Schwer ist beim Tango leicht was

 

In der Facebook-Gruppe, aus der man nicht zitieren darf, stellte nun ein alter Bekannter sein Problem dar. Der Herr hat sich immer mal wieder mit mir beschäftigt und die branchenüblichen Vorwürfe erhoben: Ich würde andere „herabwürdigen“ und abweichende Meinungen unterdrücken. Da verglich er mein Blog schon mal mit der „Prawda“ und dem „Neuen Deutschland“ unseliger DDR-Zeiten.

Diesmal beschwert er sich nun über jemand anderen. Hier sein leicht gekürzter Beitrag:

Ein Thema, was mich schon länger beschäftigt, wurde letztes Wochenende auf einer Milonga so aktuell, dass mich jetzt mal Eure Meinung interessieren würde.

Es geht darum, was Musik mit der Energie auf der Milonga macht.

Das Szenario: Dejane tanzt viel oder guckt aufs Handy.

Musik: überwiegend lyrische und getragene Musik mit sehr großem Gesangsanteil. Beispiel: Troilo/Marino. Pugliese/Chanel. Laurenz/Casas (A mi déjame en mi Barrio) Zudem war die Musik oft von einem sehr schwierigen Niveau. Beispiel: Als die Milonga eigentlich Leichtigkeit und gute Energie benötigte wurde eine Milongatanda von D´Agostino gespielt. Das Grundprinzip erschien mir so: Ich spiele fast jedes Orchester (…), es dürfen aber auf keinen Fall die eingängigen, rhythmischen Stücke sein. (…)

Wenn der Abend mit Troilos ‚Mi noche triste‘, gesungen von Edmundo Rivero, endet, dann ist der Name Programm.

Wie es mir damit ging: Bei dieser Musik kam ich schwer bis gar nicht in einen schönen Tanzflow.

Ich brauche einfach ein paar Selbstläufer wie z.B. ‚Mandria‘ oder ‚La vida es corta‘. Musik, bei der ich mich nicht konzentrieren muss, Musik, bei der ich in eine fröhliche Tanzstimmung komme, Musik, die mich in den Tanz hineinzieht. (…)

ist der Anteil der ‚komplizierten‘, tragischen Musik zu hoch, dann ermüde ich und mache deutlich mehr Pausen als sonst. Meine Erfolgserlebnisse im Tanz sind deutlich weniger, ich werde demotiviert.

Ich meine, diese Auswirkungen auch bei den anderen Milongabesuchern beobachtet zu haben. Beispiel: Viele Tanzgesichter wirkten angespannt. Mit Tänzerinnen, mit denen ich sonst meist harmonisch tanzte, war es eher eine wackelige Angelegenheit. Viele verließen schon früh die Milonga.

Bei DJ-Sets dieser Art kommt es mir vor, als würde sich langsam eine düstere Glocke von der Decke senken und alle Energie ersticken, bis keiner mehr große Lust auf Tanzen hat.“

Er bittet dazu nun um Einschätzungen der Lesenden.

Das Ganze illustrierte er mit Bildern, die eher ein Kriegsszenario darstellen. Bin ich gewohnt – auch ich war schon Opfer seiner eher verstörender Illustrationen. Da er damit bei anderen Mitgliedern der Gruppe schlecht ankam, entfernte er das Material wieder und entschuldigte sich sogar. Hat er bei mir nie getan…

Später fügt er noch hinzu:

„Hauptsächlich geht es darum, dass ich diese Musik gerne tanze, sie mich aber auch anstrengt, weil die Rhythmen so komplex und oft asymmetrisch sind. Zu viel davon und meine Tanzlust ist halt weg. (…)

Als erfahrener Tänzer kam ich irgendwie damit zurecht. Als Anfänger wäre ich weinend nach Hause gefahren.“

Er werde sich nun eine „Blacklist“ unliebsamer DJs zulegen.

