Gefühle im Tango lehren
Über die Ideen von Ivica Anteski habe ich schon mehrfach berichtet:
http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/05/wie-kriegt-man-mehr-manner-zum-tango.html
http://milongafuehrer.blogspot.com/2016/10/ivica-anteski-die-prinzipien-der.html
http://milongafuehrer.blogspot.com/2016/04/unter-mutterlicher-uberwachung.html
https://milongafuehrer.blogspot.com/2016/05/unter-mutterlicher-uberwachung-ii.html
https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/12/wie-manner-und-frauen-ihre-tanzpartner.html
https://milongafuehrer.blogspot.com/2016/04/sie-konnen-jetzt-auflegen.html
Der mazedonische Tangolehrer, internationale DJ und Eventveranstalter (so seine Selbstbeschreibung) betreibt das Ein Mann-Projekt „Tango Mentor“, für das man auch spenden darf. Blogger-Kollege Helge Schütt hat nun einen aktuellen Text des Autors entdeckt und findet ihn dringend lesenswert.
Da Anteski in Englisch publiziert, habe ich seine wesentlichen Aussagen übersetzt und zusammengefasst:
„Gefühle im Tango lehren“ nennt sich das Opus. Einleitend bestätigt der Autor, dass dies nicht möglich ist. Er versucht es dann doch: Man könne den Menschen helfen, ihre Gefühle „zu kultivieren, sie auszudrücken, sie zu kanalisieren; man kann ihnen Werkzeuge an die Hand geben, um ihren Emotionen eine Form zu geben.“
Er habe „immer geglaubt, dass es einen Teil des Tangos gibt, der weit über die Möglichkeiten eines Tangolehrers hinausgeht.“ Völlig richtig – aber wieso nur einen Teil?
Tatsächlich brauche „jede Tangoschule einen Tangolehrer und einen Psychologen (oder sogar einen Psychiater) - oder, wenn Sie so wollen, einen spirituellen Guru.“ Auch wenn der Autor das als Scherz hinstellt – ich fürchte, er hält sich für all das in Personalunion.
„Wenn man Tango tanzt, lernt man, besser mit anderen zu kommunizieren, in einer Gemeinschaft zu existieren, man lernt Empathie. Darüber hinaus ist der Tango eine großartige Plattform, um an sich selbst und den eigenen Schwächen zu arbeiten – denn er ist ein Spiegel, in dem man sich ohne die übliche Selbsttäuschung sehen kann, die wir alle so gut beherrschen.“
Kann man Empathie in Kursen entwickeln? Und die Werbung vieler Tangoschulen zielt doch geradezu auf Selbsttäuschung – schon mit der unsinnigen Behauptung, jeder und jede könne Tango lernen! Jedenfalls müsse sich eine Tangolehrkraft um mehr kümmern als das Beibringen von Schritten. Wohl wahr!
Anteski bietet nun drei „Strategien zur Vermittlung von Gefühlen im Tango“ an:
Als Erstes lehre er einen „Grundschritt“. Das hatte ich befürchtet. Dazu gibt es ein Video ohne Musik.
Zweitens bekennt der Autor, ein „strenger Lehrer“ zu sein, der Menschen „sofort in unbequeme Situationen“ bringe, um sie „zum Lernen herauszufordern“. Sie müssten „ihre Komfortzone“ verlassen. Ja, darauf freuen sich sicher alle, die nach einem anstrengenden Arbeitstag in einem Tangokurs mit ihrem Hobby Spaß haben möchten!
Er fordere seine Schüler oft auf, in einer engen Umarmung zu bleiben und nichts zu tun. Das sei für viele Menschen eine Herausforderung, ihr Gehirn schalte in den „Panikmodus“. Wer das nicht aushalte, erlebe nie die „Glückseligkeit des Tanzens in einer innigen Umarmung“. Das übliche Vorspielen von Emotionen beim Tango bezeichnet er als „Schwindel“, der ihm ein Gefühl von Abscheu vermittle.
Na gut – wenn man Frauen zwingt, sich von einem Mann minutenlang eng umarmen zu lassen, ohne zu tanzen, könnte bei ihnen zweifellos eine Art von Panik oder Abscheu entstehen. Ich halte das für eine natürliche Schutzreaktion. Aber manchen Männern könnte das Konzept „Weiber anfassen ohne tanzen zu müssen“ durchaus gefallen! Anteski gibt auch zu, nicht sicher zu sein, ob er den Tango überhaupt als Tanz betrachte. Eher eine „Meditation für zwei“.
