraus folgern.

„Das ist keine schlechte Justiz. Das ist keine mangelhafte Justiz. Das ist überhaupt keine Justiz“, schrieb Kurt Tucholsky damals. Ich hoffe, wir kriegen heute noch die Kurve!

P.S. Hier ein hervorragendes Dokumentarspiel zum Prozess Harden:

https://www.youtube.com/watch?v=8Hsa2aFCSmA

Kommentare

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