Ich finde seine Äußerungen satirisch verwertbar: So zitiert er haufenweise Tangotitel, Orchester und Sänger, damit man gleich erkennt, in welcher Experten-Haushaltung man sich befindet – und vergisst nicht zu erwähnen, dass er sich für einen „erfahrenen Tänzer“ hält. Ein wenig Weihrauch muss halt sein…

In den Kommentaren gibt man ihm weitgehend recht:

„Klappspaten auspacken. Kleines Loch in die Tanzfläche graben. Unter dem Tanzboden mit düsterem Blick und gesenktem Kopf weiter tanzen. Mein inneres Bild, wenn nur hochkomplexe vokale Tangos mit gesungenem Herzschmerz vom ersten Ton bis zur letzten Note gespielt werden.“

Es wird aber auch betont:

„Wie gesagt, wenn es möglich ist: Das Gespräch suchen, ohne Vorwurf.“ War laut seiner Aussage aber nicht realisierbar. Das Gegenteil hätte mich auch gewundert.

Quelle:

https://www.facebook.com/groups/tangoforum/permalink/2769737063193746

Ich meine, es werden hier zwei Aspekte vermischt:

Sicherlich killt ein DJ die Stimmung, wenn er den halben Abend depressive Stücke auflegt. Das beherrschen übrigens auch Neo-DJs, die manchmal gerne und längelang suizidale Balladen und Klagelieder enttäuschter Mädelchen (mein Liebling: Annett Louisan) erklingen lassen. Klar, das kann fallweise schon nerven. Tango bietet viele Facetten, auch fröhliche und temperamentvolle – das sollte man in der Playlist berücksichtigen!

Weiterhin mag der Schreiber keine „komplizierte Musik“, bei der er sich „konzentrieren“ muss, kein „sehr schwieriges Niveau“, sondern Eingängiges. Es werde sonst eine „wackelige Angelegenheit“.

Mein Geschmack ist da eher gegenteilig: Ich ermüde eher bei monotonem Geschrammel, auf das ich mich (zur Wahrung meiner seelischen Stabilität) lieber nicht konzentriere. Bei komplizierteren Klängen dagegen werde ich hellwach.

Ich habe mir nun das zitierte „Mi noche triste“ einmal angehört:

https://www.youtube.com/watch?v=R1MDZIWO3Q0

Also, erstens finde ich es (wenn man den spanischen Text nicht versteht) gar nicht so schrecklich traurig – und tänzerisch schwierig? „Komplexe, gar asymmetrische Rhythmen“? Nö, eigentlich kaum. Na ja, es klingt etwas interessanter als viele EdO-Produktionen. Ist doch schön!

Und A Mi Dejame en Mi Barrio“ von Laurenz / Casas? Weder depressiv noch schwierig!

https://www.youtube.com/watch?v=PSmnxDLLhsY

Da bietet das vom Schreiber bevorzugte „La Vida es corta“ (Tanturi / Castillo) rhythmisch sogar einige Herausforderungen mehr!

https://www.youtube.com/watch?v=ft4OC_3CLuI

Insgesamt finde ich, in der konservativen Szene werden Probleme gewälzt, in die ich mich erst mühsam hineindenken muss. Dass man dann selbst bei einfacheren Piazzolla-Stücken tänzerisch völlig ratlos dasteht, ist logisch.

Es ist wie im Spannungsfeld zwischen Chanson und Musikantenstadel: Statt sich zum ersten Mal zu Charles Trenets „L'âme des poètes“ zu bewegen, tanzt man lieber zum hundertsten Mal den „Schneewalzer“.

Ja, schwer ist leicht was…

https://www.youtube.com/watch?v=1hfCVJUXHRs

Lange, lange, lange

Nachdem die Dichter verschwunden sind

Laufen Ihre Lieder noch durch die Straßen

Die Menge singt sie ein wenig zerstreut

Kennt den Namen des Autors nicht

Ohne zu wissen, für wen ihr Herz schlug

https://www.youtube.com/watch?v=twcGH2uKHTI

Kommentare

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