Nun, das hat uns der selige Cassiel ja schon als „umarmungsfokussiertes Tanzen“ angepriesen. Bewegungen sind optional.
Daher müssten die Schritte auf ein Minimum reduziert werden, das man wirklich gut beherrsche, ohne dass die „Verbindung“ leide. Auch das kennen wir aus Cassiels Katechismus: „Opfere nie die Umarmung für einen Schritt“.
Fazit: „Du kannst nur dann Gefühle ausdrücken, wenn deine Bewegungen leicht und natürlich sind!“ Hinzuzufügen wäre: Falls man sie überhaupt braucht…
Hier der vollständige Text: https://tangomentor.com/teaching-emotion-in-tango/
Dass man Gefühle „lehren“ kann, halte ich für einen Humbug. Zudem erklärt der Autor nirgends, von welcher Art Emotionen er spricht. Traurigkeit, Sehnsucht, Freude, Spaß – oder gar hormonell ein wenig konkretere Aufwallungen?
Womit er natürlich recht hat: Unser Tanz übt eine besondere Attraktion auf Menschen aus, die mit ihren Emotionen (respektive deren Mangel) große Probleme haben. Daran sind meist schon etliche Beziehungen gescheitert – nun soll der arme Tango es richten: mit auswendig gelernten Schritten und für zehn Euro „Weiber-Anfass-Flatrate“. Und wenn alle Stricke reißen, bucht man einen mazedonischen Guru…
Wobei es in der Szene an negativen Emotionen nicht mangelt. Dafür sorgen schon hierarchische Struktur und komische Regeln. Wenn dann noch ein „strenger Tangolehrer“ dazukommt, leidet man unter Problemen, welche es ohne Tango nicht gäbe…
Ich meine, dieser Tanz ist nichts für zwanghafte, kopfgesteuerte Naturen. Und er kann die auch nicht therapieren. Das schaffen oft nicht einmal professionelle Behandler.
Wer sich also mit dem Tango einlässt, sollte ein gut aufgestelltes Gefühlsleben besitzen und in der Lage sein, die Birne zu dimmen. Das kann man durch bestimmte Verhältnisse triggern. Für mich gehört dazu eine spürbare Willkommenskultur. Wenn ich den Eindruck habe, alle seien zum Tanzen da – ohne Vorbehalte oder seltsame Ressentiments, kann ich mich entspannen. Eine Tangofreundin erzählte mir neulich, eine der nettesten Aufforderungen habe ein Mann mit den Worten begleitet: „Ui, da is a Frau – die nehm ich doch gleich!“ Dass sich nun wohl bei vielen in der Szene der Haare ob solcher Unbotmäßigkeit sträuben, sagt sehr viel.
Zentral ist für mich die Musik: Wenn ich das Gefühl habe, der DJ möchte jedem und jeder etwas bieten, bin ich glücklich, auch wenn mir das einzelne Stück mal nicht gefällt. Gut, das ist halt dann für die anderen! Und wenn ich merke, dass auf dem Parkett alle aufeinander achtgeben, ohne in „Vorfahrts-Kriterien“ zu denken, fühle ich mich beim Tanzen wohl.
Und die Partnerin? Was sie tangomäßig kann, ist für mich eher unwichtig. Aber sie sollte Spaß am Experimentieren haben und darüber lachen können, wenn etwas schiefgeht. Hallo, es geht nicht um Leben oder Tod – es ist nur ein Paartanz: keine Gruppenmeditation, kein Seminar zur Erzeugung von Edelmenschen – und schon gar keine Sekte, welche einen Guru benötigt! Und ja: Sollte sie Gefühle haben, darf sie diese gerne zeigen.
Man kann Tango notfalls ohne Verstand tanzen, aber nie ohne Gefühl. Die amerikanische Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou (1928-2014) drückte es so aus:
„Ich habe gelernt, dass Menschen vergessen werden, was Du sagst und vergessen werden, was Du tust … aber sie werden nie vergessen, welches Gefühl Du ihnen gegeben hast.“
Du hast in deinem Beitrag leider einen wichtigen Punkt aus dem originalen Artikel weggelassen. Die Begründung von Ivica für die enge Umarmung mit Nichtstun ist "You can’t fill a cup if it’s not empty – so help them empty the cup."
AntwortenLöschenWas wäre denn dein Vorschlag um "die Tasse erst einmal leer zu machen"?
Ich würde Ivica raten, die Tasse zurück in den Schrank zu stellen.
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